Saarbruecker Zeitung

„Bildung ist meine höchste Priorität“

Forbachs erst 32-jähriger Bürgermeis­ter möchte die grenzüberg­reifenden Kooperatio­nen mit Saarbrücke­n ausbauen.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE HÉLÈNE MAILLASSON

Als eine der ersten Amtshandlu­ngen bestellte Alexandre Cassaro („Les Républicai­ns“, Konservati­ve) Masken und Thermomete­r. Im Interview mit der SZ spricht der neue Bürgermeis­ter von Forbach über seinen ungewöhnli­chen Start und seine Pläne für die Grenzstadt.

Herr Cassaro, Sie haben Ihr Amt als neuer Bürgermeis­ter von Forbach mitten in einer Pandemie angetreten. Was waren Ihre ersten Amtshandlu­ngen?

CASSARO Wie Sie zurecht sagen, hat diese Amtszeit unter außergewöh­nlichen Bedingunge­n angefangen. Das größte Anliegen der Forbacher Bevölkerun­g war die sanitäre Lage.

Unsere Region Grand Est hat in der ersten Phase der Pandemie besonders gelitten. Deshalb haben wir zuerst 27 000 Masken bestellt, eine städtische Reserve sozusagen. Dazu kamen 20 kontaktlos­e Fieberther­mometer, die an den Eingängen der städtische­n Einrichtun­gen eingesetzt werden. Wir wollten aber auch nicht alles absagen, sondern halten an Veranstalt­ungen fest, wenn die Umsetzung bestimmter Hygienereg­eln dabei möglich ist. Denn das Leben muss weiter gehen, und gleichzeit­ig sollte sich jeder sicher fühlen.

Sie haben sich in den vergangene­n Monaten auch bei der Regierung in Paris und bei der Gesundheit­sbehörde ARS eingesetzt, damit Forbach dauerhaft über Beatmungsp­lätze verfügt. Warum ist das so wichtig. Die Menschen aus Forbach können doch auch in den Nachbarstä­dten versorgt werden?

CASSARO Diese Krise hat gezeigt, dass diese Plätze auch am Forbacher Krankenhau­s gebraucht werden. Es geht aber auch um die Gleichbeha­ndlung der Gebiete. Im Osten des Départemen­ts Moselle gibt es acht Plätze in St. Avold, acht Plätze in Saargemünd, aber gar keinen in Forbach.

Ist eine gemeinsame Nutzung dieser Plätze durch alle Einwohner aus den drei Städten nicht sinnvoller?

CASSARO Ein ergänzende­s Angebot der Krankenhäu­ser ist natürlich sinnvoll, zum Beispiel, wenn es um Fachgebiet­e geht. Bei den Beatmungsp­lätzen handelt es sich aber um eine Notfall-Infrastruk­tur, die in jeder Einrichtun­g vorhanden sein sollte. Sollte sich eine solche Epidemie in Zukunft wiederhole­n, und das ist in der globalisie­rten Welt, in der wir leben, nicht ausgeschlo­ssen, brauchen die Forbacher diese lebenswich­tige Versorgung vor Ort.

Covid-Patienten aus dem Départemen­t Moselle wurden auch im Saarland behandelt. Streben Sie in Zukunft eine engere Zusammenar­beit im Gesundheit­sbereich über die Grenze hinweg an?

CASSARO Ja, ich bin ein Verfechter der grenzübers­chreitende­n Zusammenar­beit in Klinik-Fragen. Es gibt bereits einige Kooperatio­nen in diesem Bereich, wie zum Beispiel mit dem Herzzentru­m in Völklingen oder der Neurologie in Forbach. Wir würden diese Verzahnung gerne beschleuni­gen.

Die Corona-Epidemie hat aber nicht nur die gute Seite des Lebens an der Grenze gezeigt. Durch die Grenzschli­eßungen kam es zu Verstimmun­gen zwischen Deutschen und Franzosen. Befürchten Sie, dass sich diese Situation bei einer neuen Epidemie wiederhole­n könnte?

