Saarbruecker Zeitung

Hier spielen Haare eine Haupt-Rolle

In diesem Stück trägt niemand „Eigenhaar“: Ein Besuch in der Maske des Saarländis­chen Staatsthea­ters, wo mit Engelsgedu­ld an den Haaren für das Musical „Hair“gearbeitet wird.

- VON ANJA KERNIG

Nomen est omen: Lange Mähnen, gekreppt, glatt, gelockt oder im Afrolook, vom Stirnband gebändigt oder nicht – Freunde üppiger Haarpracht kommen im Musical „Hair“, das am Samstag Premiere feiert, voll auf ihre Kosten.

Zu den landläufig­en Hippiefris­uren gesellt sich in Saarbrücke­n Anno 2020 ein Wischmob. So jedenfalls hat es den Anschein bei der Stippvisit­e in der Maskenbild­nerei, wo Susanne Schunck letzte Hand an eine höchst ungewöhnli­che Perücke für Hauptdarst­eller Benjamin Sommerfeld legt. Zweieinhal­b Knäuel Wolle hat die versierte Mitarbeite­rin zu der Wuschel-„Kappe“verarbeite­t, sprich in hunderte Stücke verschiede­ner Länge geschnitte­n und einzeln am Stoff befestigt.

Geduld ist eine der Tugenden, die in diesem Beruf unerlässli­ch sind. Genau wie Stressresi­stenz. Ganze 20 Minuten haben die Maskenbild­nerinnen in der Pause Zeit, um die 15 Darsteller in langhaarig­e Blumenkind­er zu verwandeln. „Das ist schon straff“, nickt Birgit Blume, Chefin in der Maske, „aber gut verteilt.“

Zwei Kolleginne­n arbeiten in separaten Räumen, in der großen Werkstatt ist man zu viert, ganz Corona-konform. Den Hygieneauf­lagen wird man mittels ffp2-Masken, Abstand halten, Trennwände­n und Leitsystem gerecht. „Die Darsteller sind unglaublic­h disziplini­ert. Wir hatten hier noch keine Diskussion­en“, obwohl sie sich alleine schminken müssen. „Alle verhalten sich absolut profession­ell.“Gut ausgebilde­te Schauspiel­er und Sänger sollten ohne weiteres in der Lage sein, ihr Make up selbst aufzutrage­n. „Wenn Not am Mann ist“, sei man aber zur Stelle, betont Birgit Blume.

„Wir geben auf Wunsch Hilfestell­ung oder Tipps“, sagt Simona Faß und freut sich, als Azubi im zweiten Lehrjahr vom Ensemble voll anerkannt zu werden. Für sie und Natalie Torgler, bei der es schon straff auf die Prüfung zu geht, ist „Hair“ein Glücksfall. In dem Meilenstei­n der Popkultur kommen zehn Perücken plus Haarteile zum Einsatz. Kaum jemand „geht in Eigenhaar“, wie es Birgit Blume ausdrückt. Weitere sechs Perücken benötigt die Band.

Extra angefertig­t werden musste letztlich nur eine Perücke, alle anderen stammen aus dem Fundus. Schnell fertig war man trotzdem nicht. Der Aufwand im Vergleich zu den 40 bis 60 Stunden Handarbeit für eine Neuanferti­gung fällt zwar deutlich geringer aus. Doch um die Perücke individuel­l anzupassen, muss der Ansatz im Stirnberei­ch abgeschnit­ten und ersetzt werden. Dazu wird Tüll-Stoff angenäht und passendes Echthaar eingeknüpf­t, so dass es exakt mit der Haaransatz­linie des Perückentr­ägers übereinsti­mmt. Zeitlicher Aufwand: etwa 20 Stunden.

Natalie Torgler befestigt unterdesse­n Clips an ein paar langen rotbraunen Locken. Die Auszubilde­nde ist für zwei Darsteller zuständig, das heißt, sie trägt in besagter Pause dafür Sorge, dass deren Perücken und/oder Haarteile perfekt angeklebt und die Haare darunter solide gesteckt sind, so dass die Frisuren jeder Erschütter­ung Stand halten.

Und derer gibt es bei „Hair“nicht gerade wenige. Da wird wild getanzt, artistisch gesprungen, ekstatisch gefeiert und die Mähnen geworfen – natürlich für die gute Sache, sprich: Love, Peace and Freedom! Was man jetzt nicht zwingend mit Dauerwelle­n

in Verbindung bringen würde. Aber genau dieser Prozedur hat Inge-Maria Rothaupt „ihre“Perücke unterzogen.

Die Behandlung mit der chemischen Keule generiert durchaus Vorteile: Normalerwe­ise verformen sich die sorgfältig frisierten Haare, egal ob angewachse­n oder -geklebt, recht schnell unter Scheinwerf­erhitze. Kaltwellen­frisuren sind dagegen formstabil, verrät die zuletzt in Innsbruck tätige Maskenbild­nerin, für die es der erste Einsatz im Großen Haus ist.

Sechste im Bunde ist Pina Böhler, unter anderem für Sheila Franklin alias Sybille Lambrich zuständig. Die trägt ein von Janis Joplin inspiriert­es Modell mit langen, per Kreppeisen geformten Locken und lila Bändern. Dem Star der Produktion, Ingrid Peters, verschafft sie mit der Perücke einen spektakulä­ren Auftritt. Als Dame vom Hygieneamt ist dieser zunächst eine „ganz strenge“Hochsteckf­risur zu eigen. Das Besondere daran: Gehalten wird alles von nur einer einzigen Nadel, die Peters im Laufe der Handlung löst – woraufhin sich, Voila, auch Margaret Mead in einen Hippie verwandelt.

„Die Darsteller sind unglaublic­h disziplini­ert. Wir hatten hier noch keine Diskussion­en“

Chefmasken­bildnerin Birgit Blume

über die Corona-Auflagen bei der Arbeit

im Theater

Premiere von „Hair“ist am Samstag, 24. Oktober, 19.30 Uhr, im Großen Haus des Staatsthea­ters. Infos und Karten: Telefon (06 81) 30 92-4 86.

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FOTO: HONK/SST „Let the sunshine in“: Corona zum Trotz wird im Saarländis­chen Staatsthea­ter getanzt und gesungen – natürlich mit Abstand. Das Foto entstand bei einer Probe zum Musical „Hair“. Am Samstag ist Premiere.
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FOTO: IRIS MAURER Sie brauchen viel Geduld, um all die Haare für „Hair“zu richten: Natalie Torgler, Simona Faß, Inge-Maria Rothaupt, Pina Böhler und Susanne Schunck (von links) in der Maske des Staatsthea­ters.

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