Ein Königreich unter Wasser
In „Der Wal und der Rabe“prallen Naturschutz und Wirtschaftsinteressen aufeinander.
SAARBRÜCKEN (ry) Hat der Mensch das Recht, sich die Natur untertan zu machen und sie allein für seine Zwecke zu nutzen? Auf diese Frage würden Naturschützer mit einem klaren Nein antworten. Betrachtet man sie aber aus der Sicht der Wirtschaft, liegen die Interessen anders. Schnelles Wachstum von Firmen und Industrienationen zu fördern, ist für viele Menschen Grund genug, den Naturschutz hinten anzustellen. Regisseurin Mirjam Leuze nimmt in ihrem Dokumentarfilm „Der Wal und der Rabe“noch eine weitere Perspektive ein: die der Tiere. Denn was wäre, wenn Selbstwahrnehmung, Mitgefühl und Denken nicht nur den Menschen zustehen würden? Wie würde die Welt aussehen, wenn die Menschen den Tieren diese Fähigkeiten zusprechen würden? Um dies zu verdeutlichen, bedient sich die Filmemacherin einer alten, kanadischen Legende. Bei den First Nations, den ersten Bewohnern der Westküste Kanadas, galt das Meer als ein Königreich unter Wasser. Ein Schwertwal namens Orca-Chief bewachte dieses Reich sowie seine Bewohner. Dazu wies er Menschen, die dessen Grenzen nicht respektierten, in ihre Schranken. Mit animierten Bildern des Künstlers Roy Henry Vickers wird die alte Geschichte in dem Film zum Leben erweckt. Das heute niemand mehr an solche Legenden
oder den tieferen Sinn hinter ihnen glaubt, zeigt die aktuelle Lage an der Küste, an der zwei Welten aufeinanderprallen. Eine dieser Welten wird von zwei Walforschern vertreten.
Seit 15 Jahren arbeiten die beiden Forscher Janie Wray und Hermann Meuter in Kanada an ihrer Theorie. Sie glauben, dass Wale intelligent und außerdem zur Selbstwahrnehmung fähig sind. Die unbewohnte Insel, auf der sie ihre Forschungsstation aufgebaut haben, ist ein Naturparadies. Das Fjordsystem ist ein Zufluchtsort für Orcas, Buckel- und Finnwale. In den Augen der beiden Wissenschaftler wäre es ein Skandal, dieses Paradies zu zerstören. Doch genau daran arbeiten gerade andere Menschen.
In der kleinen Küstenstadt Kitimat, rund 70 Kilometer von Wrays und Meuters Forschungsstation entfernt, wird derzeit eine gigantische Exportanlage für Flüssiggas geplant. Mithilfe von Supertankern
soll das Gas von dort aus nach Asien exportiert werden – mitten durch das Fjordsystem, in dem sich besonders viele Buckelwale zu Hause fühlen. Wie sich die ständigen Fahrten der großen Schiffe auf die Tiere auswirken würden, kann niemand genau vorhersagen. Sollte man das Meer also für menschliche Zwecke nutzen oder es als Teil der Welt erhalten, die den Menschen nicht gehört?