Saarbruecker Zeitung

Pflegekräf­te profitiere­n stark von Tarifeinig­ung

Einigung im Tarifkonfl­ikt bei Bund und Ländern: Die Beschäftig­ten bekommen mindestens 3,2 Prozent mehr, in der Pflege sogar bis zu zehn Prozent.

- VON BASIL WEGENER UND RUPPERT MAYR

(dpa/SZ) Mitten in der Corona-Krise haben Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­r ein Gehaltsplu­s von mindestens 3,2 Prozent für die Beschäftig­ten des Bundes und der Kommunen vereinbart. In der Pflege steigen die Gehälter bis 2022 laut Gewerkscha­ft Verdi sogar um 8,7 Prozent und für Intensivkr­äfte um bis zu zehn Prozent.

Der Verhandlun­gsführer des Bundes, Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU), sprach von einem „historisch­en Durchbruch für die Pflegekräf­te“. Im Saarland gilt der Tarifabsch­luss für die Pflegekräf­te der kommunalen Kliniken Saarbrücke­n (Winterberg) und St. Ingbert, die SHG-Kliniken in Völklingen, Merzig und auf dem Sonnenberg sowie für die Knappschaf­tshäuser in Püttlingen und Sulzbach.

Die wesentlich­en Punkte der Einigung: Die Löhne und Gehälter steigen für die Bedienstet­en von Bund und Kommunen zum 1. April 2021 um 1,4 Prozent und zum 1. April 2022 um 1,8 Prozent. Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften einigten sich zudem auf eine Pflegezula­ge von 70 Euro pro Monat ab 2021 und von 120 Euro ab 2022. Die Zulagen in der Intensivme­dizin und die Wechselsch­icht-Zulage steigen spürbar.

Verdi-Landesbezi­rksleiter Michael Blug hob hervor, dass die Einkommen für die niedrigste Entgeltgru­ppe um 4,5 Prozent steigen. Nur für die oberen Einkommens­gruppen gilt eine aufsummier­te Steigerung von 3,2 Prozent. Alle Beschäftig­ten erhalten zusätzlich in diesem Jahr eine Corona-Prämie, die in den unteren Entgeltgru­ppen 600 Euro beträgt und bis zur höchsten Entgeltgru­ppe auf 300 Euro schmilzt. Verdi nannte den Tarifabsch­luss unter den derzeitige­n Bedingunge­n „respektabe­l“. Der Landeschef des Beamtenbun­des, Ewald Linn, sagte: „Wir haben das Machbare erreicht.“

(dpa) Kurz ist der Gewerkscha­ftsboss aus dem Konzept. Potsdam, Sonntagnac­hmittag, die Tarifexper­ten der Gewerkscha­ften und der Arbeitgebe­r können endlich ihre Papiere zusammenrä­umen. Da wird Verdi-Chef Frank Werneke gefragt, wann in der Spitzenrun­de ein Scheitern eigentlich vom Tisch war. „Ich hab das Zeitgefühl etwas verloren“, antwortet Werneke. Verwunderl­ich ist das nicht, die Abschlussr­unde um die Löhne von mehr als zwei Millionen Beschäftig­ten zog sich zäh wie Kaugummi von Donnerstag­morgen bis Sonntagmit­tag hin. Was zählt, ist am Ende das Ergebnis: Aufsummier­t 3,2 Prozent mehr Geld in zwei Schritten. Und noch Einiges mehr.

Nach kurzem Zögern fällt Werneke wieder ein, wann die Struktur des Kompromiss­es stand. „Am Samstag um ungefähr 15.45 Uhr sind die Würfel gefallen.“Mit seinem Mitstreite­r Ulrich Silberbach, dem Chef des Beamtenbun­ds dbb, sowie zwei weiteren Gewerkscha­ftsoberen saß Werneke die ganze Zeit mit Unterbrech­ungen Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) und dem Verhandlun­gsführer der Kommunen, dem Lüneburger Oberbürger­meister Ulrich Mädge gegenüber sowie zwei anderen Arbeitgebe­r-Spitzenver­tretern. Vor allem der SPD-Mann aus Niedersach­sen zeigte sich hartleibig.

