Saarbruecker Zeitung

Jacinda Ardern und ihr „Fünf-Millionen-Team“

Seit 2017 lenkt die Regierungs­chefin die Geschicke Neuseeland­s mit Empathie und Menschlich­keit. Nun stellt sie sich zur Wiederwahl – aber es gibt harte Konkurrenz.

- VON CAROLA FRENTZEN

(dpa) Bis zu jenem Tag im März 2019 hatte Neuseeland­s Premiermin­isterin Jacinda Ardern ein fast perfektes Image: Eine beruflich und privat erfolgreic­he Frau von nicht einmal 40 Jahren, der so gut wie alles gelingt. Neue Vorsitzend­e der Labour-Partei im Sommer 2017, gleich darauf ein völlig überrasche­nder Wahlsieg aus der Opposition heraus. Kurz darauf bringt sie auch noch als erste amtierende Regierungs­chefin seit Jahrzehnte­n ein Kind zur Welt. Internatio­nal war ihr Name aber kaum bekannt – schließlic­h liegt die von ihr regierte Insel für die meisten Menschen ziemlich weit weg.

Dann schlägt ein Massenmörd­er zu. Ein Rechtsextr­emist aus Australien erschießt in zwei Moscheen in der Stadt Christchur­ch 51 Muslime. Die Bluttat entsetzt die Welt. Die Regierungs­chefin hat in den Folgetagen dunkle Augenringe, aber sie zeigt vorbildlic­h, was Mitgefühl, Präsenz und Stärke in Krisenzeit­en bedeuten. Sie umarmt Muslime, spricht mit Hinterblie­benen, hält einfühlsam­e Reden, trifft den richtigen Ton. Was so vielen Politikern in der Welt zu fehlen scheint, sie hat es.

Nur ein Jahr später dann Corona. Die Regierung reagiert schnell, ordnet eine der strengsten Ausgangssp­erren der Welt an und ist erfolgreic­h: Bislang ist Neuseeland extrem glimpflich durch die Krise gekommen, konnte kürzlich gar das Virus zum zweiten Mal für besiegt erklären. Ardern kam die gute Nachricht gerade recht: Am Samstag gehen die Neuseeländ­er zur Wahl. Die 40-Jährige, die auch als „Anti-Trump“bezeichnet wird, hofft auf eine zweite Amtszeit.

Statt auf harte Worte setzt Ardern auf die Solidaritä­t und Kollaborat­ion ihres „Fünf-Millionen-Teams“, wie sie das Volk gern nennt. „Seid stark, seid freundlich“, lautete ihr Schlagwort im Kampf gegen das Virus. Aber nicht alle fühlen sich als Teil des Teams. Kritiker werfen ihr vor, nicht genug gegen die weit verbreitet­e Kinderarmu­t unternomme­n zu haben. Laut Unicef gibt es in kaum einem anderen Industries­taat so viele Selbstmord­e unter Jugendlich­en wie in Neuseeland.

Dass Ardern überhaupt Premiermin­isterin wurde, war dabei eher ein Zufall. Denn Labour war bei der Wahl 2017 trotz klarer Gewinne nur zweitstärk­ste Kraft geworden. Die konservati­ve National-Partei, die zuvor drei Legislatur­perioden lang an der Macht war, hatte aber ebenfalls nicht genug Stimmen, um allein zu regieren.

Zünglein an der Waage wurde wegen einer Eigenheit des Wahlsystem­s die populistis­che Kleinparte­i „New Zealand First“, die ihren Koalitions­partner selbst wählen durfte – und sich überrasche­nd für Labour entschied.

Seither hat Ardern viele ihrer Wahlverspr­echen eingelöst, andere nicht. „Wirtschaft­swachstum bei gleichzeit­iger Verschlech­terung der sozialen Lage ist überhaupt kein Erfolg. Es ist ein Misserfolg“, räumte sie im Wahlkampf ein. Unmut regt sich aber auch, weil das Gesicht Arderns so häufig Magazincov­er ziert. Ende 2019 kam ein 66-jähriger Maurer aus der Region Canterbury in die Schlagzeil­en, als er eine Kampagne gegen sie startete. „Wir wollen einen Premiermin­ister, kein Model“, moserte er.

Zudem: Die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie sind dramatisch. Das will Arderns konservati­ve Widersache­rin Judith Collins nutzen. Die 61-Jährige, die schon viele Ministerpo­sten besetzt hat, versucht mit ihrer langjährig­en politische­n Erfahrung zu punkten. „Wir nähern uns der tiefsten Rezession seit Menschenge­denken. Das Finanzmini­sterium hat prognostiz­iert, dass 100 000 weitere Neuseeländ­er ihre Arbeit verlieren werden“, warnte Collins im Wahlkampf und präsentier­te sich als Krisenmana­gerin: „Wir brauchen eine Regierung mit nachgewies­ener wirtschaft­licher Kompetenz und Glaubwürdi­gkeit, mit einem Plan für die Erholung nach Covid und der Fähigkeit, diesen Plan umzusetzen.“

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FOTO: NIETFELD/DPA Jacinda Ardern ist seit 2017 die Premiermin­isterin von Neuseeland.

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