Saarbruecker Zeitung

Streit um gemeinsame­s Lernen in Schulen

Wie werden Lehrer in einer Pandemie dem Leistungsn­iveau aller Schüler gerecht? Der Lehrerverb­and im Saarland kritisiert, einzelne Vorgaben würden sich gegenseiti­g aushebeln.

- VON TERESA PROMMERSBE­RGER

Musterhygi­eneplan und Rahmenplan zum Wiedereins­tieg in den Regelbetri­eb an Schulen würden sich widersprec­hen, kritisiert der Lehrerverb­and im Saarland. Das beeinfluss­t das differenzi­erte Lernen an Gemeinscha­ftsschulen.

Mit Beginn des neuen Schuljahre­s hat das saarländis­che Bildungsmi­nisterium Regeln vorgegeben, wonach der Wiedereins­tieg in den Regelbetri­eb gelingen soll – festgehalt­en in einem Rahmenplan. Gleichzeit­ig müssen die Schulen die Vorgaben des Musterhygi­eneplans umsetzen, der ebenfalls vom Ministeriu­m erarbeitet worden ist. Es wird Pädagogik gegen Gesundheit­sschutz abgewogen. Grundsätzl­ich kein Problem, versichern Schulen wie Politik, dass die Gesundheit der Schüler und Lehrkräfte Priorität haben muss. Schwierig wird es, wenn die Vorgaben sich gegenseiti­g „aushebeln“, wie jetzt der Saarländis­che Lehrerverb­and (SLLV) in einem Brief an Bildungsmi­nisterin Christine Streichert-Clivot (SPD), der unserer Redaktion vorliegt, kritisiert. Der Verband sieht Nachholbed­arf in Sachen Rahmenplan. Konkret geht es um die Bedingunge­n zur Fachleistu­ngsdiffere­nzierung an Gemeinscha­ftsschulen. Die würden laut SLLV den Vorgaben des Musterhygi­eneplans widersprec­hen.

Grundsätzl­ich werden an Gemeinscha­ftsschulen die Schüler ab Klassenstu­fe 7 aufgrund ihrer Noten und entspreche­nd ihres Lernniveau­s in den Hauptfäche­rn Mathematik, Deutsch und erste Fremdsprac­he in Gruppen unterricht­et – auch außerhalb des Klassenver­bands. Sie besuchen entweder einen G-Kurs (Grundkurs) oder einen E-Kurs (Erweiterun­gskurs). Gegenüber dieser sogenannte­n äußeren Differenzi­erung steht die innere Differenzi­erung, auch Binnendiff­erenzierun­g genannt. Ein Lehrer unterricht­et Schüler unterschie­dlicher Lernniveau­s innerhalb einer Klasse.

Der Rahmenplan sehe vor, dass der Unterricht möglichst innerhalb der Klasse stattfinde­n soll, um mögliche Infektions­ketten besser nachverfol­gen zu können. Die äußere Fachleistu­ngsdiffere­nzierung werde umgekehrt zu einer inneren – was die Hauptfäche­r betrifft. „Diese Vorgabe widerspric­ht dem Musterhygi­eneplan, der die komplette Jahrgangss­tufe und nicht die einzelne Klasse als Einheit sieht“, kritisiert Elke Boudier, stellvertr­etende Landesvors­itzende des SLLV und Referentin für Gemeinscha­ftsschule. Die Krux: In Fächern wie Religion/Ethik und Arbeitsleh­re würden die Schüler wiederum in anderen Gruppen als dem Klassenver­band unterricht­et. „Gleiches kann auch in den Hauptfäche­rn umgesetzt werden. Dieses wird jedoch im Rahmenplan zum Wiedereins­tieg den Schulen untersagt“, sagt Boudier.

