„Wir wollen die Bürger nicht gängeln“
Der saarländische Ministerpräsident zur Wahl des CDU-Chefs und zur Frage, warum er von seinen Kollegen in der Krise mehr Solidarität erwartet.
Die Bürger erwarten von der Politik transparente Corona-Regeln. Davon ist der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) überzeugt. Er fordert deshalb einen einheitlichen Maßnahmenkatalog für ganz Deutschland. Seiner Partei empfiehlt er dringend, die Frage der künftigen Führung noch in diesem Jahr zu klären.
Wird es eine Wahl des CDU-Vorsitzenden im Dezember geben?
HANS Es wäre aus meiner Sicht die schlechtere Option, die Wahl des neuen Parteivorsitzenden ins Frühjahr hinauszuschieben. Die CDU führt derzeit in den Umfragen und stellt die erfolgreiche Bundeskanzlerin. Die Partei muss jetzt schnell sagen, wer ihre Führung sein soll. Die Menschen wollen das entschieden wissen, da bin ich sicher.
Kann die CDU ihren Parteitag in Präsenz abhalten?
HANS Ich halte es bei der derzeitigen Infektionslage nicht vermittelbar, dass eintausend Delegierte nach Baden-Württemberg anreisen und sich dort treffen. Dies wäre ein verheerendes Signal – auch mit Blick auf die Einschränkungen, die wir unseren Bürgerinnen und Bürgern coronabedingt im Alltag zumuten. Ich bin stattdessen dafür, dass wir den Parteitag Anfang Dezember als hybriden Parteitag mit virtuellen Elementen und Präsenzveranstaltungen im kleinen Stil dezentral durchführen.
Wäre diese neue Form ein gutes Signal?
HANS Wer die CDU im Jahr 2021 führen möchte, der muss auch mit einem solchen Format klarkommen.
Könnte man im Frühjahr nicht noch einmal neu würfeln? Der derzeit in der CDU sehr beliebte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn könnte dann nochmal eine neue Rolle bekommen...
HANS In der Demokratie kann man jederzeit die Weichen neu stellen, auch jetzt. Es gibt den Wunsch Vieler in der Partei, dass der Dreikampf gar nicht erst ausgefochten wird und die drei Kandidaten sich einigen – entweder untereinander, oder auf einen anderen Kandidaten. Wenn das nicht möglich ist, muss man das demokratische Verfahren vernünftig austragen. Ein Warten auf das Frühjahr ändert daran nichts. Wir müssen die
Führungsfrage jetzt klären.
Wann muss die Kanzlerkandidatur der Union bestimmt werden? Gleich danach oder im Frühjahr?
HANS Im Moment müssen wir uns darauf konzentrieren, Deutschland in dieser schwierigen Lage gut zu regieren. Wir sollten die Regierungsarbeit auf keinen Fall durch einen zu früh eingeleiteten Wahlkampf gefährden. Das ist die oberste Prämisse. Ansonsten gebietet es die Fairness gegenüber dem Partner CSU, dass der CDU-Vorsitzende, sobald er gewählt ist, mit der CSU ins Gespräch kommt und dann gemeinsam ein Fahrplan festgelegt wird.
Schadet es dem neuen Vorsitzenden, dass das Kanzleramt weiter getrennt ist vom Parteivorsitz?
HANS Es ist nach wie vor eine schwierige Herausforderung, dass Kanzlerschaft und Parteivorsitz nicht in einer Hand liegen. Aber ich bin sicher, dass so kurz vor der Wahl ein solcher Übergang händelbar ist. Das traue ich allen drei Kandidaten zu.
Sollte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in Berlin bleiben?
HANS Natürlich wünsche ich mir, dass AKK für den Bundestag kandidiert und dort das Saarland vertritt. Ich wünsche mir auch, dass sie der Regierung weiter angehört – aber dafür müssen wir erstmal die Wahl gewinnen. Sie ist im Saarland dafür ein starkes Zugpferd.
Wie zufrieden sind Sie mit der Bekämpfung der Pandemie mit Blick auf die Ministerpräsidentenkonferenz?
HANS Es war richtig, dass die Bundeskanzlerin die Ministerpräsidenten an einen Tisch geholt hat. Denn Verordnungen zu erlassen, um die Pandemie in Griff zu bekommen, fällt in die Zuständigkeit der Länder. Gleichzeitig ist es die Aufgabe der Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass überall in Deutschland einigermaßen gleiche Maßstäbe gelten. Das ist zu Beginn der Pandemie gut gelungen, aber wir machen zunehmend eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners.
Was stört Sie daran?
HANS Wir brauchen einen einheitlichen Maßnahmenkatalog. Die Bürger wollen Transparenz, sie wollen wissen was passiert, wenn ihr Landkreis rot, gelb oder grün eingestuft ist. Natürlich muss ein Landkreis im Norden nicht in den Lockdown, wenn die Zahlen im Süden schlecht sind. Aber ich wünsche mir schon, dass es Solidarität unter den Bundesländern gibt, denn am Ende kann es jedes Bundesland treffen.
Hat die Kanzlerin noch die Autorität, das durchzusetzen?
HANS Sie hat in jedem Fall eine sehr hohe Autorität und es gibt eine große Anerkennung in der Runde der Ministerpräsidenten für ihre Person und ihre Arbeit, Aber Fakt ist auch, dass es ohne Solidarität nicht gelingen wird. Die Verantwortung eines einzelnen Ministerpräsidenten für ganz Deutschland war noch nie so groß wie heute.
Wie beurteilen Sie die Rolle von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder? Ist er zu kategorisch in seinen Maßnahmen?
HANS Ich verstehe Markus Söder sehr gut. In Bayern hat die Pandemie früh und heftig zugeschlagen mit täglichen Todeszahlen. Deshalb will er eine Wiederholung auf alle Fälle vermeiden, wie ich auch. Ich fürchte, im Saarland wird es bald, wenn es nicht besser wird, wieder hohe Belegzahlen auf den Intensivstationen geben. Das macht mir Sorgen.
Muss es erneut Kontaktbeschränkungen geben?
HANS Wenn die Zahlen jetzt höher steigen als zu Beginn der Pandemie, müssen wir das überdenken. Das hat nichts damit zu tun, dass wir die Bürger gängeln wollen, sondern einzig, dass wir dem Bedürfnis Rechnung tragen, sich selbst und Angehörige zu schützen. Das würde bedeuten, dass wir die Zahl der Menschen, die sich derzeit im öffentlichen Raum sammeln dürfen, weiter reduzieren müssen. Das hätte wieder Auswirkungen auf das Hotel- und Gaststättengewerbe. Ich möchte das alles gerne verhindern, Ich bitte die Menschen deswegen eindringlich, sich an die Regeln zu halten und vorsichtig zu sein.
Sie leben im Saarland mit offenen Grenzen. Kann das auch so bleiben?
HANS Ich möchte Grenzschließungen unbedingt vermeiden. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes Familie, die damaligen Schließungen waren ein Akt der Hilflosigkeit, weil die Systeme überfordert waren. Jetzt sprechen wir fast täglich mit unseren Partnern in Frankreich und Luxemburg. Ich denke, dass wir die Zusammenarbeit noch verstärken können. Ich kann mir beispielsweise vorstellen, dass es in Saarbrücken zu gemeinsamen Kontrollen der deutschen Polizei und der französischen Gendarmarie kommt. Es gibt eben sinnvollere Konzepte als Grenzkontrollen.