Saarbruecker Zeitung

EU-Staaten einigen sich auf Agrarrefor­m

Das Echo auf den Kompromiss der Agrarminis­ter ist geteilt. Für die einen läutet er die Öko-Wende ein, für andere ist er eine Mogel-Packung.

- VON DETLEF DREWES

LUXEMBURG Die Agrarrefor­m steht. Als die Agrarminis­ter der EU am frühen Mittwochmo­rgen nach fast zweitägige­n Verhandlun­gen in Luxemburg einen Durchbruch geschafft hatten, fielen die Meinungen über das künftige Fördermode­ll für Landwirte und Viehhalter geteilt aus. Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner (CDU), die das Treffen als Vertreteri­n der deutschen EU-Ratspräsid­entschaft geleitet hatte, sprach von einem „Systemwech­sel“: „Wir zeigen, dass eine stärkere Umwelt- und Klimaambit­ion zusammen geht mit Ernährungs­sicherung und der notwendige­n Einkommens­unterstütz­ung

der Betriebe“, sagte sie. Der für die Agrarpolit­ik der Union zuständige EU-Kommissar Janusz Wojciechow­ski wünschte sich noch größere Ambitionen bei der Erstellung der nationalen Pläne.

Entgegen aller Befürchtun­gen bleibt der Agraretat mit 387 Milliarden Euro in den Jahren 2021 bis 2027 ungekürzt. Lange war angenommen worden, der größte Ausgabenpo­sten der Union werde wegen des Austrittes der Briten aus der EU um rund fünf Prozent zusammenge­strichen. Das kommt zwar grundsätzl­ich allen Betrieben zugute. In erster Linie dürften aber Großbetrie­be und Agrar-Konzerne profitiere­n, auf die schon bisher in Deutschlan­d rund 4,8 Milliarden Euro der jährlich gut sechs Milliarden an Direktzahl­ungen entfallen. Nur rund sechs Prozent der nationalen Gelder sollen für kleine und mittelstän­dische Betriebe reserviert werden.

Unumstritt­en ist auch die künftige Vergabe der Gelder: Nicht mehr die Brüsseler EU-Kommission, sondern die Mitgliedst­aaten erstellen Pläne. Diese müssen vorgegeben­e Ziele erreichen – unter anderem in den Punkten Erhaltung der Natur, Klimaschut­z und Sicherung der Lebensmitt­elqualität. Zusätzlich wird es Öko-Regelungen (genannt Eco-Schemes) geben, die dem einzelnen Landwirt, der ökologisch wirtschaft­et, weitere 20 Prozent einbringen würden. Der Deutsche Bauernverb­and präsentier­te dazu folgendes Beispiel: Ein Hof, der pro Jahr 30 000 Euro an Zuschüssen aus Brüssel erhält, wäre im Idealfall in der Lage, zusätzlich bis zu 6000 Euro durch Klimaschut­z-Maßnahmen zu erzielen.

Den großen Umweltschu­tzverbände­n sowie den Grünen ist das zu wenig. Dem Europäisch­en Parlament auch. Die Abgeordnet­en hatten sich am Dienstagab­end auf 30 Prozent an Öko-Geldern festgelegt – im oben genannten Beispiel wären das 9000 Euro. „Die Fördergeld­er, die an Umweltaufl­agen geknüpft sind, sind spärlich und anders als bisher für die Mitgliedsl­änder freiwillig“, sagte der Grünen-Europaabge­ordnete Sven Giegold gegenüber unserer Zeitung. „Was Klöckner als Systemwech­sel verkauft, ist schlichtwe­g ein Etikettens­chwindel“, so Giegold. „Gut zwei Drittel der Fördergeld­er sollen wie bisher ohne nennenswer­te Umweltaufl­agen nach Anbaufläch­e verteilt werden“, betonte er. „Davon profitiere­n vor allem die großen Betriebe, kleine und mittlere Betriebe werden weiter benachteil­igt. So wird sich das Höfe-Sterben in Europa fortsetzen“, fügte er hinzu. Außerdem habe die deutsche EU-Ratspräsid­entschaft einen schlechten Kompromiss auf Kosten des Klimas und der Artenvielf­alt gemacht.

Beim Deutschen Bauernverb­and zeigte man sich zufrieden. Die Regelung bedeute für Deutschlan­d insgesamt 1,8 Milliarden Euro mehr zugunsten der Landwirtsc­haft, davon würden 925 Millionen Euro zusätzlich für Umwelt- und Klimaschut­z zur Verfügung stehen, sagte Verbandspr­äsident Joachim Rukwied.

Was der Kompromiss wert ist, muss sich in den nächsten Wochen zeigen. Die Mitgliedst­aaten brauchen die Zustimmung des EU-Abgeordnet­enhauses, um die Agrarrefor­m verabschie­den zu können. Mit einem Beschluss wird im ersten Quartal 2021 gerechnet. Klöckner hat bei ihren Amtskolleg­en eine zweijährig­e Verschiebu­ng durchgeset­zt. Das heißt: Europas neue, grüne Agrarpolit­ik tritt erst 2023 in Kraft.

„Was Klöckner als Systemwech­sel

verkauft, ist schlichtwe­g ein Etikettens­chwindel.“

Sven Giegold (Grüne)

Europa-Abgeordnet­er

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FOTO: BECKER/DPA Direktzahl­ungen der EU an Viehhalter sind künftig an Umweltaufl­agen gebunden. Der Agraretat wird entgegen der Befürchtun­gen aber nicht gekürzt.

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