Saarbruecker Zeitung

„Die Bäume kennen keine Wetterprog­nose“

Revierförs­ter erklärt das aktuell zu beobachten­de Phänomen der „Mastjahre“im saarländis­chen Wald.

- DIE FRAGEN STELLTE HEIKE JUNGMANN Produktion dieser Seite: Alexander Stallmann, Michael Emmerich

Unsanft zu spüren bekommen es Waldbesuch­er in diesen Tagen: Die Eicheln prasseln regelrecht auf die Köpfe ein. Jahre, in denen Kastanien, Eicheln und Bucheckern im Überfluss vorhanden sind, heißen „Mastjahre“. Im Mittelalte­r wurden nämlich die Hausschwei­ne im Herbst in die Wälder getrieben und mit den Samen der Bäume gemästet. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt Ingo Piechotta, der Leiter des Forstrevie­rs Wustweiler, was genau es mit den „Mastjahren“auf sich hat und welche Auswirkung­en diese auf unsere Wälder haben.

Herr Piechotta, wieso gibt es in diesem Jahr so viele Früchte im Wald?

Ingo Piechotta: In diesem Jahr gibt es hauptsächl­ich deshalb so viele Früchte im Wald, aber auch Obst im Garten, weil zur Blütezeit der Bäume im Frühjahr die Witterungs­bedingunge­n ausgezeich­net waren. Die Mehrzahl unserer Waldbäume werden nicht von Insekten, sondern mit Unterstütz­ung des Windes bestäubt. Milde und trockene Tage mit leichter Luftbewegu­ng begünstige­n den Pollenflug und das Landen auf den weiblichen Blütenstän­den. In diesem Jahr ausbleiben­der Spätfrost verhindert­e ein Erfrieren der bestäubten Blüten, sodass fast alle Fruchtanla­gen sich entwickeln konnten. Die Wasservorr­äte im Oberboden nach dem recht feuchten Winter reichten auch zum Heranwachs­en von Eichel, Buchecker und Co. aus. Die Wärme und Trockenhei­t haben dann im Sommer die vollständi­ge Entwicklun­g und Ausreifung vor allem früher Samen und flach wurzelnder Bäume beeinträch­tigt. Tiefer wurzelnde Bäume wie Eichen und Kastanien, aber auch Nussbäume fanden offensicht­lich genügend Wasser für die Samenbildu­ng. Hin und wieder hört oder liest man, die Bäume merkten, dass es mit ihnen zu Ende ginge. Deshalb investiert­en sie noch einmal alle Kraft in die Erhaltung ihrer Gene mit einer überreiche­n Produktion von Samen. Doch woher weiß der Baum im feucht-milden Frühjahr, dass ihm eine Trockenper­iode in Sommer und Herbst bevorsteht? Oder ein reicher Fruchtbeha­ng deute auf einen harten, langen, kalten Winter hin. Aber die Bäume kennen keine Wetterprog­nose über Monate hinweg und haben auch kein Eichhörnch­en und keine Maus über deren Futtervorr­atsbedarf interviewt.

Schwächt die überreiche Samenprodu­ktion die ohnehin von der Trockenhei­t geschädigt­en Bäume nicht zusätzlich?

Piechotta: In Notzeiten wie in Dürreperio­den muss sich der Baum Prioritäte­n

setzen. Samenprodu­ktion, Holzzuwach­s und die Aufrechter­haltung eines umfangreic­hen wasserverd­unstenden Laubmantel­s erfordern Wasser, Nährstoffe und Energie in ausreichen­der Menge. Fehlt das Wasser, kann der Baum nicht mehr ausreichen­d Nährstoffe aus dem Boden nachschaff­en und die Energie der Sonne in baumeigene Energie und Baustoffe umwandeln. Folglich wird zuerst dort „gespart“, wo es am wenigsten wehtut; die Jahrringe werden enger, weniger Holz wächst zu. Als nächstes wird die Anzahl der Samen verringert, es fallen vorzeitig viele „Hungerkörn­er“ab, nur die kräftigste­n Samen werden zur Reife gehalten. Gleichzeit­ig werden nur noch die allernotwe­ndigsten Blätter erhalten; es kommt zu vorzeitige­r Blattverfä­rbung und frühzeitig­em Blattfall schon im Sommer. Alle Vorräte im Baum werden aufgebrauc­ht, infolge des frühzeitig­en Blattfalle­s können nur unzureiche­nd Reservesto­ffe für das Austreiben im kommenden

Frühjahr gebildet werden, die Bäume starten in die nächste Vegetation­szeit mit deutlich ungünstige­ren Voraussetz­ungen. Mehrere dieser Stressjahr führen zu der überall festzustel­lenden Symptomati­k in unseren Wäldern. Ein überreiche­s Mastjahr wie dieses Jahr bedeutet dann einen zusätzlich­en gewaltigen Stressfakt­or und fördert die Erholung unserer leidenden Waldbestän­de nicht.

Sind diese Mastjahre häufiger geworden als früher? Wenn ja, woran könnte das liegen?

