„Es ist nicht Aufgabe des Wirtes, Polizei zu spielen“
Falsche Angaben auf Corona-Gästelisten machen eine Kontaktnachverfolgung unmöglich. Doch wer muss kontrollieren?
US-Präsident Donald Trump war im Saarland, und traf sich mit Vladimir Putin und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in einem Saarbrücker Restaurant. Am Nachbartisch saßen Mickey Mouse und James Bond. So stand es zumindest auf der Corona-Gästeliste. Dass die Namen nicht echt sind, versteht sich. Falsche Angaben auf Zetteln in gastronomischen Betrieben sind gängig – und machen die Nachverfolgung von Infektionsketten bei einem Corona-Fall unmöglich.
„Solche Fälle haben wir auch schon gehabt. Wir haben diese Gäste dann unseres Hauses verwiesen“, sagt Frank Nilles. Er betreibt die Kult-Kneipe „Nilles Saarbrooklyn“im Nauwieser Viertel der Landeshauptstadt. Er und seine Mitarbeiter hätten langjährige Erfahrung im Umgang mit renitenten Gästen. „Wir machen da eine klare Ansage, dass sie alles korrekt ausfüllen müssen.“Im Großen und Ganzen sei die Situation aber „entspannt“. Die meisten Gäste hielten sich an die Vorgaben. „Wir haben auch zu 90 Prozent Stammgäste – da wissen wir, dass die Angaben stimmen.“
Wer im Saarland beim Ausfüllen der Listen schwindelt, dem droht kein Bußgeld. Anders in Bayern: Dort müssen die „Max Mustermanns“dieser Welt bis zu 250 Euro zahlen. In Schleswig-Holstein drohen bis zu 1000 Euro. Noch regelt im Saarland die Corona-Verordnung den Umgang mit Gästelisten – allerdings recht vage. Darin festgeschrieben: Gastronomen müssen „geeignete Maßnahmen zur vollständigen Nachverfolgbarkeit sicherstellen“. Die Wirte müssen die Daten nach einem Monat löschen und dürfen sie nur an die Gesundheitsämter beziehungsweise, wie in der Strafprozessordnung geregelt, mit Zustimmung eines Richters an Ermittlungsbehörden weitergeben. Für die „Ausführung und Durchsetzung“sind die Ortspolizeibehörde und bei Amtshilfe auch die Vollzugspolizei zuständig. Kommen die Gastronomen ihrer Pflicht nicht nach, drohen ihnen Bußgelder von bis zu 500 Euro.
Die Gäste aber werden in der Verordnung nicht explizit aufgefordert, die Listen richtig auszufüllen. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass die Gäste ihre Daten korrekt angeben, heißt es dazu aus dem Saar-Innenministerium auf Anfrage. „Bürger sind verpflichtet, bei bestehenden rechtlichen Voraussetzungen die entsprechenden wahrheitsgemäßen Angaben zu machen. Dies sollte im Bereich der Gästelisten neben der grundsätzlichen rechtlichen Verpflichtung schon im Eigeninteresse geschehen, weil die Kontaktnachverfolgung gegebenenfalls Leben retten kann“, sagt Ministeriumssprecherin Katrin Thomas.
Frank Hohrath, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) Saar, sieht das kritischer. Eine Verordnung habe zwar die gleiche bindende Wirkung wie ein Gesetz, sagt er. Aber: Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes spricht in seiner Bewertung der Verordnung „an mehreren Stellen von einer Obliegenheit, also nicht von einer Verpflichtung, die Namen anzugeben. Da kann man also drüber streiten“.
Eine Lücke, die das neue Gesetz zur Kontaktnachverfolgung schließen wird? Der Verfassungsgerichtshof hatte im August erklärt, dass die saarländische Corona-Verordnung bei Gästelisten gegen die Landesverfassung verstößt. Bei dem weitgehenden Eingriff in die Grundrechte der Bürger reiche eine Verordnung nicht aus, hieß es. Der Landtag arbeitet an einem Gesetz, das bis zum 30. November beschlossen sein muss. Diese Frist hatte der Verfassungsgerichtshof gesetzt.
