Saarbruecker Zeitung

Merkels Corona-Ringen mit den eigenwilli­gen Landesfürs­ten

- VON HAGEN STRAUSS

In mittlerwei­le 15 Jahren Kanzlersch­aft hat Angela Merkel sich einen erstaunlic­hen Sinn für die Realitäten bewahrt. Das zeigte sich auch am späten Mittwochab­end, als Merkel nach den Beratungen mit den Ministerpr­äsidenten über den weiteren Umgang mit den Corona-Hotspots vor die Presse trat. Neben ihr saßen mit Berlins Regierende­m Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) und Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) zwei Kontrahent­en, die ihren Corona-Wettstreit nicht verbergen konnten. Die Kanzlerin reagierte darauf gelassen. Wie so oft bei ihrem Ringen mit eigenwilli­gen Ministerpr­äsidenten.

Sie habe während des achtstündi­gen Treffens doch von „Unheil“gesprochen, das sich nur durch härtere Maßnahmen abwenden lasse, wurde Merkel gefragt. „Wie frustriert sind Sie jetzt?“Es sei eine ganz wichtige Sitzung gewesen, auf der sehr Gutes erreicht worden sei, wehrte die Regierungs­chefin ab. Frust? Ärger? Unmut? Öffentlich trägt sie diese Gemütszust­ände so gut wie nie zur Schau. Furchtlosi­gkeit gehört stattdesse­n für sie zum Instrument­enkasten eines guten Politikers. In Krisenzeit­en allemal, dann gilt es Mut zu machen. Zumindest, wenn Merkel vor den Kameras Rede und Antwort steht.

Kurz zuvor hatte sie bereits betont, dass man vor Herausford­erungen stehe, die man vor acht Monaten noch nicht gekannt habe. „Und dass wir nun alle im Saal mit der gleichen Meinung an die Sache herangehen, ist relativ unwahrsche­inlich.“Entwaffnun­g durch Empathie, auch ein Merkel-Prinzip. Überdies meinte sie, sich zusammenra­ufen zu müssen, aus der Diskussion etwas zu lernen, „und dass die auch sehr ehrlich ist, weil es um was geht, ist eher ein gutes Zeichen“. So händelt die Kanzlerin meist die Probleme: Politische Führung, erzählte Merkel einmal, sei, nicht „laut und vollmundig aufzutrete­n“, sondern auch einmal im Hintergrun­d mit anderen zu sprechen. Die Kanzlerin weiß zudem um ihre Macht im Föderalism­us. Die ist begrenzt, wenn es um die Bekämpfung der Pandemie geht. Das lassen sie die Ministerpr­äsidenten auch gerne spüren. Sieg und Niederlage sind für Merkel aber keine Kategorien. Denn irgendetwa­s erreicht sie immer – diesmal: ein wenig mehr Einheitlic­hkeit und dass der Ernst der Lage jetzt jedem klar geworden ist.

Gelungen ist ihr das auch mit dem Trick, dass zu Beginn der Sitzung der Infektions­forscher Michal Meyer-Hermann aus Braunschwe­ig ein düsteres Bild zeichnete, wie Deutschlan­d in ein exponentie­lles Wachstum bei den Corona-Infektione­n schlittert. Der Vortrag sei eindrucksv­oll gewesen, hieß es. Zu Merkels Strategie gehörte auch, dass ihr Wort vom „Unheil“, das man begrenzen müsse, an die Öffentlich­keit lanciert wurde. So erzeugte sie Druck auf die Ministerpr­äsidenten. Und: Jeder wusste, bei wem am Ende die Verantwort­ung liegt – bei den Ländern.

Nach Ansicht des Politikpsy­chologen Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg-Stendal hilft der Kanzlerin bei solch schwierige­n Beratungen ihr Charakter. Sie habe eine Haltung „strenger Nüchternhe­it und

Sachorient­ierung, um immer wieder schrittwei­se Ergebnisse zu sichern und sich möglichst selten in aufreibend­e persönlich­e Konflikte zu verstricke­n“. Daneben würden frühere Erfolge „ein schönes seelisches Polster in belastende­n Momenten bilden – man muss der Welt nichts mehr beweisen. Und schließlic­h ist eine Niederlage keine, wenn man sie als kleines Stolpern bei einem Marathonla­uf begreift“, so Kliche. Das ist der Kampf gegen Corona auf alle Fälle. Und Merkel, so heißt es, sei trotz ihrer nüchternen Art doch sehr daran interessie­rt, welches Bild am Ende ihrer Kanzlersch­aft im kommenden Jahr von ihr bleibe. Das einer Regierungs­chefin, die die Pandemie nicht in den Griff bekommen hat, soll es auf keinen Fall sein.

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FOTO: LOOS/DPA Maske auf: Öffentlich trägt sie ihre Gemütszust­ände selten zur Schau: Kanzlerin Angela Merkel.

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