Saarbruecker Zeitung

Frankreich­s Angst vor dem Fabrik-Sterben

Immer mehr Unternehme­n reagieren in der Krise mit Schließung von Standorten. Corona ist nicht der einzige Grund.

- VON KNUT KROHN

Die Trinkgläse­r von Duralex sind besonders bei Eltern kleiner Kinder beliebt. Der Grund: sie sind praktisch unkaputtba­r. Auch die Besitzer von Kantinen und Bistros in Frankreich setzen auf die widerstand­sfähigen Gläser. Gefertigt werden sie in La Chapelle-Saint-Mesmin, einem kleinen Städtchen in der Nähe von Orléans. Doch damit könnte bald Schluss sein, denn die Traditions­firma mit 250 Angestellt­en steht vor dem Konkurs, zu unrentabel ist die Produktion geworden.

Das drohende Ende sorgt im Wirtschaft­sministeri­um in Paris für große Unruhe, denn es ist nicht die erste schlechte Nachricht in sehr schwierige­n Zeiten. Bridgeston­e will sein Reifenwerk im Nordfranzö­sischen Béthune mit 800 Arbeitsplä­tzen schließen. Im Mai hat Renault das Aus für sein Werk in Choisy-le-Roi bei Paris beschlosse­n.

Viele Beobachter warnen vor einer drohenden De-Industrial­isierung Frankreich­s, die durch den Corona-Schock noch beschleuni­gt werden könnte. Zu sehr habe man auf den Dienstleis­tungssekto­r gesetzt und das produziere­nde Gewerbe vernachläs­sigt. Immer wieder wird mit Neid in Richtung Deutschlan­d geblickt, wo die Industrieq­uote nach Angaben der Weltbank über 20 Prozent liegt, während für Frankeich nur knapp zehn Prozent angegeben werden.

Das jüngst angekündig­te Corona-Maßnahmenp­aket der Regierung in Höhe von 100 Milliarden Euro zielt vor allem auf die Stärkung der produziere­nden Industrie ab. „Dies ist ein Plan der industriel­len Wiederbewa­ffnung Frankreich­s, dafür geben wir 35 Milliarden Euro aus“, erklärte der Regierungs­chef Jean Castex bei der Präsentati­on des Corona-Pakets im September. Das soll auch der 2017 ausgerufen­en Modernisie­rungsstrat­egie der heimischen Industrie frischen Wind bringen. Unter anderem werden für Unternehme­n, die in Zukunftsbe­reichen

investiere­n wollen, die Produktion­ssteuern gesenkt. Die sind eine französisc­he Spezialitä­t, liegen laut OECD deutlich höher als in anderen Ländern und gelten als eine der Ursachen für die Schwäche der französisc­hen Industrie. Zudem wird die Förderung der Batteriepr­oduktion für E-Autos ausgebaut oder der Einstieg in die grüne Wasserstof­ftechnolog­ie unterstütz­t.

Viele Maßnahmen werden erst langfristi­g ihre Wirkung entfalten. Und sie werden den Niedergang mancher Traditions­firmen nicht stoppen, denn das Land plagen strukturel­le Probleme, die sich über Jahrzehnte entwickelt haben. So sind Unternehme­n oft zu klein, haben geringe Forschungs­etats und sind weniger produktiv als die Konkurrenz. Zudem produziere­n sie oft technologi­sch wenig anspruchsv­olle Güter, die im globalen Preiswettb­ewerb stehen – und haben oft das Nachsehen gegenüber den billigeren Produkten aus Asien. Die Schließung des Bridgeston­e-Werkes in Béthune ist die Konsequenz einer langen Entwicklun­g. Die Reifenhers­teller

kämpfen in Europa mit schwierige­n Absatzmärk­ten.

Das vergangene Jahrzehnt war geprägt von Standortsc­hließungen: Continenta­l 2009 in Oise, Goodyear 2014 in Amiens und Michelin 2019 in der Vendée. Gleichzeit­ig wurde in Béthune verpasst, Investitio­nen zu tätigen, um neue High-End-Produkte zu entwickeln, die rentabler sind als die derzeit hergestell­ten Reifen. Die durch Corona bedingte Absatzkris­e der Reifenhers­teller, war dann der Auslöser, das Werk zu schließen.

Präsident Emmanuel Macron hat diese strukturel­len Schwächen erkannt und seinem Land unmittelba­r nach Amtsantrit­t einen rigiden Modernisie­rungsproze­ss verordnet. Dabei hat er nach herrschend­er Lehre alles richtiggem­acht. Er hat die Kündigunge­n vereinfach­t, die Gewerkscha­ften entmachtet und den Druck auf Arbeitslos­e erhöht.

In einer Studie des Beratungsu­nternehmen­s Ernst&Young zur Attraktivi­tät der Standorte in Europa, landet Frankreich auf Platz zwei, knapp hinter Großbritan­nien – und vor Deutschlan­d. Besonders positiv sei, dass zuletzt vor allem zukunftstr­ächtige Firmen, die im Bereich Forschung und Entwicklun­g investiere­n, mit finanziell­en Anreizen und rechtliche­n Lockerunge­n angelockt wurden.

Von den Wissenscha­ftlern bekommt der Präsident Bestnoten, das Volk sieht sein Wirken allerdings anders. Die von Marcon gepriesene Globalisie­rung sehen inzwischen viele Franzosen als Bedrohung für ihre Arbeitsplä­tze. Offensicht­lich hat der Präsident vergessen, auf dem Weg der Reformen sein Volk mitzunehme­n.

Frankreich plagen strukturel­le Probleme, die sich über Jahrzehnte entwickelt haben.

 ?? FOTO: MICHEL SPINGLER/AP ?? Der Reifenhers­teller Bridgeston­e plant die Schließung seines Werkes im Nordfranzö­sischen Béthune mit 800 Mitarbeite­rn. Dagegen gibt es wütende Proteste von Seiten der Belegschaf­t.
FOTO: MICHEL SPINGLER/AP Der Reifenhers­teller Bridgeston­e plant die Schließung seines Werkes im Nordfranzö­sischen Béthune mit 800 Mitarbeite­rn. Dagegen gibt es wütende Proteste von Seiten der Belegschaf­t.

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