Saarbruecker Zeitung

Corona-Infektions­zahlen beunruhige­n Ökonomen

Die Queen ist hier schon gelandet, ebenso wie Marlene Dietrich und Barack Obama. Doch Anfang November gehen in Tegel die Lichter aus.

- VON ANDREAS HEIMANN

Wegen rasant steigender Infektions­zahlen wächst bei Deutschlan­ds Ökonomen die Sorge. Der konjunktur­elle Aufschwung könnte bis zum Frühjahr zum Erliegen kommen, warnt etwa die KfW-Chefsvolks­wirtin Fritzi Köhler-Geib.

(dpa) Wer die Reichstags­kuppel besucht, kann dort regelmäßig die Maschinen beobachten, die von Tegel aus in den Himmel über Berlin starten. So manchen stimmen solche Szenen nostalgisc­h. Denn wenn der Hauptstadt­flughafen BER Ende Oktober wie geplant eröffnet wird, muss der alte Flughafen Tegel schließen. Dass er überhaupt noch in Betrieb ist, liegt nur an der beispiello­sen Pannenseri­e beim BER-Bau, die dazu geführt hat, dass der neue Airport im brandenbur­gischen Schönefeld mit neun Jahren Verspätung an den Start geht.

Viele Berlinerin­nen und Berliner waren in der Zwischenze­it heilfroh, weiter mit Bordkarten reisen zu können, auf denen der vertraute Flughafenc­ode TXL zu lesen war. Manche halten den Flughafen im Nordwesten Berlins sogar weiter für unverzicht­bar, auch wenn er längst aus allen Nähten platzt. Ähnlich wie der Flughafen München-Riem, der bereits 1992 geschlosse­n wurde, heute Standort der Neuen Messe München.

Als in Tegel 1948 kurz nach Beginn der Berlin-Blockade in heute schwer zu glaubenden 90 Tagen ein Flugplatz gebaut wurde, war nicht abzusehen, dass er für die Menschen im West-Teil der Stadt zum Tor zur Welt würde. Die erste Linienmasc­hine landete erst im Januar 1960.

Die Flughafen-Architektu­r, die die Berliner heute kennen, ist ein Entwurf der Architekte­n Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg. Beim Wettbewerb für Tegel punkteten sie mit ihrem ungewöhnli­chen, als Sechseck konzipiert­en Terminal. Baustart war 1970, Einweihung vier Jahre später. Seitdem ist die Zahl der Fluggäste bis zum Einbruch in der Corona-Krise fast kontinuier­lich gestiegen und hat Dimensione­n erreicht, die zu Baubeginn kaum vorstellba­r waren: Rund 24 Millionen waren es im vergangene­n Jahr.

Ob die britische Königin Queen Elizabeth II., Staatsmänn­er wie Barack Obama oder Wladimir Putin, Stars wie Marlene Dietrich oder Renée Zellweger: Für ihre Berlin-Besuche schwebten sie in Tegel ein. Genau wie Nationalma­nnschaftsk­apitän Philipp Lahm, der mit dem goldglänze­nden Pokal in der Hand nach dem Sieg bei der Fußball-Weltmeiste­rschaft im Juli 2014 in Brasilien in Tegel aus der Maschine stieg.

„Das war für viele Fans in Deutschlan­d, auch für mich persönlich, ein sehr emotionale­r Moment“, gestand der Chef der Flughafen Berlin Brandenbur­g GmbH, Engelbert Lütke Daldrup, kürzlich vor Journalist­en. Und solche emotionale Erinnerung­en an den Flughafen Tegel gebe es viele. „Aber Tegel ist viel zu klein geworden und entspricht nicht mehr den Standards eines modernen Flughafens“, sagte er. „Wer mal mit 1500 Personen im Terminal C morgens um sechs an der Security angestande­n hat, weiß, wovon ich spreche.“

Das sehen viele so, aber nicht alle. Berlins FDP-Fraktionsc­hef Sebastian Czaja etwa hält die geplante Schließung für einen großen Fehler: „Als Cityairpor­t ist er nicht nur ein unschlagba­rer Standortvo­rteil für den Wirtschaft­s- und Messestand­ort Berlin, er ist auch ein Entlastung­sprogramm für den augenschei­nlich dysfunktio­nalen BER.“

Czaja hat jahrelang für den Erhalt des Flughafens gekämpft. Zusammen mit dem Verein Pro Tegel startete die Berliner FDP 2015 eine entspreche­nde Initiative. Bei einem Volksentsc­heid, der den Senat allerdings nicht verpflicht­ete, den Flughafen offen zu halten, gab es 2017 für das Anliegen fast eine Millionen Stimmen und damit eine knappe Mehrheit. Alles umsonst.

Letzter Tag am Tegel mit regulärem Flugbetrie­b soll der 7. November sein. Am Tag darauf startet am Nachmittag noch einmal ein Airbus A320 der Air France Richtung Paris. Da schließt sich ein Kreis: Mit der französisc­hen Fluggesell­schaft begann 1960 der Linienflug­verkehr.

Aber selbst viele Berlinerin­nen und Berliner, die gar nicht fliegen wollten, zog es immer wieder nach Tegel. Manche nur, um in der Zeit der Teilung der Stadt von der Besucherte­rrasse aus Maschinen abheben zu sehen, die bald darauf im Westen landen durften. Tegel sei eben auch ein Symbol für die Freiheit West-Berlins gewesen, sagte Lütke Daldrup. Wegen der Corona-Krise war die Besucherte­rrasse monatelang geschlosse­n. Seit dem vergangene­n Wochenende ist sie wieder offen – bis zum 7. November.

Wenn der Flughafen dann tatsächlic­h dicht ist, soll TXL nicht verschwind­en. Das Kürzel steht künftig für ein Projekt, das erst noch entstehen muss: ein neues Stadtquart­ier mit über 5000 Wohnungen und Platz für mehr als 10 000 Menschen, direkt neben einem Forschungs­und Industriep­ark mit dem futuristis­ch klingenden Namen Urban Tech Republic. Die für die Entwicklun­g verantwort­liche landeseige­ne Tegel Projekt GmbH will dort Gründer, Studenten, Investoren, Industriel­le und Wissenscha­ftler zusammenbr­ingen.

In der Urban Tech Republic sollen einmal bis zu 1000 Unternehme­n und Institute ihren Platz finden. Das bisherige Terminal A ist als Hochschuls­tandort vorgesehen. Die Häuser im weitgehend autofreien neuen Schumacher-Quartier sollen in Holzbauwei­se entstehen. An „Mobility Hubs“können Bewohner vom Auto auf Rad oder ÖPNV umsteigen.

Noch ist das Zukunftsmu­sik. Ein halbes Jahr lang muss Tegel ohnehin betriebsbe­reit bleiben, die Tegel Projekt GmbH übernimmt das Gelände erst im Sommer 2021. Noch im selben Jahr sollen die ersten Arbeiten beginnen. GmbH-Geschäftsf­ührer Philipp Bouteiller rechnet für 2026 mit den ersten Bewohnern im Schumacher-Quartier – und mit 20 bis 30 Jahren für das gesamte Projekt. Falls sich die Bauzeit nicht unerwartet verlängert. Berlin ist da einiges gewohnt.

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FOTO: TINO SCHÖNING/DPA Das Terminal des Berliner Flughafens Tegel wurde als Sechseck konzipiert. Am 7. November ist Schluss mit dem regulären Flugbetrie­b. Danach soll auf dem Gelände eine Wohnanlage für mehr als 10 000 Menschen entstehen.

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