„Bei diesem Kirchner steckt der Teufel im Detail“
Wenn moderne Techniken die Schummeleien und Übermalungen des Künstlers verraten: „Badende im Raum“von Ernst Ludwig Kirchner wird bald in Saarbrücken konserviert.
Fünf nackte Frauen in makellosen Farben, die der Maler 1908 beiläufig auf die Leinwand geworfen hat: Diesen Eindruck erweckt Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) mit seinem Gemälde „Badende im Raum“. Doch vieles ist nicht so, wie es auf den ersten oder gar zweiten Blick scheint. Das Schlüsselwerk des deutschen Expressionismus, das seit den 60er Jahren in Saarbrücken daheim ist, zeigt Kirchners Wohnatelier der Jahre 190911 in Dresden als ästhetisches Paradies und exotisch-erotischen Gegenentwurf zu den Konventionen der Wilhelminischen Kaiserzeit.
Einen besonders tiefen Einblick in das Kunstwerk hat Lisa Wagner, die seit sieben Jahren als Gemälderestauratorin in der Modernen Galerie des Saarlandmuseums arbeitet. „Auf den ersten Blick sieht man bei dem Gemälde keine Schäden, aber hier steckt der Teufel im Detail. Wir wissen, dass es in einem schlechten Zustand ist“, sagt Wagner ihren Gästen, die sie am Sonntag zum Europäischen Tag der Restaurierung in ihre Werkstatt führt. Deshalb habe dieser Kirchner auch seit gut 40 Jahren für keine auswärtige Schau das Haus verlassen, zu groß die Angst, Malschichten könnten abfallen. Streiflichtaufnahmen, bei denen Licht mehr oder weniger parallel zur Oberfläche Mängel und Schäden sichtbar macht, und Mikroskopaufnahmen hätten der Restauratorin erst einmal das „kalte Grausen“beschert. Die Farbe hebt sich ab, Knickfalten von einem früheren Zusammenrollen der bereits bemalten Leinwand zeigen sich. Es verblüfft, dass – im Vergleich zu jenen Renaissancegemälden italienischer Meister, die in der Alten Sammlung gezeigt werden – ein so junges Gemälde schlecht gealtert ist. „Teilweise liegen die Gründe auch in Kirchners Malweise“, sagt Wagner, und erklärt, „er hat mit einer schwach gebundenen, bröseligen Grundierung gearbeitet, die das Öl aus den Farben in die Grundierung gezogen hat“. Um flüchtig malen zu können, mischte er Wachs bei, übermalte erneut. „Kirchner hat mit den Traditionen gebrochen, er hat viel experimentiert“, sagt Wagner. „Diese alten Italiener sind gut erhalten, weil sie Meister im Grundieren waren, viele dünne Schichten aufgetragen,
„Kirchner hat mit Traditionen gebrochen und viel experimentiert.“
Lisa Wagner Gemälderestauratorin
riesige Werkstätten und eine siebenjährige Lehrzeit hatten.“
Wenn es darum geht, was die Restauratorin mit UV-Licht und Röntgentechnik bei Kirchners Werk inhaltlich entdeckt hat, klingt manches Untersuchungsergebnis nach detektivischer Puzzlearbeit. Mithilfe von Kollegen der Hochschule der Bildenden Künste in Dresden, und vor allem deren seltenem mobilen Röntgengerät, und Infrarotreflektografie eröffnete sich ein neues Bild. Hilfslinien wurden sichtbar, Kirchner experimentierte mit der Höhe der Türrahmen, den Details von Hintern und Knien, deren Position er allein sechs Mal geändert hat. Von flüchtig hingeworfen also keine Spur. Und dort, wo ein Vorhang zu sehen ist, hatte der Künstler eine weitere Aktfigur platziert. Von einer männlichen Gestalt am rechten Bildrand blieb nur der Kopf. Die Röntgenaufnahme zeigt am oberen Rand auffallend zahlreiche, sehr eng gesetzte Nägel. Offenbar hat Kirchner dort das Format verlängert und all die Nägel setzt, um den nun kürzeren Umschlag am Rand noch spannen zu können. „Dort hat Kirchner auch geschummelt, er hat mit ,Kirchner 08‘ signiert.“Und 1926 also rückdatiert, von eigentlich 1909 auf 1908. „Das passt zu seinem Charakter, er wollte der Erste und der Revolutionär sein.“Der Künstler hat dieses Gemälde wie andere großformatige Leinwände seines frühen Werks im Schweizer Exil überarbeitet und verändert.
Das Gemälde wird ab 14. November in der Modernen Galerie in der Ausstellung „WELTBÜHNETRAUM - Die Brücke im Atelier“neben rund 100 Werken nicht nur von Kirchner, sondern auch von Erich Heckel, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff gezeigt. Danach soll es konserviert werden. „Es werden Tests gemacht, mit welcher Technik und welchem Bindemittel gearbeitet werden muss, auch Austausch mit Restauratoren, die in Deutschland und den Niederlanden auch gerade an Kirchner-Gemälden arbeiten, ist wichtig“, sagt Wagner. Dann werde mit der Konservierung begonnen, zum Beispiel lose Teile gesichert und eine Oberflächenreinigung von Staub durch Abpinseln ausgeführt. Mit Schirmlupe und Mikroskop, Millimeter um Millimeter.