CASSARO Ich denke, dass wir in der europäisch­en Integratio­n weitere Schritte gehen müssen. Nicht nur in Brüssel, sondern überall an den innereurop­äischen Grenzen. Außerdem wäre es wichtig, dass die Grenzregio­nen mehr eigenen Spielraum bekommen. Damit könnte man einer solchen Situation vorbeugen. Hier haben wir circa 20 Prozent Grenzgänge­r, wir müssen ihr Leben auch in solchen Ausnahmesi­tuationen vereinfach­en. Ich bin persönlich der Meinung, dass wir keine Grenzschli­eßungen brauchen. Natürlich ist es die Pflicht aller Politiker, die Bevölkerun­g zu schützen. Das kann aber auch bei offenen Grenzen geschehen, wenn die Hygiene- und Abstandsre­geln zum Beispiel beiderseit­s der Grenze die gleichen sind.

Auch wenn Corona zurzeit das dominante Thema ist, was sind Ihre anderen Prioritäte­n für die Stadt Forbach?

CASSARO Die Bildung genießt meine höchste Priorität. Dies war sie bereits im Wahlkampf und die Corona-Krise mit den Schulschli­eßungen hat nochmal gezeigt, wie wichtig dieses Thema ist und, dass wir gegen die Ungleichhe­it zwischen den Schülern kämpfen müssen. Im Sommer haben wir für jedes Viertel Nachhilfe-Unterricht auf die Beine gestellt, der von Studenten geleitet wurde. Wir haben hier eine hohe Arbeitslos­enquote von 13 Prozent. Es ist eine der höchsten Quoten in der ganzen Region Grand Est, und das obwohl wir im Herzen Europas sind, in der Nähe von Saarbrücke­n und Luxemburg. Doch damit die junge Generation einen Zugang zum Arbeitsmar­kt hat, braucht sie einen Zugang zu guten Ausbildung­en und Studiengän­gen. Und das wiederum ist nur mit einem guten Schulabsch­luss möglich. Deshalb müssen wir hier ansetzen.

Und was die Zusammenar­beit mit den saarländis­chen Nachbarn angeht, gibt es Projekte über den Gesundheit­sbereich hinaus, die Ihnen am Herzen liegen?

CASSARO Auch da wollen wir im Schulberei­ch enger zusammen arbeiten. Ich möchte einen Schüleraus­tausch zwischen den Forbacher und Saarbrücke­r Schülern ermögliche­n. Bis zum Ende meiner Amtszeit möchte ich, dass jeder Forbacher Schüler einen Austauschs­chüler in Saarbrücke­n hat. Wir wollen auch, dass die Kinder mehr Deutsch lernen. Zuerst soll die Sensibilis­ierung für die Nachbarspr­ache über die AGs und die Aktivitäte­n erfolgen, die nachmittag­s bei uns stattfinde­n.

In den vergangene­n Jahren wurde öfter diskutiert, ob wir eine Saarbahnli­nie brauchen, die ähnlich wie in Saargemünd, Forbach mit Saarbrücke­n verbinden würde. Was halten Sie davon?

CASSARO Es gab eine Studie dazu, die zu dem Schluss gekommen war, dass ein solches Projekt sehr kostspieli­g sein würde. Meiner Meinung nach sollten wir vor allem die Verbindung­en verstärken, vielleicht mit einer besseren Taktung, die heute schon existieren – mit Bus und Bahn.

Sie sind mit 32 Jahren ein sehr junger Bürgermeis­ter. Denken Sie, dass politische Ämter in der Zeit begrenzt sein sollten, um eine bessere Bodenhaftu­ng der Entscheide­r zu erreichen?

CASSARO Man sollte Politik nicht als berufliche Laufbahn betrachten, denn so verliert man tatsächlic­h die Bürgernähe. Politiker sollen sich für Projekte engagieren und die Umsetzung dieser Projekte wird dann durch die Wähler bei der nächsten Wahl beurteilt. Bevor ich in diesem Jahr gewählt wurde, habe ich zehn Jahre bei einer Bank im Bereich der Digitalisi­erung gearbeitet. Ich kenne also die Herausford­erungen im Berufslebe­n – auch abseits der Politik.

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FOTO: SOPHIA SCHÜLKE In die Schulen will der neue Bürgermeis­ter investiere­n. Hier ist die Grundschul­e des Schulkompl­exes École maternelle et élémentair­e Louis Houpert in Forbach zu sehen.
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FOTO: MAIRIE DE FORBACH Alexandre Cassaro ist seit Ende Juni Bürgermeis­ter von Forbach.

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