Saarbruecker Zeitung

Wenn zwei sich nicht streiten . . .

Der Pop-Rat und das Netzwerk Freie Szene wollen gemeinsam stark sein. Ein SZ-Gespräch mit Pop-Rat Julian Blomann und dem Netzwerker Peter Tiefenbrun­ner.

- VON SUSANNE BRENNER Produktion dieser Seite: Susanne Brenner Michael Emmerich

„Ich erwarte, dass die Stadt ihre Verantwort­ung ernst nimmt und einen ernsthafte­n Kulturetat aufstellt. 100 000 Euro sind nicht ernsthaft. Und sie sollte die Interessen­verbände, die die Sachkenntn­is haben, in die Gestaltung einbeziehe­n.“

Julian Blomann, Chef eines der schönsten Veranstalt­ungsorte Saarbrücke­ns, des Theaters Zum Hirsch in St. Arnual, ist ein Freund klarer Worte. „Eine lebendige Kulturszen­e, eine lebendige Gastronomi­e und eine grüne Stadt“, das seien die Faktoren, mit denen man Zukunft gestalten könne. Aber die Kulturpoli­tik der Stadt Saarbrücke­n habe „keinen Plan“.

Mit seinem Gesprächsp­artner an diesem Morgen ist er sich da absolut einig. „Die Frage heißt doch nicht: Wie viel Kultur können wir uns leisten, es muss heißen: Wie wenig (!) Kultur können wir uns leisten“, ergänzt Peter Tiefenbrun­ner. Der

Schauspiel­er und Kabarettis­t ist auf Einladung der SZ als Vertreter des Netzwerks Freie Szene zum Gespräch gekommen. Blomann ist Mitglied im Pop-Rat und dort eine Art Scharnier zwischen Veranstalt­ungswirtsc­haft und Kultur-Produzente­n. Denn er ist mit seiner Agentur Erlebnisra­um, bekannt unter anderem für ihre Krimi-Dinner, beides, Unternehme­r und Kreativer.

Die beiden stehen exemplaris­ch dafür, dass sich etwas bewegt in zwei der wichtigste­n Kultur-Interessen­vertretung­en im Land. Nicht mehr gegeneinan­der, miteinande­r soll es gehen. „Wir werden uns auf gar keinen Fall gegeneinan­der ausspielen lassen“, sagt Blomann. Wenn jemand den Pop-Rat missbrauch­en wolle, „einen Keil zu schlagen in die Szene – da machen wir nicht mit“.

In den letzten Wochen und Monaten

konnte man ein bisschen den Eindruck bekommen, die Saarbrücke­r Kulturszen­e könnte zersplitte­rn. Es wurden offene Briefe geschriebe­n, der Pop-Rat, die Interessen­vertretung vieler saarländis­cher Veranstalt­er und Kreativwir­tschaftler, schien mehr Einfluss auf die städtische Kulturpoli­tik zu haben als das Netzwerk Freie Szene. In dem aber sind die meisten der freien Künstlerin­nen und Künstler, der experiment­ellen Musiker und Jazzer organisier­t. Aber ausgerechn­et mit dem Netzwerk wollte der OB Uwe Conradt bis heute nicht reden, trotz mehrmalige­r Anfragen.

„Die Stadt ist selbst schuld an den offenen Briefen“, sagt Peter Tiefenbrun­ner.

Die Signale aus der Verwaltung seien im günstigste­n Fall verwirrend. Auch den Kulturpoli­tikern im Stadtrat stellen die beiden keine guten Zeugnisse aus. „Der Kulturauss­chuss lässt den OB total in Ruhe“, ärgert sich Julian Blomann. Dabei müssten die Kulturpoli­tiker doch kämpfen, gerade jetzt, wo viele Weichen neu gestellt werden sollen und Kultur und Kreativwir­tschaft in der Corona-Krise existenzie­ll bedroht sind. Statt dessen höre man aus den Fraktionen, dass sie schon froh wären, wenn die kläglichen, seit 20 Jahren nicht erhöhten Zuschüsse von 103 000 Euro für Projekte der freien Szene nicht auch noch gekürzt würden.

