Streit um gemeinsames Lernen in Schulen
Wie werden Lehrer in einer Pandemie dem Leistungsniveau aller Schüler gerecht? Der Lehrerverband im Saarland kritisiert, einzelne Vorgaben würden sich gegenseitig aushebeln.
Musterhygieneplan und Rahmenplan zum Wiedereinstieg in den Regelbetrieb an Schulen würden sich widersprechen, kritisiert der Lehrerverband im Saarland. Das beeinflusst das differenzierte Lernen an Gemeinschaftsschulen.
Mit Beginn des neuen Schuljahres hat das saarländische Bildungsministerium Regeln vorgegeben, wonach der Wiedereinstieg in den Regelbetrieb gelingen soll – festgehalten in einem Rahmenplan. Gleichzeitig müssen die Schulen die Vorgaben des Musterhygieneplans umsetzen, der ebenfalls vom Ministerium erarbeitet worden ist. Es wird Pädagogik gegen Gesundheitsschutz abgewogen. Grundsätzlich kein Problem, versichern Schulen wie Politik, dass die Gesundheit der Schüler und Lehrkräfte Priorität haben muss. Schwierig wird es, wenn die Vorgaben sich gegenseitig „aushebeln“, wie jetzt der Saarländische Lehrerverband (SLLV) in einem Brief an Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD), der unserer Redaktion vorliegt, kritisiert. Der Verband sieht Nachholbedarf in Sachen Rahmenplan. Konkret geht es um die Bedingungen zur Fachleistungsdifferenzierung an Gemeinschaftsschulen. Die würden laut SLLV den Vorgaben des Musterhygieneplans widersprechen.
Grundsätzlich werden an Gemeinschaftsschulen die Schüler ab Klassenstufe 7 aufgrund ihrer Noten und entsprechend ihres Lernniveaus in den Hauptfächern Mathematik, Deutsch und erste Fremdsprache in Gruppen unterrichtet – auch außerhalb des Klassenverbands. Sie besuchen entweder einen G-Kurs (Grundkurs) oder einen E-Kurs (Erweiterungskurs). Gegenüber dieser sogenannten äußeren Differenzierung steht die innere Differenzierung, auch Binnendifferenzierung genannt. Ein Lehrer unterrichtet Schüler unterschiedlicher Lernniveaus innerhalb einer Klasse.
Der Rahmenplan sehe vor, dass der Unterricht möglichst innerhalb der Klasse stattfinden soll, um mögliche Infektionsketten besser nachverfolgen zu können. Die äußere Fachleistungsdifferenzierung werde umgekehrt zu einer inneren – was die Hauptfächer betrifft. „Diese Vorgabe widerspricht dem Musterhygieneplan, der die komplette Jahrgangsstufe und nicht die einzelne Klasse als Einheit sieht“, kritisiert Elke Boudier, stellvertretende Landesvorsitzende des SLLV und Referentin für Gemeinschaftsschule. Die Krux: In Fächern wie Religion/Ethik und Arbeitslehre würden die Schüler wiederum in anderen Gruppen als dem Klassenverband unterrichtet. „Gleiches kann auch in den Hauptfächern umgesetzt werden. Dieses wird jedoch im Rahmenplan zum Wiedereinstieg den Schulen untersagt“, sagt Boudier.
Der Rahmenplan widerspreche auch dem Schulmitbestimmungsgesetz und dem Schulordnungsgesetz, ist sich der SLLV sicher. Darin heißt es: „Über Beginn und Umfang der äußeren Fachleistungs differenzierung ab der Klassenstufe 7 entscheidet die Schulkonferenz auf Vorschlag der Gesamtkonferenz im Rahmen ihres pädagogischen Konzepts und den personellen und sächlichen Gegebenheiten auf der Grundlage der geltenden schulrechtlichen Regelungen.“Jede Schule kann auf Grundlage der Konferenzbeschlüsse in allen Fächern klassenübergreifenden
„Diese Vorgabe widerspricht dem Musterhygieneplan, der die komplette Jahrgangsstufe und nicht die einzelne Klasse als Einheit sieht.“
Elke Boudier
stellvertretende Vorsitzende Saarländischer Lehrerverband
Unterricht anbieten. „Pandemiebedingt können mitbestimmungspflichtige Beschlüsse nicht gänzlich ausgehebelt werden. Dies ist jedoch auf Grundlage des Rahmenplanes zum Wiedereinstieg in vielen Schulen geschehen“, moniert Boudier. Und fordert Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) auf, den Rahmenplan zu ändern, sodass er nicht im Widerspruch zu gültigen Gesetzen stehe.
Das Bildungsministerium teilt auf Anfrage mit, dass „grundsätzlich Jahrgänge als feste Gruppen definiert“seien. Der binnendifferenzierte Unterricht innerhalb der Klasse habe „im Sinne des Infektionsschutzes aber den klaren Vorteil, dass er zur Reduzierung der Gruppen durchmischung und somit zur Vermeidung vo nS chul schließungen beiträgt “. Der Wahl pflicht bereich könne jedoch–anders als etwa in Mathematik–nur in Gruppen außerhalb des Klassenverbandes organisiert werden. Ein über konfessioneller Unterricht im Fach Religion beispielsweise„ ist gesetzlich ausgeschlossen “. MitBlic kauf das S ch ulmitb es timmungs gesetz weist das Ministerium au feinen Er messens spielraum hin, den das Gesetz gewährt –„ soweit dies die personellen, sächlichen und unterrichts organisatorischen Möglichkeiten der Schule zulassen “. Angesichts der personellen und räumlichen Situation in vielen Gemein schafts schulen im Saarland ließen sich die Modelle derzeit nur eingeschränkt umsetzen. „Es ist zudem insbesondere aus Infekt ions schutz gesichtspunkten ratsam, das Prinzip der möglichst geringen Durchmischung der Schüler und Lehrkräfte konsequent umzusetzen .“Im Übrigen hätten viele Schulen bewusst den binnen differenzierten Unterricht im Klassenverband auch in den Hauptfächern verankert – schon vor Corona.
Die CDU-Fraktion im Landtag sieht das kritischer. Die Gemein schafts schulen hätten Konzepte angepasst. Sie könnten unter den Hygieneregeln die Aufteilung in G- und E-Kursen weiter problemlos umsetzen, sagt deren bildungspolitischer Sprecher Frank Wagner. Trotzdem habe das Bildungsministerium der Aufteilung eine klare Absage erteilt. „In Fächern wie Mathematik und Deutsch innerhalb eines Klassenverbandes auf drei bis vier Lernniveaus zu unterrichten, ist eine Mammutaufgabe für die Lehrkräfte und führt zwangsläufig zu einem Qualitätsverlust des Unterrichts“, sagt Wagner. Über die Differenzierung in den Hauptfächern sollten die Schulgremien entscheiden – die würden ihre Möglichkeiten am besten kennen.