„Ich durchlebe alle Affekte der Musik“
Im musikalischen Werk von Pascal Dusapin finden Lothringer Nebel, Macbeth und eine verrückte Katze verschlungen zueinander. Der Komponist ist „Artist in Focus“am Saarländischen Staatstheater.
Er muss doch etwas Besonderes sein. Dieser dichte Lothringer Nebel, der in der dunklen Jahreszeit an der Mosel faulenzt und sich morgenträge an die Hänge schmiegt. Exakt diesen Nebel hat Pascal Dusapin, kaum aus Paris am Saarbrücker Bahnhof angekommen, am Freitagabend auf dem Bahnsteig sofort wiedererkannt. „Ich bin extra in die andere Richtung gegangen, um ihn zu fotografieren, obwohl alle anderen zum Ausgang liefen.“Der Komponist aus Montmartre, einer der meistgespielten Komponisten zeitgenössischer Musik, und der Lothringer Nebel sind alte Bekannte, deren Wege sich immer wieder kreuzen. In Nancy und Metz, den Städten seiner Kindheit, an jenem Freitagabend in Saarbrücken und in der Schicksalshölle des Shakespeare‘schen Königmörders Macbeth.
Kein Nebel weit und breit am Samstagmittag aber, als Dusapin im Großen Saal des Saarländischen Staatstheaters einer Probe seiner Stücke „Go“und „Aufgang“beiwohnt. Die Werke Dusapins, in dieser Spielzeit „Artist in Focus“, sollen an jenem Abend im Inspirationskonzert gespielt werden. Am Dirigentenpult steht Justus Thorau als Erster Kapellmeister, Dusapin hat in einer der vorderen Publikumsreihen Platz genommen. In der Innentasche seines Jacketts, allzeit vorzeigebereit, ein negativer Covid-Test. Doch nach dem Papier habe den Komponisten aus Paris, der im März an dem neuartigen Coronavirus erkrankt war, bisher noch keiner gefragt. Die Musiker sitzen, coronakonform, auf Abstand und bis ans hintere Bühnenende verteilt. Nicht ohne klangliche Konsequenz. „Ihr müsst in den energischen Stellen stärker sein, mehr jazzig“, sagt Dusapin auf Englisch, nachdem er Thorau in einer Spielpause gefragt hat, ob er den Musikern Tipps geben kann. „Seid, wenn möglich, wilder“, gibt er ihnen mit. Zum Wilden hat Dusapin einen besonderen, aber naheliegenden Bezug. So ähnlich wie zum Lothringer Nebel.
„Es ist ein sehr schöner Klang“, sagt Dusapin nach der Probe. „Das Gleichgewicht des Orchesters ist durch die Abstände sehr verändert. Ich hatte das Gefühl, vor einem Mischpult zu stehen, an dem man die einzelnen Regler hochziehen kann, normalerweise klingt es voluminöser.“Aber Musik müsse sich auch anpassen, sagt Dusapin und bescheinigt den Musikern des Saarländischen Staatsorchesters, „sie sind gut“. „Go“ist der Auftakt von sieben Kompositionen, die er über einen Zeitraum von 19 Jahren geschrieben hat. Dazwischen immer wieder andere Werke. „,Go’ ist ein bisschen wild, fast fröhlich in seiner Energie“, sagt er über sein 1990 entstandenes Stück. Wild wie ein Tiger? „Nein, eher wie eine Katze, sympathisch, aber gaga.“Da fällt ihm das Tier, das er damals hatte, ein. „Sie war total verrückt, ist wie ein Fallschirmspringer vom Haus gesprungen“, erinnert sich Dusapin und erzählt, „einmal ist sie im fünften Stock aus dem Fenster gesprungen und hat sich verletzt.“
Seinem musikalischen Schreiben hat Dusapin in einem Interview mit dem Figaro einmal etwas Gewaltsames beigemessen. „Ich kenne keine Welt ohne Musik, aber Musik zu schreiben kann etwas sehr Gewaltsames sein. Man muss leben, was man schreibt, und alle ihre Gefühle und Affekte durchleben, die aus einem kein ruhiges Wesen machen.“Dusapin hat ein Ventil gefunden für all’ die Gefühle der einzelnen Instrumente, deren Durchleben er sich beim Komponieren auferlegt – in der Schwarz-Weiß-Fotografie. Er veröffentlicht Bücher, stellt seine Fotos aus. Die Beziehung zur Fotografie beschreibt er als sanft, kampflos, nicht-kompetitiv. Dazu im Kontrast stehen wieder die Stoffe, die er sich mit seinen Opern „Penthesilea“und „Faustus. The Last Night“ausgesucht hat. Viel Leidenschaft und Gewalt – oder wie Dusapin sich ausdrückt, „das ist nicht ,Unsere kleine Farm’“.
Das gilt auch für sein „Macbeth Underworld“, das 2019 in Brüssel uraufgeführt wurde und im Februar in Saarbrücken seine Deutsche Erstaufführung erleben wird. „Das Drama ist als Albtraum eines Verbrechers aufgelegt, der nachts von seinen Taten heimgesucht wird, und sein Leben in einer Welt der Ruinen immer wieder lebt.“Ein sehr zeitgenössisches Thema, erklärt Dusapin, verweist auf internationale Konflikte wie derzeit in Armenien, die russische Politik oder die der USA, und erklärt „ein Verlangen
nach Scherbenhaufen“. Sein Macbeth sei eine Oper mit sehr schaurigen, traurigen, starken, aber auch witzigen Momenten. „Die Musik ist sehr kräftig, die Oper beginnt mit einem heftigen Akkord“, beschreibt der Komponist, und ergänzt, „sie ist melodisch, sehr gesungen, auch geschrien, und spiegelt alle Affekte wider“. Das leistet auch eine digitale Orgel. Wobei dieses Instrument Dusapin mit seiner Kindheit in Metz verbindet. „Als ich sie zum ersten Mal gehört habe, hat das mein Leben verändert. Ich wurde zwar kein toller Organist, aber verrückt nach diesem Instrument, das das musikalische
Gehör sehr gut formt.“Ein Andenken, das an die Kindheit geknüpft ist, wie der Nebel. „Ich habe erkannt, dass er nicht nur melancholisch ist, sondern eine starke Kindheitserinnerung, die mich inspiriert hat. Ich habe mich viel mit der Traurigkeit beschäftigt, weil sie ein ehrliches Gefühl ist, mit dem man nicht mogeln kann. In der Traurigkeit liegt eine Wahrhaftigkeit, die mich berührt.“Das Dekor des Brüsseler „Macbeth Underworld“sei dunkel, wie eine Wolke, auch nebelhaft, gewesen. Von der Saarbrücker Fassung will sich Dusapin überraschenen lassen.
„Deutschland ist sehr
großzügig zu mir, klassische Musik ist hier
sehr integriert.“
Pascal Dusapin
Komponist