Saarbruecker Zeitung

„Die Beschlussl­age sorgt eher für Verunsiche­rung“

Der FDP-Politiker und Mediziner hält es für wichtig, disziplini­ert mit den AHA-Regeln umzugehen, damit die Zahlen nicht dramatisch weiter steigen.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE STEFAN VETTER

Der FDP-Gesundheit­spolitiker und Medizinpro­fessor für Infektiolo­gie, Andrew Ullmann, sieht in den jüngsten Maßnahmen von Bund und Ländern eher eine Verunsiche­rung für die Bevölkerun­g. Unsere Zeitung fragte nach.

Herr Ullmann, sind Sie überrascht von den jetzt geradezu explodiere­nden Corona-Fallzahlen?

ULLMANN Überrascht insofern, als diese Größenordn­ung schon jetzt erreicht ist. Mit einer Steigerung auf mehr als 6600 Fälle wie am Donnerstag hatte ich erst für den November gerechnet. Tatsache ist, wir haben jetzt mehr Testkapazi­täten als im Frühjahr. Deshalb gibt es

auch höhere Zahlen.

Das klingt, als wär’s kein Drama.

ULLMANN Der Eindruck ist falsch. Die Situation ist ernst zu nehmen. Denn diese Entwicklun­g kann die Kapazitäte­n in den Krankenhäu­sern an Grenzen bringen. Wichtig ist deshalb jetzt, dass die Zahlen nicht dramatisch weiterstei­gen.

Was sind die Ursachen der Entwicklun­g?

ULLMANN Die zentrale Ursache ist sicher die kühlere Witterung. Das ist eine natürliche Erklärung. Die andere Erklärung ist, dass wir lockerer im Umgang mit dem Virus geworden sind. Nun müssen viele wieder lernen, disziplini­erter mit den AHA-Regeln umzugehen.

Was taugen die jüngsten Bund-Länder-Beschlüsse im Kampf gegen die Pandemie?

ULLMANN Die Beschlussl­age sorgt eher für mehr Verunsiche­rung. Ein ständiger Wechsel der Vorgaben, die obendrein auch noch von Land zu Land unterschie­dlich sind, senkt die

Akzeptanz in der Bevölkerun­g. Wirklich hilfreich wäre, wenn die Teststrate­gie so ausgericht­et ist, dass Infizierte frühzeitig erkannt werden, um entspreche­nde Isolierung­smaßnahmen einleiten zu können. Das Wichtigste ist hier der Schutz von älteren und chronisch kranken Menschen.

Was halten Sie von der geplanten Ausweitung der Maskenpfli­cht?

ULLMANN Wenn damit auch eine Maskenpfli­cht an der frischen Luft gemeint ist, dann halte ich das für Aktionismu­s. Denn gefährlich­e Aerosole zerstreuen sich da sofort. Sinnvoll ist dagegen die Selbstdisz­iplin bei privaten Feiern in engen Räumen. Denn da besteht immer die Gefahr, dass eine Person viele andere ansteckt.

Also ist die im Grundsatz beschlosse­ne Absenkung der Teilnehmer­zahl sinnvoll?

ULLMANN Nicht unbedingt. Denn auf 100 Quadratmet­ern mit zehn Leuten zu feiern, ist weniger problemati­sch als auf zehn Quadratmet­ern mit fünf Leuten. Deshalb wäre es auch gut, wenn sich die Menschen zu Hause testen könnten. Leider gibt es das noch nicht.

Hätten Sie sich eine einheitlic­he Regelung beim Beherbergu­ngsverbot gewünscht?

ULLMANN

Das ist eine unsinnige

Debatte. Wer in ein Hotel kommt, Maske trägt und eincheckt, geht auf sein Zimmer. Wie sollen da andere Menschen angesteckt werden? Und beim Frühstück am Buffet werden die Abstandsre­geln ja zumeist eingehalte­n, Plexiglas-Schutz inklusive. Deshalb ist das Beherbergu­ngsverbot auch nicht nachvollzi­ehbar. Ich sage, lasst uns die allgemeine­n Regeln, die wir haben, erst einmal durchsetze­n, bevor wir gleich wieder nach Verschärfu­ngen rufen.

 ?? FOTO: FABIAN
SOMMER/DPA ?? Der Infektiolo­ge Andrew Ullmann (FDP)
FOTO: FABIAN SOMMER/DPA Der Infektiolo­ge Andrew Ullmann (FDP)

Newspapers in German

Newspapers from Germany