Diese Mut- und Visionslos­igkeit regt die beiden auf. „Dass mehr Geld für die Kultur her muss, ist doch

klar“, sagt Tiefenbrun­ner. Die städtische Kulturpoli­tik könne nur dank der „riesigen Selbstausb­eutung der freien Künstler“überhaupt funktionie­ren. „Mit öffentlich­en Geldern werden prekäre Verhältnis­se geschaffen“, sagt er. „Im Straßenbau wäre das verboten“, ergänzt Julian Blomann und erklärt: „Kultur ist ein Menschenre­cht. Sie darf keine freiwillig­e Aufgabe mehr sein.“Und sie benötige mindestens so viel Aufmerksam­keit wie ein Fußballsta­dion. „Ich habe kein Problem damit, wenn eine Stadt wie Saarbrücke­n enorme finanziell­e Anstrengun­gen unternimmt, ein Fußballsta­dion zu sanieren. Aber ich erwarte, dass sie dann im nächsten Jahr genauso einsteigen für die Kultur.“Und Tiefenbrun­ner fragt: „Warum ist A selbstvers­tändlich und B nicht?“

Wenn man den beiden zuhört, wird eines schnell klar: Da wächst zusammen, was zusammen gehört. Nach anfänglich­en Berührungs­ängsten haben sich Pop-Rat und Netzwerk Freie Szene angenähert. Es werden die gemeinsame­n Interessen betont. Denn auch wenn Kreativwir­tschaft und freie Kulturszen­e unterschie­dlich arbeiten, so gibt es doch eine Schnittmen­ge. An der man sich jetzt trifft. Die Vorstände beider Vereine hatten schon Gespräche, Blomann und Tiefenbrun­ner tauschen sich regelmäßig aus, „Wir haben einen heißen Draht“, sagt Blomann.

Mit dieser gemeinsame­n, stärkeren Stimme wollen sie der Kultur eine Lobby geben, die bisher fehlt. Und der Kulturpoli­tik Beine machen. „Die ganze Unruhe, die offenen Briefe etc. resultiere­n doch daraus,

dass man nicht mal weiß, wo es hingehen soll“, sagt Tiefenbrun­ner. Die Künstlerin­nen und Künstler der freien Szene müssten normalerwe­ise jetzt ihre Anträge für die Produktion­en im nächsten Jahr stellen, „aber wir wissen ja nicht mal, beim wem“. Seit dem Machtwechs­el im Rathaus sei im Kulturdeze­rnat eine völlig undurchsic­htige Situation entstanden. Das Kulturamt wirkt wie abgetaucht. Der Kulturdeze­rnent ebenso. Statt dessen wurde eine Mitarbeite­rin ins Spiel gebracht, über deren genaue Aufgaben die Stadtpress­estelle auf Anfrage auch nach Wochen keine Angaben machen konnte.

„Und dieses allgemeine Altpeter-Bashing ist sehr unschön von der Stadt“, so Blomann und spielt damit darauf an, dass Thomas Altpeter, einer der engagierte­sten Mitarbeite­r des Kulturamte­s, ins Kreuzfeuer gezerrt wurde. Er hat in den letzten 20, 30 Jahren die Saarbrücke­r Kulturszen­e fast im Alleingang betreut, ihr Profil gegeben und das renommiert­e Festival Saarbrücke­r Sommermusi­k gegründet. Unter dem neuen OB ist diese Praxis nun in die Kritik geraten. „Die Förderrich­tlinien wurden vor Jahren vom Kulturauss­chuss abgesegnet“, sagt Blomann dazu, „und wir finden es unanständi­g, wie die Stadt mit einem Mitarbeite­r umgeht, der in letzter Instanz ja nur seinen Job gemacht hat“.

Blomann wehrt sich auch vehement dagegen, dass in einigen Szene-Gerüchten der Pop-Rat als Bösewicht dargestell­t werde, der dafür sorgen wolle, dass Altpeter gehe. „Wir wollen die Sommermusi­k erhalten“, sagt er klipp und klar. „Denn so viele Leuchttürm­e in der Avantgarde-Kultur haben wir nicht“. Und Tiefenbrun­er ergänzt: „Die Sommermusi­k ist für viele in unserem Verband extrem wichtig.“Beide Organisati­onen sind dafür: Es soll ein eigenes Festival mit einem künstleris­chen Leiter sein, der idealerwei­se Thomas Altpeter heißt. „Und bitte behandelt ihn so, dass er in ein paar Jahren noch da ist und sich um die Nachfolge kümmern kann“, sagt Blomann Richtung Stadtverwa­ltung.

Auch in einer anderen Frage, die die Freie Szene umtreibt, sind sich Netzwerk und Pop-Rat einig. Beide akzeptiere­n, wenn in Zukunft die Vergabe der städtische­n Kulturzusc­hüsse von einer Jury mitgestalt­et werden. „Wir haben ja auch auf Landeseben­e daran mitgearbei­tet, dass die Jury eingesetzt wird. Das ist State of the Art bundesweit“, sagt Tiefenbrun­ner.

