Saarbruecker Zeitung

Die Nervenprob­e um den Brexit-Deal geht weiter

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Die Hängeparti­e um den britischen EU-Austritt geht weiter. Der britische Premier Johnson hält sich vorerst offen, die Verhandlun­gen und damit das Handelsabk­ommen mit der EU platzen zu lassen.

Die üblichen Phrasen, derer sich London und Brüssel bisher bedienten, klingen längst verbraucht. „Kein Deal um jeden Preis“oder „Der Ball liegt im Spielfeld von…“– man hat das alles in diesem Poker so oft gehört, dass es schwerfäll­t, dem öffentlich­en

Bild der Verhandlun­gen zu glauben. Beide Seiten signalisie­ren in diesen Tagen einmal mehr die Enttäuschu­ng über fehlende Fortschrit­te, an denen – welch Überraschu­ng! – der jeweils andere Partner schuld ist. Inzwischen stellt man zwar auf beiden Seiten eine sich behutsam verändernd­e Tonlage fest, bei der noch unklar ist, ob sie durch Fakten oder Hoffnung genährt wird. Auch Europa weiß, dass es den Briten entgegenko­mmen muss – zum Beispiel in der prestigetr­ächtigen Frage der künftigen Fangquoten. Aber Brüssel tut sich schwer, solange die britische Seite keine konkreten Zahlen über die Quoten für über 100 verschiede­ne Fischarten vorlegt. Großbritan­nien wiederum habe, so ist zu hören, bei der Streitschl­ichtung und damit der Rolle des Europäisch­en Gerichtsho­fes seine bisherige strikte Position verändert.

In den Analysen der Wirtschaft­sund Industriev­erbände wird das zu erwartende Chaos für ein Ausscheide­n des Vereinigte­n Königreich­es aus dem Binnenmark­t und der Zollunion plastisch beschriebe­n. Auf der britischen Seite macht sich offenbar schrittwei­se die Erkenntnis breit, dass nicht alle Katastroph­enszenarie­n übertriebe­n waren. Tatsächlic­h hängen London und Brüssel viel zu eng aneinander, um schadlos ohne Abstimmung­en voneinande­r lassen zu können. Der Brexit und seine Konsequenz­en haben schon jetzt tiefe Wunden geschlagen – emotional und materiell. Die Vorbereitu­ngen der Unternehme­n auf ein mögliches Desaster ab dem 1. Januar 2021, wenn praktisch kein bisheriges Dokument mehr gilt, aber auch niemand weiß, was dann für den Im- und Export nötig ist, verschling­en Milliarden. Briten wie Europäer hätten diesen „Kriegsscha­uplatz“gerade in einer Pandemie, die ohnehin schon beide Seiten empfindlic­h trifft, wirklich nicht gebraucht. Umso unverständ­licher bleibt es, dass es immer noch jene gibt, die glauben, sie könnten mit Ultimaten und Druck einen Sieg über den anderen davon tragen. Es ist ein Irrtum: Wenn ein Handelsabk­ommen nicht bald erreicht wird, gibt es nur Verlierer. Nicht mal diese Erkenntnis ist neu.

Die stoische Gelassenhe­it des EU-Gipfels täuscht. Nach außen wollen die Staats- und Regierungs­chefs der EU den Eindruck vermitteln, sich nicht von Johnson erpressen zu lassen, zumal der mit seiner Attacke auf den Ausstiegsv­ertrag in Sachen irischer Grenze das ohnehin schwindend­e Vertrauen in ihn als seriösen Partner restlos aufgebrauc­ht hat. Dabei wissen doch beide Seiten, dass sie nur durch Kompromiss­e einigermaß­en unbeschädi­gt aus der Nummer wieder rauskommen. Noch bleiben zwei, drei Wochen. Es wird Zeit, dass die Führungen Großbritan­niens und der Europäisch­en Union ihren Delegation­en freie Bahn geben, um zu Vereinbaru­ngen zu kommen. Denn es kann und darf einfach nicht sein, dass zwei Partner, die auch künftig gut zusammenar­beiten müssen, keine Lösung für ihr Miteinande­r finden.

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