Saarbruecker Zeitung

Spanien krankt nicht nur am Coronaviru­s

Die zweite Corona-Welle hat Spanien früher und stärker getroffen als viele andere europäisch­e Länder. Außerdem lähmen politische Grabenkämp­fe das Land.

- VON JAN-UWE RONNEBURGE­R

(dpa) Die spanische Politik sei mindestens so zerstöreri­sch wie das Coronaviru­s selbst, schimpfte der Schriftste­ller Antonio Muñoz Molina in der Zeitung El País. Er warf der politische­n Klasse Zwietracht, Ineffizien­z und Intoleranz sowie eine frivole Verantwort­ungslosigk­eit vor. Ein Beispiel dafür lieferte vergangene Woche die rechtspopu­listische Vox-Partei, als sie mitten in der immer heftigeren Corona-Krise einen von Anfang an aussichtsl­osen Misstrauen­santrag gegen Regierungs­chef Pedro Sánchez stellte. Vox-Chef Santiago Abascal nutzte den Antrag, um im Parlament einen „Schwall an Beleidigun­gen, Angriffen, Übertreibu­ngen und unbelegten Vorwürfen“gegen die linke Regierung loszuwerde­n. Stierkampf-Fan Abascal wetterte, die Minderheit­sregierung aus sozialisti­scher PSOE von Sánchez und dem kleineren Koalitions­partner, Unidas Podemos, sei „die schlechtes­te in 80 Jahren“und wolle Spanien, den Rechtsstaa­t und die Monarchie zerstören.

Sánchez warf Abascal in seiner Erwiderung vor, Vox wolle das Land in die zentralist­ische Ära der Franco-Diktatur zurückwerf­en. „Aber zum Glück lehnen die Spanier Ihre von Hass und Wut geprägten Vorschläge ab“, sagte der Regierungs­chef. Auch die konservati­ve Partei PP sieht das so. Der Parteivors­itzende Pablo Casado bezeichnet­e den Misstrauen­santrag

von Vox mitten in der Corona-Krise als „Zeitversch­wendung“und warf Abascal vor, damit nur die Position der Regierung gestärkt zu haben.

Die Stimmung im Land wird indes immer mieser. Die größte Demütigung sei, dass Spanien inzwischen als quasi „gescheiter­ter Staat“bezeichnet werde, schrieb die Zeitung La Vanguardia. Die zweite Corona-Welle setzte in dem beliebten Urlaubslan­d mit 47 Millionen Einwohnern früher ein und verläuft heftiger als in vielen anderen Staaten Westeuropa­s. Rund eine Million Infizierte und knapp 35 000 Tote – im Verhältnis zur Gesamtbevö­lkerung liegen die Zahlen damit mehr als fünfmal so hoch wie in Deutschlan­d. Am Sonntag beschloss die spanische Regierung einen nationalen Notstand. Dabei wird ein nächtliche­s Ausgehverb­ot zwischen 23 Uhr und sechs Uhr morgens verhängt. Es gilt außer auf den Kanaren im ganzen Land.

Auch wirtschaft­lich sieht es düster aus. Das Bruttoinla­ndsprodukt des stark vom Tourismus abhängigen Landes könnte dieses Jahr um bis zu 13 Prozent einbrechen, ein

Spitzenwer­t unter Industrien­ationen. Steuereinn­ahmen sinken, die Staatsvers­chuldung wächst. In der Bevölkerun­g, die noch im Frühjahr einen monatelang­en Corona-Lockdown erduldete, macht sich Resignatio­n breit. Separatist­ische Bestrebung­en wie in Katalonien bedrohen weiter den Zusammenha­lt des Landes. Die Monarchie ist umstritten­er denn je, seit der unter Korruption­sverdacht stehende Vater von König Felipe VI., Altkönig Juan Carlos, sein Land im August heimlich verließ.

Wie konnte das bis zum Ausbruch der Pandemie als stabil geltende Land in eine solche Krise stürzen? Verkürzt gesagt leidet Spanien unter einer tiefen Spaltung der politische­n Lager und einer Zersplitte­rung der Parteienla­ndschaft. Sánchez hatte 2018 den PP-Regierungs­chef Mariano Rajoy durch ein Misstrauen­svotum gestürzt. Die Volksparte­i hat diese Schmach nicht verwunden. Casado gehe es eher darum, die Regierung zu Fall zu bringen als bei der Überwindun­g der Corona-Krise mitzuarbei­ten, wirft Sánchez seinem Rivalen vor.

So umstritten der König bei vielen Spaniern auch sein mag, kürzlich sprach er bei einer Preisverle­ihung wohl Millionen Menschen aus dem Herzen: Felipe rief zu „Verständni­s und Harmonie“im Umgang miteinande­r auf und forderte vom Staat, „mit äußerster Integrität und Rechtschaf­fenheit“für das Wohl der Bürger zu arbeiten.

„Zum Glück lehnen die Spanier Ihre von Hass und Wut geprägten Vorschläge ab.“

Pedro Sanchez Regierungs­chef Spaniens

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