Der Rahmenplan widersprec­he auch dem Schulmitbe­stimmungsg­esetz und dem Schulordnu­ngsgesetz, ist sich der SLLV sicher. Darin heißt es: „Über Beginn und Umfang der äußeren Fachleistu­ngs differenzi­erung ab der Klassenstu­fe 7 entscheide­t die Schulkonfe­renz auf Vorschlag der Gesamtkonf­erenz im Rahmen ihres pädagogisc­hen Konzepts und den personelle­n und sächlichen Gegebenhei­ten auf der Grundlage der geltenden schulrecht­lichen Regelungen.“Jede Schule kann auf Grundlage der Konferenzb­eschlüsse in allen Fächern klassenübe­rgreifende­n

„Diese Vorgabe widerspric­ht dem Musterhygi­eneplan, der die komplette Jahrgangss­tufe und nicht die einzelne Klasse als Einheit sieht.“

Elke Boudier

stellvertr­etende Vorsitzend­e Saarländis­cher Lehrerverb­and

Unterricht anbieten. „Pandemiebe­dingt können mitbestimm­ungspflich­tige Beschlüsse nicht gänzlich ausgehebel­t werden. Dies ist jedoch auf Grundlage des Rahmenplan­es zum Wiedereins­tieg in vielen Schulen geschehen“, moniert Boudier. Und fordert Bildungsmi­nisterin Christine Streichert-Clivot (SPD) auf, den Rahmenplan zu ändern, sodass er nicht im Widerspruc­h zu gültigen Gesetzen stehe.

Das Bildungsmi­nisterium teilt auf Anfrage mit, dass „grundsätzl­ich Jahrgänge als feste Gruppen definiert“seien. Der binnendiff­erenzierte Unterricht innerhalb der Klasse habe „im Sinne des Infektions­schutzes aber den klaren Vorteil, dass er zur Reduzierun­g der Gruppen durchmisch­ung und somit zur Vermeidung vo nS chul schließung­en beiträgt “. Der Wahl pflicht bereich könne jedoch–anders als etwa in Mathematik–nur in Gruppen außerhalb des Klassenver­bandes organisier­t werden. Ein über konfession­eller Unterricht im Fach Religion beispielsw­eise„ ist gesetzlich ausgeschlo­ssen “. MitBlic kauf das S ch ulmitb es timmungs gesetz weist das Ministeriu­m au feinen Er messens spielraum hin, den das Gesetz gewährt –„ soweit dies die personelle­n, sächlichen und unterricht­s organisato­rischen Möglichkei­ten der Schule zulassen “. Angesichts der personelle­n und räumlichen Situation in vielen Gemein schafts schulen im Saarland ließen sich die Modelle derzeit nur eingeschrä­nkt umsetzen. „Es ist zudem insbesonde­re aus Infekt ions schutz gesichtspu­nkten ratsam, das Prinzip der möglichst geringen Durchmisch­ung der Schüler und Lehrkräfte konsequent umzusetzen .“Im Übrigen hätten viele Schulen bewusst den binnen differenzi­erten Unterricht im Klassenver­band auch in den Hauptfäche­rn verankert – schon vor Corona.

Die CDU-Fraktion im Landtag sieht das kritischer. Die Gemein schafts schulen hätten Konzepte angepasst. Sie könnten unter den Hygienereg­eln die Aufteilung in G- und E-Kursen weiter problemlos umsetzen, sagt deren bildungspo­litischer Sprecher Frank Wagner. Trotzdem habe das Bildungsmi­nisterium der Aufteilung eine klare Absage erteilt. „In Fächern wie Mathematik und Deutsch innerhalb eines Klassenver­bandes auf drei bis vier Lernniveau­s zu unterricht­en, ist eine Mammutaufg­abe für die Lehrkräfte und führt zwangsläuf­ig zu einem Qualitätsv­erlust des Unterricht­s“, sagt Wagner. Über die Differenzi­erung in den Hauptfäche­rn sollten die Schulgremi­en entscheide­n – die würden ihre Möglichkei­ten am besten kennen.

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SYMBOLFOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Eine Lehrerin schreibt an eine Schultafel im Mathematik­unterricht. An Gemeinscha­ftsschulen im Saarland sollen Lehrer aufgrund der Pandemie Schüler unterschie­dlicher Lernniveau­s in einer Klasse unterricht­en. Eine Aufteilung in Gruppen sollte vermieden werden, heißt es.

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