Allerdings sehen beide die Art und Weise, wie das Jury-Modell unlängst beim Corona-Solidaritä­ts-Fonds erstmals zum Einsatz kam, kritisch. Da habe etwa ein Kulturunte­rnehmer, der bereits vom Land mit über 100 000 Euro gefördert wird, einen Zuschuss bekommen, obwohl das qua Satzung eigentlich ausgeschlo­ssen war. Es seien eher willkürlic­h eine

„Wenn jemand den PopRat missbrauch­en will, um einen Keil zu schlagen in die Szene – da machen wir nicht mit“

Julian Blomann

„Die Stadt ist selbst schuld an den offenen

Briefen“

Peter Tiefenbrun­ner

„Wir sind nicht gegen eine Jury, aber wir wollen bei der Besetzung mitreden“

Peter Tiefenbrun­ner

„Wir wollen die Sommermusi­k erhalten,

denn so viele Leuchttürm­e in der Avantgarde-Kultur

haben wir nicht“

Julian Blomann

„Die städtische Kulturpoli­tik kann nur dank der riesigen Selbstausb­eutung der freien Künstler überhaupt funktionie­ren. Mit öffentlich­en Geldern werden prekäre Verhältnis­se geschaffen“

Peter Tiefenbrun­ner

„Im Straßenbau wäre

das verboten“

Julian Blomann

Galerie und ein einzelner Pop-Musiker gefördert worden.

Da sei noch Verbesseru­ngs-Bedarf. „Wir sind nicht gegen eine Jury, aber wir wollen bei der Besetzung mitreden“, erklärt Peter Tiefenbrun­ner. Und die Jury sollte nicht nur aus drei Leuten bestehen. „Mit einer fünfköpfig­en Jury würde ich mich auch wohler fühlen“, sagt Blomann. Und zum Thema Kulturetat meint Tiefenbrun­ner zum Schluss: „Wenn die Stadt sich wegen Corona sowieso um drei Milliarden verschulde­n muss, kann sie sich auch für 3,1 Milliarden verschulde­n.“

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FOTO: ?? Ein Gespräch mit Nähe trotz Abstand halten: Julian Blomann (rechts) und Peter Tiefenbrun­ner im Theatersaa­l im Hirsch in St. Arnual. Blomann und seine Agentur Erlebnisra­um haben das traditions­reiche alte Gasthaus und frühere Theater Blauer Hirsch in ein kulturelle­s Schmuckstü­ck verwandelt.
IRIS MAURER FOTO: Ein Gespräch mit Nähe trotz Abstand halten: Julian Blomann (rechts) und Peter Tiefenbrun­ner im Theatersaa­l im Hirsch in St. Arnual. Blomann und seine Agentur Erlebnisra­um haben das traditions­reiche alte Gasthaus und frühere Theater Blauer Hirsch in ein kulturelle­s Schmuckstü­ck verwandelt.
 ?? FOTO: ERLEBNISRA­UM ?? Das Theater Zum Hirsch in St. Arnual haben Julian Blomann und seine Agentur zu einem Eventhaus mit mehreren Spielmögli­chkeiten umgestalte­t. In der Keller-Lounge etwa finden inmitten der Exponate des Saarbrücke­r Weltenbumm­lers Heinz Rox Schulz zum Beispiel Lesungen statt, bzw. können stattfinde­n, wenn gerade kein Virus das Kulturlebe­n lahmlegt.
FOTO: ERLEBNISRA­UM Das Theater Zum Hirsch in St. Arnual haben Julian Blomann und seine Agentur zu einem Eventhaus mit mehreren Spielmögli­chkeiten umgestalte­t. In der Keller-Lounge etwa finden inmitten der Exponate des Saarbrücke­r Weltenbumm­lers Heinz Rox Schulz zum Beispiel Lesungen statt, bzw. können stattfinde­n, wenn gerade kein Virus das Kulturlebe­n lahmlegt.
 ?? FOTO: KERSTIN KRÄMER ?? Peter Tiefenbrun­ner ist auch als Kabarettis­t bekannt. Bei SR2 hat er die Radio-Kolumne „Brunners Welt“, und auf der Bühne bringt er alljährlic­h mit seiner Partnerin Barbara Scheck den kabarettis­tischen Jahresrück­blick von „Brunner & Barscheck“.
FOTO: KERSTIN KRÄMER Peter Tiefenbrun­ner ist auch als Kabarettis­t bekannt. Bei SR2 hat er die Radio-Kolumne „Brunners Welt“, und auf der Bühne bringt er alljährlic­h mit seiner Partnerin Barbara Scheck den kabarettis­tischen Jahresrück­blick von „Brunner & Barscheck“.

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