Spanien krankt nicht nur am Coronavirus
Die zweite Corona-Welle hat Spanien früher und stärker getroffen als viele andere europäische Länder. Außerdem lähmen politische Grabenkämpfe das Land.
(dpa) Die spanische Politik sei mindestens so zerstörerisch wie das Coronavirus selbst, schimpfte der Schriftsteller Antonio Muñoz Molina in der Zeitung El País. Er warf der politischen Klasse Zwietracht, Ineffizienz und Intoleranz sowie eine frivole Verantwortungslosigkeit vor. Ein Beispiel dafür lieferte vergangene Woche die rechtspopulistische Vox-Partei, als sie mitten in der immer heftigeren Corona-Krise einen von Anfang an aussichtslosen Misstrauensantrag gegen Regierungschef Pedro Sánchez stellte. Vox-Chef Santiago Abascal nutzte den Antrag, um im Parlament einen „Schwall an Beleidigungen, Angriffen, Übertreibungen und unbelegten Vorwürfen“gegen die linke Regierung loszuwerden. Stierkampf-Fan Abascal wetterte, die Minderheitsregierung aus sozialistischer PSOE von Sánchez und dem kleineren Koalitionspartner, Unidas Podemos, sei „die schlechteste in 80 Jahren“und wolle Spanien, den Rechtsstaat und die Monarchie zerstören.
Sánchez warf Abascal in seiner Erwiderung vor, Vox wolle das Land in die zentralistische Ära der Franco-Diktatur zurückwerfen. „Aber zum Glück lehnen die Spanier Ihre von Hass und Wut geprägten Vorschläge ab“, sagte der Regierungschef. Auch die konservative Partei PP sieht das so. Der Parteivorsitzende Pablo Casado bezeichnete den Misstrauensantrag
von Vox mitten in der Corona-Krise als „Zeitverschwendung“und warf Abascal vor, damit nur die Position der Regierung gestärkt zu haben.
Die Stimmung im Land wird indes immer mieser. Die größte Demütigung sei, dass Spanien inzwischen als quasi „gescheiterter Staat“bezeichnet werde, schrieb die Zeitung La Vanguardia. Die zweite Corona-Welle setzte in dem beliebten Urlaubsland mit 47 Millionen Einwohnern früher ein und verläuft heftiger als in vielen anderen Staaten Westeuropas. Rund eine Million Infizierte und knapp 35 000 Tote – im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung liegen die Zahlen damit mehr als fünfmal so hoch wie in Deutschland. Am Sonntag beschloss die spanische Regierung einen nationalen Notstand. Dabei wird ein nächtliches Ausgehverbot zwischen 23 Uhr und sechs Uhr morgens verhängt. Es gilt außer auf den Kanaren im ganzen Land.
Auch wirtschaftlich sieht es düster aus. Das Bruttoinlandsprodukt des stark vom Tourismus abhängigen Landes könnte dieses Jahr um bis zu 13 Prozent einbrechen, ein
Spitzenwert unter Industrienationen. Steuereinnahmen sinken, die Staatsverschuldung wächst. In der Bevölkerung, die noch im Frühjahr einen monatelangen Corona-Lockdown erduldete, macht sich Resignation breit. Separatistische Bestrebungen wie in Katalonien bedrohen weiter den Zusammenhalt des Landes. Die Monarchie ist umstrittener denn je, seit der unter Korruptionsverdacht stehende Vater von König Felipe VI., Altkönig Juan Carlos, sein Land im August heimlich verließ.
Wie konnte das bis zum Ausbruch der Pandemie als stabil geltende Land in eine solche Krise stürzen? Verkürzt gesagt leidet Spanien unter einer tiefen Spaltung der politischen Lager und einer Zersplitterung der Parteienlandschaft. Sánchez hatte 2018 den PP-Regierungschef Mariano Rajoy durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Die Volkspartei hat diese Schmach nicht verwunden. Casado gehe es eher darum, die Regierung zu Fall zu bringen als bei der Überwindung der Corona-Krise mitzuarbeiten, wirft Sánchez seinem Rivalen vor.
So umstritten der König bei vielen Spaniern auch sein mag, kürzlich sprach er bei einer Preisverleihung wohl Millionen Menschen aus dem Herzen: Felipe rief zu „Verständnis und Harmonie“im Umgang miteinander auf und forderte vom Staat, „mit äußerster Integrität und Rechtschaffenheit“für das Wohl der Bürger zu arbeiten.
„Zum Glück lehnen die Spanier Ihre von Hass und Wut geprägten Vorschläge ab.“
Pedro Sanchez Regierungschef Spaniens