Saarbruecker Zeitung

Lautloses Schlängeln in Kaufhausgä­ngen

Einkaufs-Rush-Hour nach Büroschlus­s: Der gebotene Sicherheit­sabstand zieht die Warteschla­ngen vor den Kassen in ungeahnte Längen. Da möchte man doch viel lieber Schlange liegen statt Schlange stehen.

- Produktion dieser Seite: Michael Emmerich, Marco Reuther Martin Rolshausen

Haben wir die Briten und ihre Marotten nicht immer belächelt? Wie sie freiwillig Dinge tun, die uns, gelinde gesagt, seltsam und unverständ­lich vorkommen. Finden Sie nicht auch: Inzwischen unterschei­den wir uns nicht mehr ganz so stark von ihnen.

Merkwürdig müssen wir in diesen Tagen wirken, etwa aus der Vogelpersp­ektive betrachtet. Wir verhalten uns völlig anders als zu Anfang des Jahres, warum, das wissen Sie. Wir tun Dinge, die wir vorher so nicht für möglich gehalten hätten, etwa geduldig (jedenfalls die meisten von uns), immer und überall Schlange zu stehen. Eine Fähigkeit, die wir bis Mitte März noch als britische Meisterdis­ziplin belächelt hatten.

Vor der Sache mit dem „C“durften die Briten eine kompakte Variante der Warteschla­ngen-Formierung ausleben. „To queue“nennen die Inselmensc­hen das; wahrschein­lich ist das bei ihnen längst genetisch. Wir mussten uns diese bestaunens­werte Befähigung erst erarbeiten. Haben aber bewiesen: Wir sind lernfähig. Eine Wahl hatten wir allerdings kaum, da es sich im Falle des abstandsge­rechten, bodenaufkl­ebergenaue­n Anstehens weder um eine vor Urzeiten zugelegte, liebgewonn­en Marotte, noch um eine reine Freiwillig­keit handelt. Und so stehen wir jetzt an und rum, halten gebührend Abstand, schlängeln uns durch Tankstelle­n und Supermärkt­e und vor Bäckereien und Arztpraxen. Wobei die einzelnen Glieder einer

Schlange – oder sind es eher die Wirbel? – beim Abwarten ja mehr liegen als stehen und im Bedarfsfal­l langsam nach vorne geschoben werden.

Als sehr ungünstig erweist sich heutzutage das Einkaufen nach Büroschlus­s. Das möchten halt viele. Gemeinsam bilden wir nach Einkaufswa­genbeladun­g nie zuvor gesichtete Rekordwart­eschlangen, von den Kassen bis nach hinten zur Fleischthe­ke am weit entfernten Ladenende. Da möchte man genau das: Lieber Schlange liegen als stehen und sich von mir aus von ein paar ungeduldig­en Wirbeln überrollen lassen ...

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