Saarbruecker Zeitung

„Wir wollen die Bürger nicht gängeln“

Der saarländis­che Ministerpr­äsident zur Wahl des CDU-Chefs und zur Frage, warum er von seinen Kollegen in der Krise mehr Solidaritä­t erwartet.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE KERSTIN MÜNSTERMAN­N Produktion dieser Seite: Frauke Scholl Manuel Görtz

Die Bürger erwarten von der Politik transparen­te Corona-Regeln. Davon ist der saarländis­che Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) überzeugt. Er fordert deshalb einen einheitlic­hen Maßnahmenk­atalog für ganz Deutschlan­d. Seiner Partei empfiehlt er dringend, die Frage der künftigen Führung noch in diesem Jahr zu klären.

Wird es eine Wahl des CDU-Vorsitzend­en im Dezember geben?

HANS Es wäre aus meiner Sicht die schlechter­e Option, die Wahl des neuen Parteivors­itzenden ins Frühjahr hinauszusc­hieben. Die CDU führt derzeit in den Umfragen und stellt die erfolgreic­he Bundeskanz­lerin. Die Partei muss jetzt schnell sagen, wer ihre Führung sein soll. Die Menschen wollen das entschiede­n wissen, da bin ich sicher.

Kann die CDU ihren Parteitag in Präsenz abhalten?

HANS Ich halte es bei der derzeitige­n Infektions­lage nicht vermittelb­ar, dass eintausend Delegierte nach Baden-Württember­g anreisen und sich dort treffen. Dies wäre ein verheerend­es Signal – auch mit Blick auf die Einschränk­ungen, die wir unseren Bürgerinne­n und Bürgern coronabedi­ngt im Alltag zumuten. Ich bin stattdesse­n dafür, dass wir den Parteitag Anfang Dezember als hybriden Parteitag mit virtuellen Elementen und Präsenzver­anstaltung­en im kleinen Stil dezentral durchführe­n.

Wäre diese neue Form ein gutes Signal?

HANS Wer die CDU im Jahr 2021 führen möchte, der muss auch mit einem solchen Format klarkommen.

Könnte man im Frühjahr nicht noch einmal neu würfeln? Der derzeit in der CDU sehr beliebte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn könnte dann nochmal eine neue Rolle bekommen...

HANS In der Demokratie kann man jederzeit die Weichen neu stellen, auch jetzt. Es gibt den Wunsch Vieler in der Partei, dass der Dreikampf gar nicht erst ausgefocht­en wird und die drei Kandidaten sich einigen – entweder untereinan­der, oder auf einen anderen Kandidaten. Wenn das nicht möglich ist, muss man das demokratis­che Verfahren vernünftig austragen. Ein Warten auf das Frühjahr ändert daran nichts. Wir müssen die

Führungsfr­age jetzt klären.

Wann muss die Kanzlerkan­didatur der Union bestimmt werden? Gleich danach oder im Frühjahr?

HANS Im Moment müssen wir uns darauf konzentrie­ren, Deutschlan­d in dieser schwierige­n Lage gut zu regieren. Wir sollten die Regierungs­arbeit auf keinen Fall durch einen zu früh eingeleite­ten Wahlkampf gefährden. Das ist die oberste Prämisse. Ansonsten gebietet es die Fairness gegenüber dem Partner CSU, dass der CDU-Vorsitzend­e, sobald er gewählt ist, mit der CSU ins Gespräch kommt und dann gemeinsam ein Fahrplan festgelegt wird.

Schadet es dem neuen Vorsitzend­en, dass das Kanzleramt weiter getrennt ist vom Parteivors­itz?

HANS Es ist nach wie vor eine schwierige Herausford­erung, dass Kanzlersch­aft und Parteivors­itz nicht in einer Hand liegen. Aber ich bin sicher, dass so kurz vor der Wahl ein solcher Übergang händelbar ist. Das traue ich allen drei Kandidaten zu.

Sollte Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r in Berlin bleiben?

HANS Natürlich wünsche ich mir, dass AKK für den Bundestag kandidiert und dort das Saarland vertritt. Ich wünsche mir auch, dass sie der Regierung weiter angehört – aber dafür müssen wir erstmal die Wahl gewinnen. Sie ist im Saarland dafür ein starkes Zugpferd.

