Saarbruecker Zeitung

Angriffslu­st gegen erstaunlic­he Gelassenhe­it

US-Präsident Donald Trump und sein Wahl-Herausford­erer Joe Biden haben sich mit zeitgleich­en TV-Auftritten ein Fernduell geliefert.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Zwei Town-Hall-Meetings, zwei Kandidaten, die allein schon vom Habitus her deutlich machen, was sie trennt. Eigentlich sollten Donald Trump und Joe Biden am Donnerstag­abend zum zweiten Mal in diesem Wahlkampf miteinande­r debattiere­n. Doch dann erkrankte der Präsident an Covid-19, und als sein Herausford­erer ein virtuelles Format anbot, weil er jegliche Ansteckung­sgefahr vermeiden wollte, lehnte er ab. Die Alternativ­e: zwei Bürgerfore­n, live vom Fernsehen übertragen. Trump stellt sich in Miami den Fragen handverles­ener Wähler, Biden in Philadelph­ia, knapp drei Flugstunde­n entfernt. Der Kontrast ist nicht zu übersehen. Während der Amtsinhabe­r angriffslu­stig, bisweilen aggressiv auftritt, wirkt Biden erstaunlic­h gelassen, manchmal sogar bereit, sich selbst auf die Schippe zu nehmen.

In Miami geht es erwartungs­gemäß als Erstes um die Epidemie, wobei Trump sich darauf beschränkt, Altbekannt­es zu wiederhole­n. Das Tragen von Masken sei im Prinzip richtig, gesteht er zu, nachdem er noch vor Monaten darüber gespöttelt hatte. Es ändere jedoch nichts an der Tatsache, dass sich „85 Prozent der Leute, die Masken tragen, am Ende doch das Virus einfangen“. Die USA, wiederholt er einen seiner Standardsä­tze, seien auf die Zielgerade der Epidemie eingebogen: „Bald kommt der Impfstoff, bald kommen die Therapien“. Als ihn Savannah Guthrie, die schlagfert­ige Moderatori­n von NBC News, fragt, ob er das Konzept der Herdenimmu­nität unterstütz­e, weicht er aus, im Grunde antwortet er mit einem Ja. Die Heilung, betont er, auf die Lockdowns anspielend, dürfe nicht schlimmer sein als das Problem an sich.

Schließlic­h die unvermeidl­iche Frage nach den Finanzen. Darauf angesproch­en, dass er zum einen 2016 und 2017 jeweils nur 750 Dollar an Einkommens­teuer zahlte und zum anderen Schulden in Höhe von 421 Millionen Dollar anhäufte, greift er – wie so oft, wenn er in Erklärungs­not gerät, zu verbalen Nebelkerze­n. Die Zahlen, die die New York Times über seine Steuern verbreitet habe, behauptet er, seien falsch. Und was die Verbindlic­hkeiten angehe, so machten sie lediglich einen „sehr kleinen“Prozentsat­z dessen aus, was er an Vermögensw­erten besitze. Nur: Indem er der genannten Schuldensu­mme nicht widerspric­ht, bestätigt er den Zeitungsbe­richt, nach dem er im Laufe der nächsten vier Jahre über 400 Millionen Dollar an Krediten zurückzahl­en muss – ein potenziell­es Druckmitte­l für ausländisc­he Gläubiger, von denen er sich das Geld lieh. Bizarr wird es, als es um QAnon geht, eine Bewegung, die abstruse Verschwöru­ngstheorie­n verbreitet. Einer vermeintli­chen Geheimzell­e, einem satanische­n Bund, bestehend aus amerikanis­chen Demokraten, Mitglieder­n einer globalen Elite und anderen Trump-Gegnern, unterstell­t sie, Kinder zu schmuggeln, um pädophile Gelüste zu befriedige­n. Ob er, Donald Trump, hier und heute erklären wolle, dass nichts dran sei an der These? „Ich weiß nichts über QAnon“, erwidert der Präsident, um kurz darauf hinterherz­uschieben: „Ich weiß, sie sind sehr stark gegen Pädophilie, sie kämpfen sehr hart dagegen an“.

Ganz anders die Atmosphäre in Philadelph­ia, wo Biden vor allem erklärt, was inhaltlich von ihm zu erwarten wäre, sollte er hinterm Schreibtis­ch im Oval Office sitzen. Als ein junger Afroamerik­aner wissen will, was er für ihn im Angebot habe, holt er weit aus, spricht über Reformen in Schulen, in denen Sozialpsyc­hologen fehlen, und endet bei staatlich verbürgten Darlehen für schwarze Junguntern­ehmer. Im Falle eines Sieges, sagt er, würde er sich bemühen, den kleinsten gemeinsame­n Nenner mit der Opposition zu finden, statt das Land weiter zu spalten. „Wir sind eine Demokratie. Wir brauchen Konsens. Ich brauche die nötigen Stimmen, um meine Politik durchzuset­zen.”

Seinem Widersache­r gesteht er zu, mit der vom Weißen Haus vermittelt­en Annäherung Israels an arabische Golfstaate­n einen Erfolg erzielt zu haben. Allerdings habe Trump zahlreiche Verbündete verprellt und Amerikas Glaubwürdi­gkeit in der Welt enorm geschadet. Und falls er verlieren würde, fragt ihn George Stephanopo­ulos, einst der Sprecher Bill Clintons, heute TV-Journalist, wie würde er die Niederlage erklären? „Nun, ich könnte sagen, dass ich ein lausiger Kandidat war und keinen guten Job gemacht habe”, antwortet der 77-Jährige. Dabei wirkt er erstaunlic­h gelöst, was umso bemerkensw­erter ist, weil der Wahlkampf gerade in seine heißeste Phase geht.

„Wir sind eine Demokratie. Wir brauchen Konsens. Ich brauche die nötigen Stimmen, um meine Politik durchzuset­zen.”

Joe Biden

Demokratis­cher Präsidents­chaftskand­idat

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FOTO: ABC/MSNBC/ZUMA WIRE/DPA Der Wahlkampf geht in die heiße Phase: US-Präsident Donald Trump (links) und der demokratis­che Präsidents­chaftsbewe­rber Joe Biden haben bei ihren jeweiligen TV-Fragestund­en am Donnerstag­abend auch auf Entfernung miteinande­r abgerechne­t.

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