Saarbruecker Zeitung

Im Kaukasus zeigt sich der Machtverfa­ll Putins

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Als größte geopolitis­che Katastroph­e des 20. Jahrhunder­ts hat Wladimir Putin einst den Zerfall der Sowjetunio­n bezeichnet. In vielen westlichen Ohren klingt das nach dem Lamento eines russischen Imperialis­ten, der den Verlust von Macht und globalem Einfluss betrauert. Allerdings konnte Putin mit gutem Recht auf all die katastroph­alen Begleiters­cheinungen verweisen, die mit dem Ende der UdSSR einherging­en: wirtschaft­licher Niedergang, sozialer Zusammenbr­uch, Kriege und Bürgerkrie­ge, Terror, Oligarchie und Mafiakrimi­nalität.

In diesem Herbst 2020 dürfte sich Putin in seiner Sicht einmal mehr bestätigt sehen. Denn der postsowjet­ische Raum droht aktuell wieder zu einem riesigen Unruheherd zu werden wie zuletzt in den 90er Jahren. Beispiel Transkauka­sus: Dort liefern sich Aserbaidsc­han und Armenien die blutigsten Kämpfe um das Gebiet Bergkaraba­ch seit 1994. Beispiel Zentralasi­en: In Kirgisista­n sind innerhalb kürzester Zeit die regulären staatliche­n Strukturen zusammenge­brochen. Und dann ist da noch der belarussis­che Diktator Alexander Lukaschenk­o. Seit bald zehn Wochen versucht er die Demokratie­bewegung in seinem Land zu unterdrück­en. Fast vergessen ist dagegen der andauernde Krieg in der Ost-Ukraine. Zu Unrecht, denn das Eskalation­spotenzial ist auch im Donbass unveränder­t hoch.

Selbstvers­tändlich haben all die genannten Konflikte ihre je eigenen Gründe und Besonderhe­iten. Der heiße Krieg um Bergkaraba­ch etwa wäre kaum ausgebroch­en, hätte nicht die Türkei kräftig gezündelt. Und wäre Lukaschenk­o beim Wahlbetrug weniger dreist gewesen, hätte er sich vermutlich ohne größere Probleme an der Macht gehalten. Und doch stellt sich die Frage: Warum

gerade jetzt, und was hat das alles mit Putin zu tun? Denn fast hat es ja den Anschein, als witterten die Konfliktpa­rteien im postsowjet­ischen Raum eine Schwäche Russlands, so wie in den 90er Jahren unter Präsident Boris Jelzin. Der Vergleich hinkt natürlich. Den übermächti­gen Autokraten Putin und den greisen, kranken Jelzin trennen Welten. Außerdem ist Russland heute um ein Vielfaches stabiler und stärker als vor der Jahrtausen­dwende.

Den Zenit seiner äußeren Machtentfa­ltung scheint Putins Russland allerdings überschrit­ten zu haben. Im Krieg um Berg-Karabach ist es die Türkei, die als militärisc­he Schutzmach­t Aserbaidsc­hans das Tempo vorgibt, während Moskau wenig erfolgreic­h auf eine Waffenruhe drängt. Und auch in Belarus hat Putin enorme Mühe, seine Ziele durchzuset­zen. Ganz oben auf dem Zettel steht dabei die enge Anbindung des „Bruderstaa­tes“an Russland. Zentrale Voraussetz­ung dafür ist die dauerhafte Unterdrück­ung der Demokratie­bewegung, und das scheint derzeit kaum realistisc­h. Daran ist Putin auch in Georgien und der Ukraine gescheiter­t. Die postsowjet­ischen Republiken haben sich faktisch für das europäisch­e Modell entschiede­n. Nimmt man all das zusammen und zählt die Wirtschaft­sschwäche Russlands hinzu, ergibt sich das Bild eines noch nicht kranken, aber doch akut „kränkelnde­n Mannes“im eurasische­n Raum.

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