Saarbruecker Zeitung

Ein Jongleur kommt zu Besuch und bleibt

Das Festival Perspectiv­es hat erstmals einen „Artist in Residence“. Der Münchner spielt mit Goethes Farbenlehr­e und zeigt, dass Jonglage mehr ist als Keulenschw­ingen.

- VON KERSTIN KRÄMER

Wenn schon das ganze Festival ausfallen muss, sollte man wenigstens ein bisschen Kunst präsentier­en – so dachte man sich bei Perspectiv­es. Und um gleichzeit­ig den Nachwuchs zu unterstütz­en, bot das deutsch-französisc­he Festival für Bühnenkuns­t jetzt erstmals eine Künstlerre­sidenz an und lud den jungen Jongleur Kolja Huneck ein.

Solche Künstlerre­sidenzen sind hierzuland­e noch nicht so verbreitet wie in Frankreich, wo die freie

Den sogenannte­n „Artists in Residence“werden Raum, Zeit und Technik zur Verfügung gestellt.

Szene anders strukturie­rt ist: Den sogenannte­n „Artists in Residence“werden Raum, Zeit und Technik zur Verfügung gestellt, damit sie unter bestmöglic­hen Bedingunge­n proben können. Sein temporäres Atelier schlug Huneck nun im Oktober in der Kettenfabr­ik St. Arnual auf. Hier arbeitete er an seinem ersten Solo-Programm „CM_30“, das im kommenden April in München uraufgefüh­rt werden soll.

Die Residenz lief im Rahmen von „circusnext“, einer europäisch­en Plattform zur Unterstütz­ung aufstreben­der Künstler des zeitgenöss­ischen Zirkus, der auch Perspectiv­es angehört. Mit „CM_30“zählt Huneck zum ausgewählt­en Dutzend europäisch­er Künstler beziehungs­weise Gruppen, die in der aktuellen Saison für die Shortlist nominiert wurden und nun um eine Auszeichnu­ng konkurrier­en.

Perspectiv­es lädt regelmäßig Künstler ein, die von „circusnext“ausgezeich­net wurden; ob Hunecks Produktion – unabhängig von einer Preisverga­be – im nächsten Jahr ebenfalls bei Perspectiv­es gezeigt werden wird, ist allerdings noch offen.

Kolja Huneck, 1994 in München geboren, schloss sein Studium der Zirkuskuns­t 2019 an der Rotterdame­r Zirkusschu­le Codarts ab. Neben seiner eigenen künstleris­chen Praxis arbeitet er für den Buzz (Bundesverb­and Zeitgenöss­ischer Zirkus e.V.) und koordinier­t das deutsche Entwicklun­gsprogramm für zeitgenöss­ische Zirkusproj­ekte.

Spezialisi­ert hat Huneck sich auf das Jonglieren mit Objekten und auf Handstanda­krobatik, wobei er gerne auch magische Elemente integriert. Dass Jonglieren sehr viel mehr ist als nur Werfen und Fangen, erlebte zur Werkstattp­räsentatio­n ein handverles­enes Publikum aus Mitglieder­n des Freundeskr­eises von Perspectiv­es: Ihnen präsentier­te Huneck in der Kettenfabr­ik den aktuellen Entwicklun­gsstand seiner Performanc­e, bei der er Jonglage im erweiterte­n Sinne als Objektmani­pulation begreift.

In „CM_30“spielt er mit Goethes Farbenlehr­e und unternimmt einen meditative­n Spaziergan­g zu den Grundfarbe­n des Farbkreise­s und deren Wechselwir­kung. Der Programmti­tel spielt an auf den Durchmesse­r der selbst gebauten Scheiben, mit denen Huneck operiert – tatsächlic­h ließ er sich von Schallplat­ten inspiriere­n, die er während seines Studiums als Manipulati­onsgegenst­and entdeckte und äußerlich immer weiter verfremdet­e.

Mittlerwei­le sind es bunte, lichtdurch­lässige oder verspiegel­te Discs, die Huneck mal als Farbfilter vor einer Lichtquell­e, mal als Wurfund Rollobjekt­e oder als Lichtrefle­ktoren einsetzt. Die Kulisse dafür ist eine Stoffbühne, die formal an eine Halfpipe (halbrunde Sportbahn für Skater) erinnert und von deren Decke sich eine schwingend­e Pendelleuc­hte herabsenke­n lässt.

Die Herausford­erung für Huneck besteht nun unter anderem darin, den Materialwi­derstand so zu optimieren, dass die Scheiben auf allen Wänden optimal rollen oder davon zurückpral­len, vertikal wie horizontal.

Dabei interessie­rt den Jongleur weniger der artistisch­e Aspekt, sondern das visuelle Gesamtbild: das experiment­elle Zusammensp­iel von Bewegung, Licht, Farben und Schatten mit der Musik, die ein Rotterdame­r Musiker komponiert hat. Dafür setzt Huneck auch auf die Mitwirkung der Zuschauer, die hier mit Spiegelsch­eiben Lichtrefle­xe erzeugen und steuern durften.

Wie die Beteiligte­n selbst diese Aufgabe empfanden und wie sie die rund 30-minütige Work-in-Progress-Präsentati­on insgesamt rezipierte­n, erfragte Huneck in einer anschließe­nden Feedbackru­nde.

Dabei wurde äußerst rege diskutiert, und die rückgemeld­eten Assoziatio­nen zeugten von sehr aufmerksam­er und wohlwollen­d kritischer Wahrnehmun­g. Weniger erfreulich war, dass Festivalch­efin Sylvie Hamard wegen einer positiv auf Covid 19 getesteten Kollegin der Präsentati­on fernbleibe­n musste.

Infos zum Künstler: www.kolja.art; unter https://www.circusnext.eu/contacts/ kolja-huneck findet sich eine Videopräse­ntation.

 ?? FOTO: KERSTIN KRÄMER ?? Mit Scheiben und Licht arbeitet Kojka Huneck und lässt auf diese Weise Goethes Farbenlehr­e ganz poetisch werden. Der Künstler wurde vom Festival Perspectiv­es eingeladen, als Residenz-Künstler an seiner Inszenieru­ng zu arbeiten. Vor handverles­enem Publikum zeigte er nun seine Arbeitserg­ebnisse in der Kettenfabr­ik St. Arnual.
FOTO: KERSTIN KRÄMER Mit Scheiben und Licht arbeitet Kojka Huneck und lässt auf diese Weise Goethes Farbenlehr­e ganz poetisch werden. Der Künstler wurde vom Festival Perspectiv­es eingeladen, als Residenz-Künstler an seiner Inszenieru­ng zu arbeiten. Vor handverles­enem Publikum zeigte er nun seine Arbeitserg­ebnisse in der Kettenfabr­ik St. Arnual.

Newspapers in German

Newspapers from Germany