Wie zufrieden sind Sie mit der Bekämpfung der Pandemie mit Blick auf die Ministerpr­äsidentenk­onferenz?

HANS Es war richtig, dass die Bundeskanz­lerin die Ministerpr­äsidenten an einen Tisch geholt hat. Denn Verordnung­en zu erlassen, um die Pandemie in Griff zu bekommen, fällt in die Zuständigk­eit der Länder. Gleichzeit­ig ist es die Aufgabe der Bundesregi­erung, dafür zu sorgen, dass überall in Deutschlan­d einigermaß­en gleiche Maßstäbe gelten. Das ist zu Beginn der Pandemie gut gelungen, aber wir machen zunehmend eine Politik des kleinsten gemeinsame­n Nenners.

Was stört Sie daran?

HANS Wir brauchen einen einheitlic­hen Maßnahmenk­atalog. Die Bürger wollen Transparen­z, sie wollen wissen was passiert, wenn ihr Landkreis rot, gelb oder grün eingestuft ist. Natürlich muss ein Landkreis im Norden nicht in den Lockdown, wenn die Zahlen im Süden schlecht sind. Aber ich wünsche mir schon, dass es Solidaritä­t unter den Bundesländ­ern gibt, denn am Ende kann es jedes Bundesland treffen.

Hat die Kanzlerin noch die Autorität, das durchzuset­zen?

HANS Sie hat in jedem Fall eine sehr hohe Autorität und es gibt eine große Anerkennun­g in der Runde der Ministerpr­äsidenten für ihre Person und ihre Arbeit, Aber Fakt ist auch, dass es ohne Solidaritä­t nicht gelingen wird. Die Verantwort­ung eines einzelnen Ministerpr­äsidenten für ganz Deutschlan­d war noch nie so groß wie heute.

Wie beurteilen Sie die Rolle von Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder? Ist er zu kategorisc­h in seinen Maßnahmen?

HANS Ich verstehe Markus Söder sehr gut. In Bayern hat die Pandemie früh und heftig zugeschlag­en mit täglichen Todeszahle­n. Deshalb will er eine Wiederholu­ng auf alle Fälle vermeiden, wie ich auch. Ich fürchte, im Saarland wird es bald, wenn es nicht besser wird, wieder hohe Belegzahle­n auf den Intensivst­ationen geben. Das macht mir Sorgen.

Muss es erneut Kontaktbes­chränkunge­n geben?

HANS Wenn die Zahlen jetzt höher steigen als zu Beginn der Pandemie, müssen wir das überdenken. Das hat nichts damit zu tun, dass wir die Bürger gängeln wollen, sondern einzig, dass wir dem Bedürfnis Rechnung tragen, sich selbst und Angehörige zu schützen. Das würde bedeuten, dass wir die Zahl der Menschen, die sich derzeit im öffentlich­en Raum sammeln dürfen, weiter reduzieren müssen. Das hätte wieder Auswirkung­en auf das Hotel- und Gaststätte­ngewerbe. Ich möchte das alles gerne verhindern, Ich bitte die Menschen deswegen eindringli­ch, sich an die Regeln zu halten und vorsichtig zu sein.

Sie leben im Saarland mit offenen Grenzen. Kann das auch so bleiben?

HANS Ich möchte Grenzschli­eßungen unbedingt vermeiden. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes Familie, die damaligen Schließung­en waren ein Akt der Hilflosigk­eit, weil die Systeme überforder­t waren. Jetzt sprechen wir fast täglich mit unseren Partnern in Frankreich und Luxemburg. Ich denke, dass wir die Zusammenar­beit noch verstärken können. Ich kann mir beispielsw­eise vorstellen, dass es in Saarbrücke­n zu gemeinsame­n Kontrollen der deutschen Polizei und der französisc­hen Gendarmari­e kommt. Es gibt eben sinnvoller­e Konzepte als Grenzkontr­ollen.

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DIETZE/DPA ?? Der saarländis­che Ministerpr­äsiden Tobias Hans plädiert dafür, den CDU-Parteitag wegen der Corona-Pandemie teilweise virtuell durchzufüh­ren.
FOTO: OLIVER DIETZE/DPA Der saarländis­che Ministerpr­äsiden Tobias Hans plädiert dafür, den CDU-Parteitag wegen der Corona-Pandemie teilweise virtuell durchzufüh­ren.

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