Was die aktuellen Zahlen wirklich sagen
Es gibt inzwischen mehr Neu-Infektionen als im Frühjahr, aber es wird auch deutlich mehr getestet. Die Entwicklung im Saarland im Überblick.
Regelmäßig erreichen die Zahlen der Corona-Neuinfektionen, die von den sechs Gesundheitsämtern im Saarland gemeldet werden, neue Höchststände. Doch was sagen diese Zahlen tatsächlich aus? Und was sind die Folgen? Versuch einer Einordnung.
Wie ist der rasante Anstieg der Zahl der Neuinfektionen im Saarland zu bewerten?
Die Zahlen sind mit großer Vorsicht zu genießen. Denn je mehr getestet wird, desto mehr Infektionen werden auch festgestellt. Das Ingelheimer Unternehmen Bioscientia, das in St. Ingbert das größte humanmedizinische Labor des Saarlandes betreibt, untersuchte im März/April bis zu 4000 Proben pro Woche, inzwischen jedoch 10 000. Die Infektionszahlen von März/April und heute sind also keinesfalls vergleichbar. Dennoch hält der Virologe Dr. Jürgen Rissland, Leitender Oberarzt an der Uniklinik in Homburg, die Zahl der Neuinfektionen – vor allem auch die Altersverteilung der Infizierten – für einen wichtigen Gradmesser, neben der Zahl der mit Covid-Patienten belegten Krankenhausbetten.
Von 100 durchgeführten Corona-Tests sind inzwischen deutlich weniger positiv als im Frühjahr. Hat sich das Infektionsgeschehen in Wahrheit also abgeschwächt?
Das lässt sich daraus nicht schließen. Im Frühjahr wurden Abstriche vor allem bei Patienten genommen, die Symptome zeigten. Das Labor in St. Ingbert ermittelte im März/April daher Positivraten von 7,4 bis 18,1 Prozent. Seit Monaten werden jedoch präventiv auch Personen ohne Symptome getestet – zum Beispiel Lehrer, Erzieher und Reiserückkehrer
(zeitweilig auch die aus Nicht-Risikogebieten). Das führte dazu, dass der Anteil der positiven Tests deutlich zurückging. Bioscientia gibt die Positivrate aktuell mit 3,8 Prozent an.
Welche Bewegungen stellen Virologen und Labore in jüngster Zeit fest?
Die Positivrate steigt seit einigen Wochen, im Bioscientia-Labor in St. Ingbert zum Beispiel seit Ende September von 0,6 auf 3,8 Prozent, an der Uniklinik Homburg von 1,5 auf 3,3 Prozent. Man kann also nicht sagen, dass die Zahl der positiven Tests ausschließlich deshalb steigt, weil mehr getestet wird, sondern unter den Getesteten sind auch prozentual mehr Infizierte.
Wer infiziert sich derzeit vor allem mit Corona?
„Überwiegend die arbeitende Bevölkerung, also die 20-bis 60-Jährigen“, sagt der Virologe Rissland. Das bestätigen auch mehrere von der SZ befragte Gesundheitsämter. Im Regionalverband Saarbrücken ist beispielsweise fast die Hälfte aller positiv Getesteten aus dem Oktober zwischen 20 und 40 Jahre alt, weitere 30 Prozent sind zwischen 40 und 60. Allerdings beobachtet Rissland, dass sich inzwischen auch wieder mehr ältere Patienten mit dem Coronavirus infizieren. „Das macht uns Sorgen“, sagt er. Denn je älter ein Infizierter, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass er stationär behandelt werden muss.
Bei welchen Gelegenheiten stecken sich diese Menschen an?
Laut Gesundheitsministerium stecken sich die meisten Menschen bei privaten Feiern an. Das Gesundheitsamt St. Wendel führt etwa ein Drittel der Infektionen auf private Feiern zurück und nennt zudem vereinzelte Familien-Cluster. In Großrosseln im Regionalverband war eine Hochzeitsfeier mit 230 Gästen der Auslöser, in Heusweiler gab es drei Großfamilien mit zahlreichen Ansteckungen. Kneipen, so das Gesundheitsministerium, hätten beim Ausbruch im Landkreis St. Wendel eine maßgebliche Rolle gespielt. Weniger bedeutend für die Verbreitung des Virus sind Schulen und Reiserückkehrer. Auch der ÖPNV spielt den Angaben zufolge keine besondere Rolle. Infektionsketten sind jedoch nicht immer nachzuvollziehen, wie das Gesundheitsamt in Saarlouis berichtet, das
Infektionsgeschehen sei „eher diffus“, ohne regionale oder ereignisspezifische Cluster.
Kommen die sechs Gesundheitsämter noch mit der Kontaktnachverfolgung nach?
Es wird immer schwieriger. Jeder Infizierte hat im Schnitt 30 bis 40 Kontaktpersonen, denen nachtelefoniert werden muss, bei 200 neuen Fällen am Tag sind das bis zu 8000 Anrufe. Die Kreise setzen in ihren Gesundheitsämtern inzwischen zahlreiche Mitarbeiter aus anderen Verwaltungsbereichen ein. Zudem erhalten sie Unterstützung von 40 Bundeswehr-Soldaten. Die Kräfte bei Bedarf aufzustocken, sei „derzeit grundsätzlich kein Problem“, heißt es beim Landeskommando. Die FDP fordert, auch Bundespolizisten und Landesbeschäftigte in Gesundheitsämtern einzusetzen.
Was bedeuten die steigenden Fallzahlen für die saarländischen Krankenhäuser?
Die Zahl der stationären Covid-19-Patienten steigt, allein seit Anfang Oktober von drei auf 117, davon 26 auf einer Intensivstation. Virologe Rissland führt den Anstieg vor allem darauf zurück, dass mehr ältere Menschen erkranken. Laut Gesundheitsministerium sind noch über 300 Intensivbetten frei. Nach Berechnungen von Thorsten Lehr, Professor für Klinische Pharmazie an der Saar-Uni, könnten bei gleichbleibender Infektionslage bereits Ende Oktober 200 Saarländer mit einer Covid-Erkrankung in einer Klinik behandelt werden, davon 70 auf einer Intensivstation. Das Universitätsklinikum in Homburg beginnt deshalb wieder damit, planbare Operationen auf unbestimmte Zeit zu verschieben.