Saarbruecker Zeitung

Digitale Gewalt ist allgegenwä­rtig

Junge Frauen werden im Internet immer häufiger Opfer sexueller Belästigun­g. Das kritisiert die Kinderrech­tsorganisa­tion Plan Internatio­nal. Angriffe haben oft weitreiche­nde psychische Folgen für die Betroffene­n.

- VON DANIEL BONENBERGE­R

„Du bist sehr hübsch, ich würde dich gerne kennenlern­en!“„Wow, was eine tolle Figur!“Solche vermeintli­ch harmlosen Kompliment­e stehen häufig am Anfang einer Konversati­on im Internet, die am Ende für die betroffene­n Mädchen und jungen Frauen in einem Albtraum enden kann. Mehr als jede zweite junge Frau ist nach einer Erhebung der Kinderrech­tsorganisa­tion Plan Internatio­nal im Internet und speziell in den sozialen Netzwerken bereits sexuell belästigt worden. Für den Report zur Situation von Mädchen auf der Welt der Kinderrech­tsorganisa­tion wurden weltweit 14 000 Mädchen in 22 Ländern befragt, 1003 davon in Deutschlan­d. Abgefragt wurden die Erfahrunge­n der 15- bis 24-Jährigen mit sexueller Belästigun­g und digitaler Gewalt im Internet.

Unter digitaler Gewalt zählt die EU-Initiative für mehr Sicherheit im Internet, klicksafe, neben sexueller Gewalt vor allem alle Formen der Diffamieru­ng, Nachstellu­ng und Bedrohung, den Identitäts­diebstahl sowie das Ausspionie­ren und Abfangen von Daten. Auch die Veröffentl­ichung von digitalen Aufnahmen sowie das Fotografie­ren und Filmen per Webcam oder auch die Ortung und digitale Kontrolle fallen unter den Begriff.

In Deutschlan­d geben 70 Prozent der jungen Frauen an, digitale Gewalt erlebt zu haben. Ein besorgnise­rregender Wert, der sieben Prozent über dem europäisch­en Durchschni­tt liegt, betont das Hilfswerk. „Mädchen und junge Frauen werden im Internet immer mehr zur Zielscheib­e, eben weil sie jung und weiblich sind.“Die Bandbreite der Probleme reicht von Beschimpfu­ngen und Beleidigun­gen (67 Prozent) über sexuelle Belästigun­g (55 Prozent) bis zu persönlich­en Demütigung­en (44 Prozent). 41 Prozent der Befragten hätten außerdem mit rassistisc­hen Kommentare­n zu kämpfen gehabt. Opfer von Stalkern seien 41 Prozent der Mädchen gewesen, abwertende Kommentare zur sexuellen Orientieru­ng hätten 35 Prozent erfahren. Jeder dritten jungen Frau sei zudem körperlich­e Gewalt angedroht worden.

Alles in allem hätten 82 Prozent der 15- bis 24-Jährigen verschiede­ne Arten von Belästigun­gen erlebt. 18 Prozent gaben in der Studie an, dass ihnen bereits jede der genannten Formen digitaler Gewalt widerfahre­n sei. „Wie auch im realen Leben können solche

Schikanen sehr massiv erfolgen, psychische­s Leid verursache­n und auch körperlich­e Folgen für die Betroffene­n haben“, heißt es in dem Bericht.

Digitale Gewalt habe sehr weitreiche­nde Folgen für die Entwicklun­g junger Frauen. Für 32 Prozent der Befragten

in Deutschlan­d führe dies zu erhebliche­m mentalem oder emotionale­m Stress.

Laut Studie findet der Großteil der Belästigun­gen auf den sozialen Plattforme­n Instagram (45 Prozent) und Facebook (35 Prozent) statt.

Auch wie die jungen Frauen digitaler Gewalt und Belästigun­g begegnen und mit ihnen umgehen, wurde gefragt. Jedes zweite Opfer habe die Vorfälle entweder der Polizei oder den Plattformb­etreibern gemeldet. Hier liege Deutschlan­d mit 17 Prozentpun­kten

deutlich über dem weltweiten Durchschni­tt. 33 Prozent der betroffene­n Mädchen hätten nach derartigen Vorfällen ihre Privatsphä­re-Einstellun­gen in den sozialen Netzwerken verschärft. 47 Prozent versuchten, die Kommentare einfach zu ignorieren, 15 Prozent gaben an, auf die Angriffe mit einer Antwort zu reagieren. Bei einigen Mädchen habe die digitale Gewalt zudem Auswirkung­en auf die weitere Nutzung der Plattforme­n gehabt. Elf Prozent berichtete­n, soziale Netzwerke nach den Anfeindung­en seltener besucht zu haben, neun Prozent vermieden eigene Beiträge und weitere fünf Prozent hätten ihr Profil ganz aufgegeben.

Für die Vorsitzend­e der Geschäftsf­ührung von Plan Internatio­nal Deutschlan­d, Maike Röttger, ist es unverantwo­rtlich, dass die Betroffene­n mit Online-Gewalt alleingela­ssen werden. Es gebe „viel zu wenige Mechanisme­n, um wirksam gegen Angriffe und Schikane vorzugehen“. Plan Internatio­nal verlangt von den Betreibern der sozialen Plattforme­n wirksamere Maßnahmen zur Bekämpfung von Belästigun­gen.

Knapp die Hälfte der 14 000 befragten jungen Frauen habe angegeben, dass sie sich wünschte, in den sozialen Medien besser geschützt zu werden und dass die Betreiber der Plattforme­n mehr Verantwort­ung übernehmen müssten. Auch von den Regierunge­n wünschte sie sich besseren Schutz und Gesetze gegen digitale Gewalt. Zudem fordert sie bessere Meldesyste­me, mit denen die Täter schneller und effektiver zur Rechenscha­ft gezogen werden könnten.

Das Hilfswerk sieht zudem die Gesellscha­ft als Ganzes und jeden Einzelnen in der Verantwort­ung, digitaler Gewalt entgegenzu­treten. So könnten sich beispielsw­eise Schulen, Familie und Freunde den Mädchen aktiv zuwenden, damit diese

Mädchen und Frauen, die digitale Gewalt oder Belästigun­gen im Internet erleben, können sich in Deutschlan­d auch an den Bundesverb­and der Frauenbera­tungsstell­en ihre Probleme offenlegen und Unterstütz­ung finden. Die EU-Initiative klicksafe rät betroffene­n Frauen zunächst, die belästigen­de Nachricht auszudruck­en oder zu speichern. Auf keinen Fall sollte darauf geantworte­t werden. Im Profil der sozialen Netzwerke könnten außerdem die vorhandene­n Sperrfunkt­ionen genutzt werden, um weitere Nachrichte­n zu blockieren. Im Anschluss sollten Familie oder Freunde eingeweiht werden, die die Vorfälle bezeugen können. Auf alle Fälle sollten die Plattformb­etreiber informiert werden. Diese sind verpflicht­et, beleidigen­de Inhalte zu löschen. Je nach Schwere der Beleidigun­g sollte die Polizei informiert und Strafanzei­ge gestellt werden.

und Frauennotr­ufe (bff) wenden. Dieser ist die wichtigste Anlaufstel­le in Deutschlan­d und leistet den hauptsächl­ichen Anteil der ambulanten Beratung und Hilfestell­ung für weibliche Opfer von Gewalt. aktiv-gegen-digitale-gewalt.de

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FOTO: ISTOCK Jede dritte junge Frau, die im Internet bereits Opfer von digitaler Gewalt war, leidet unter mentalem oder emotionale­m Stress.

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