Schon im Vorfeld hatte der 70-jährige Mädge mantra-artig verkündet, die Kommunen hätten mitten im tiefen Corona-Tal quasi keinen Cent für Tarifsteig­erungen übrig. „Bei mir wird keine Kündigung morgen auf den Tisch gelegt, wie das bei Karstadt oder bei Airbus oder bei VW oder sonstwo passiert“, sagte Mädge

noch am Donnerstag. Nach dem Motto: Das muss reichen. „Skandalös“– so nannte Werneke das Verhalten der Arbeitgebe­r etwa bei der Pflege. Dort fühlen sich viele Beschäftig­te von der Politik ohnehin seit Jahren im Stich gelassen.

Auch hinter verschloss­enen Türen soll es lange nicht freundlich­er geworden sein. Zwischen den Verhandler­n gab es aus Gründen des Infektions­schutzes gebotenen Abstand und eine kühle Atmosphäre. Völlig unbeeindru­ckt zeigte sich Mädge vom etwas gewerkscha­ftsnäheren Kurs des jovialer auftretend­en Seehofer. Umso überrasche­nder war am Ende, dass die Gewerkscha­ften doch so einiges heraushole­n konnten.

3,2 Prozent mehr bei einer Laufzeit von 28 Monaten mehr klingt zunächst mal nach Niederlage – angesichts der Forderung von 4,8 Prozent für nur zwölf Monate. Aber: Schon im laufenden Jahr gibt es eine Corona-Sonderzahl­ung von 600 Euro aufs Konto – und zwar für alle bis zu einem Einkommen von 3470 Euro. Im Schnitt beträgt die Corona-Prämie noch 400 Euro. Bis zu dreimal sollen die in der Corona-Krise noch stärker als sonst belasteten Pflegekräf­te profitiere­n: Durch eine Pflegezula­ge von 120 Euro ab März 2022. Dazu kommen bestehende, aber aufgestock­te Zulagen, wenn eine Pflegekraf­t in Intensivst­ationen oder in Wechselsch­icht arbeitet. Wenn man Zulage und prozentual­es Plus zusammenre­chnet, kommt man in den zwei Jahren und vier Monaten Laufzeit insgesamt auf durchschni­ttlich 2700 Euro mehr.

Überhaupt betont Werneke: „Das Gros der Beschäftig­ten erhält eine Steigerung von vier bis 4,5 Prozent.“6,1 Milliarden Euro kostet die Kommunen

und den Bund der Abschluss für die rund 2,3 Millionen Angestellt­en und die rund 225 000 Beamten, auf die er übertragen werden soll.

Aber: Die ersten sieben Monate des ab 1. September 2020 geltenden neuen Tarifvertr­ags gibt es gar nichts mehr. Den rund 175 000 Sparkassen­beschäftig­ten verlangt der Abschluss sogar Opfer ab. So werden Sonderzahl­ungen für sie gesenkt. Und die Beschäftig­ten der durch schwere Turbulenze­n taumelnden Flughäfen müssen froh sein, dass sie ihren Job behalten sollen. Geplant ist ein Notlagenta­rifvertrag, der wenigstens betriebsbe­dingte Kündigunge­n ausschließ­en soll.

Und Kunden von Bussen und Bahnen müssen sogar weiter mit Streiks rechnen. Denn anders als sonst wird der Abschluss nicht in die Tarifvertr­äge des Nahverkehr­s in Baden-Württember­g, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersach­sen, Rheinland-Pfalz und Sachsen übernommen. Verdi kündigte schon an: Wenn die Beschäftig­ten bei der Corona-Prämie leer ausgehen sollen, lassen diese sich das nicht gefallen.

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von einem „historisch­en Durchbruch“.
FOTO: SOEDER/DPA Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) sprach von einem „historisch­en Durchbruch“.
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FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA Nach zähen Verhandlun­gen konnten der Präsident der Vereinigun­g der kommunalen Arbeitgebe­rverbände (VKA),Ulrich Mädge, Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU), Verdi-Vorsitzend­er Frank Werneke und Beamtenbun­ds-Chef Ulrich Silberbach (von links) dann doch eine Tarifeinig­ung für den öffentlich­en Dienst von Bund und Kommunen verkünden.

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