Doch selbst mit einem Gesetz lässt sich das Problem mit falschen Namen kaum in den Griff bekommen. „Falsche Personenangaben, das ist kein Kavaliersdelikt“, sagte Kanzlerin Angela Merkel Ende September nach den Beratungen mit den Ministerpräsidenten
der Länder. Neben Bußgeldern für Gäste, forderte die Bundeskanzlerin Gaststättenbetreiber auf, besser zu kontrollieren. „Bei Donald Duck ist die Sache ja nicht schwierig (...), aber im Zweifelsfalle muss man sich eben dann auch noch mal den Ausweis zeigen lassen.“
Doch dürfen sich Gastronomen Ausweise zeigen lassen? „Soweit ich weiß, nicht“, sagt Kneipier Nilles. Er verlangt die Vorlage eines Ausweises nur, wenn es ums Alter seiner Gäste geht. „Wenn ich das Gefühl habe, dass der Gast jünger ist, als er sagt.“
Während das Innenministerium von einer „Überprüfungspflicht“spricht, in der die Gastwirte stünden, steht hierzu nichts Explizites in der Corona-Verordnung. Frank Hohrath betont, dass die Kontaktnachverfolgung und der Infektionsschutz zwar richtig und wichtig, und alle Wirte dazu bereit seien. Sie sollten darauf bestehen, dass die Listen richtig ausgefüllt werden und gegebenenfalls von ihrem Hausrecht Gebrauch machen, die Gäste nicht zu bewirten. Es sei letztlich aber eine „hoheitliche Aufgabe“, dies zu kontrollieren. Hohrath warnt davor, „Gastronomen als Werkzeuge des Staates“zu instrumentalisieren. „Die Politik muss die Menschen überzeugen, klare Angaben zu machen. Es ist nicht Aufgabe des Wirtes, Polizei zu spielen.“Der Ausweis enthalte zudem viel mehr Daten, als auf den Listen nachgefragt würde.
Wie oft Gäste Listen im Saarland falsch ausfüllten, darüber gebe es keine Erhebung, sagt Hohrath. Auch seien die Daten nicht so häufig angefordert worden, „weil es gar nicht so viele Infektionen in diesem Bereich gibt“.
Nachdem einige Gesundheitsämter im Saarland geklagt hatten, dass vermehrt Listen nicht vollständig oder fehlerhaft ausgefüllt worden seien, hatte Innenminister Klaus Bouillon (CDU) im Sommer angekündigt, dass die Vollzugspolizei die kommunalen Ortspolizeibehörden bei Kontrollen in Gastronomiebetrieben unterstützt.
Wie das Ministerium der SZ mitteilt, hatte es im Zeitraum vom 21. August bis zum 8. Oktober 34 gemeinsame Kontrolleinsätze gegeben, davon zehn in Saarbrücken. 143 Polizisten seien im Einsatz gewesen. Rund 330 Gaststätten hatten die Behörden unter die Lupe genommen. Zahlreiche Verstöße mit Blick auf die Corona-Gästelisten haben sie festgestellt. Eine konkrete Zahl nennt das Ministerium aber nicht: Da die Behörden bei den Einsätzen auch andere Verstöße, etwa gegen die Einhaltung des Mindestabstands und das Tragen einer Maske, festgestellt haben – und „bei der Einsatzdokumentation nicht zwischen Verstößen unterschieden wurde“.
Ob Gästen im Saarland ebenfalls Bußgelder wegen falsch ausgefüllter Listen drohen, steht nicht fest. Frank Hohrath würde das nicht begrüßen. „Ich halte wenig von Bußgeldvorschriften, sondern mehr davon, auf Mitmachen zu setzen.“Er sieht in den Besuchen der Gaststätten im Übrigen auch nicht den Treiber von Infektionen. „Das sind vor allem private Feiern und Veranstaltungen“, wo viele die Regeln nicht beachten würden. In den Restaurants und Kneipen funktionierten die Hygienekonzepte hingegen.