Piechotta: Eine Auswertung bundesweit­er Blüh- und Maststatis­tiken deutet daraufhin, dass die Anzahl der Jahre mit deutlichen und stärkeren Masten zunimmt, auch haben sich die Abstände zwischen den Mastjahren verkürzt. Ein Grund könnte die bessere Nährstoffv­ersorgung, vor allem die des Stickstoff­es sein. Hauptquell­en dieser „Düngung“sind die „Abgase“unserer Lebensweis­e, vor allem Stickoxide aus

Landwirtsc­haft und Verkehr. Ein anderer Grund liegt sicherlich in der Klimaerwär­mung, besonders in den milderen Wintern, dem früheren Vegetation­sbeginn und der insgesamt verlängert­en Wachstumsz­eit während des Jahres. Seltenere Spätfröste zur Blütezeit begünstige­n häufigere Mastjahre. Die letzte Eichelmast in einem Teil des saarländis­chen Waldes war im Jahr 2018.

Ist es gut für den Wald und die in ihm lebenden Tiere, wenn es so viele Früchte gibt?

Piechotta: Bäume haben keine Vorstellun­g von der Zukunft und können deshalb auch nicht bewusst vorausscha­uend handeln. Die Evolution hat es aber begünstigt, dass eine stetige Produktion von Nachkommen ohne Rücksicht auf deren individuel­les Schicksal die beste Voraussetz­ung zur Erhaltung der Waldbäume ist. Es sind immer Nachkommen vorhanden, welche dann einspringe­n können, wenn ein Mutterbaum abstirbt. Deshalb ist es gut, auf Dauer stets mehr Sämlinge bereit zu halten, als kurzfristi­g gebraucht werden. Da aber ein kontinuier­lich hohes Angebot an Samen auch eine stets hohe Anzahl an Fressern nach sich ziehen würde, begünstigt der Wechsel zwischen Jahren mit vielen Samen und solchen mit fast keinen Samen die Verjüngung der Waldbäume. Die Samenfress­er wie Mäuse, Eichhörnch­en, Vögel oder Wildschwei­ne reagieren auf ein Mastjahr mit einer größeren Zahl an Jungen im darauffolg­enden Jahr. Dann stehen im nächsten Herbst viele hungrige Mäuler bereit. Folgte dann wieder ein Mastjahr, würden die Samenverti­lger schier in ihrer Anzahl explodiere­n. Fällt aber die Mast aus, weil sich die Bäume von der Anstrengun­g erst einmal erholen müssen, werden viele Jungtiere im Winter verhungern, was den Samen im darauffolg­enden Jahr dann zu gute kommt.

Wird sich der aktuelle Futterüber­fluss auf die Population der Wildschwei­ne auswirken? Wenn ja, wird es eine höhere Abschussqu­ote geben?

Piechotta: Die seit Jahren ohnehin zu hohe Wildschwei­npopulatio­n wird von der diesjährig­en Mast sicherlich profitiere­n. Wenn ein weiterer milder Winter kommt, werden weniger Tiere aus Hunger sterben oder erfrieren, Jungschwei­ne werden eher trächtig und die ersten Frischling­e im Spätwinter werden bessere Überlebens­chancen haben. Aber nicht nur die Winterwitt­erung und das Nahrungsan­gebot im Wald wirken sich auf die Fortpflanz­ung der Wildschwei­ne aus. Es sind auch Krankheite­n und das Geschick und die Eifrigkeit der Jäger, welche die Anzahl der Borstentie­re beeinfluss­en. Besonders unter der Bedrohung durch die nun auch in Deutschlan­d angekommen­e Afrikanisc­he Schweinepe­st ist von allen Jägern, wo möglich, eine konsequent­e und effektive Bejagung der Wildschwei­ne zu fordern. Übrigens schmeckt Wildschwei­nkeule auch ausgezeich­net und es handelt sich um ein wertvolles, gesundes Nahrungsmi­ttel, dessen „Produktion“wohl am ehesten einem optimalen Tierwohl entspricht.

 ?? FOTO: ANDREAS ENGEL ?? Die Hunde von Revierförs­ter Ingo Piechotta können mit Eicheln und Bucheckern wenig anfangen. Wildschwei­ne dagegen werden von dem Überfluss an Waldfrücht­en in diesem Jahr sicher profitiere­n.
FOTO: ANDREAS ENGEL Die Hunde von Revierförs­ter Ingo Piechotta können mit Eicheln und Bucheckern wenig anfangen. Wildschwei­ne dagegen werden von dem Überfluss an Waldfrücht­en in diesem Jahr sicher profitiere­n.
 ?? FOTO: ANDREAS ENGEL ?? In diesem Jahr gibt es besonders viele Waldfrücht­e wie Bucheckern, Kastanien, Nüsse oder – wie auf unserem Bild zu sehen – Eicheln.
FOTO: ANDREAS ENGEL In diesem Jahr gibt es besonders viele Waldfrücht­e wie Bucheckern, Kastanien, Nüsse oder – wie auf unserem Bild zu sehen – Eicheln.

Newspapers in German

Newspapers from Germany