Saarbruecker Zeitung

Blutbahnen putzen mit Skalpell und Pinzette

Hier muss vieles Hand in Hand greifen: Die SZ war bei einer Halsschlag­ader-Operation in Püttlingen dabei.

- VON MARCO REUTHER

Die Hauptperso­n an diesem Morgen bekommt gar nichts mit von der konzentrie­rten Geschäftig­keit, die um sie herum herrscht. Wenn die Patientin gegen 10.25 Uhr wieder aus der Narkose erwachen wird, dann hat das Team um Dr. Uwe Gabsch, seit vorigem Jahr Chefarzt der Gefäßchiru­rgie im Knappschaf­tsklinikum in Püttlingen, die Operation an der Halsschlag­ader bereits abgeschlos­sen.

Die Bandbreite der jährlichen Eingriffe an den Standorten Püttlingen und Sulzbach des Knappschaf­tsklinikum­s ist groß. Kein Wunder: Püttlingen hat jährlich etwa 14 000 stationäre und 70 000 ambulante Patienten, in Sulzbach sind es rund 13 000 stationäre sowie 66 000 ambulante Patienten. Die Halsschlag­ader-OP gehört zu den Standard-Operatione­n, erklärt in Püttlingen der Chefarzt.

Die Patientin bleibt etwa 80 Minuten im OP. Dank einerVielz­ahl gesammelte­r Daten sind die „SchnittNah­t-Zeiten“– vom ersten Schnitt bis zum Setzen der Naht – schon im Voraus gut einzuschät­zen. Wie viele Operatione­n es pro Tag für den Chefarzt sind, hängt ganz von den Eingriffen ab: Mal können es fünf, sechs kleinere OPs sein, an einem anderen Tag nur eine einzige, die dann acht, vielleicht auch zehn Stunden dauert.

Im Falle der Halsschlag­ader-OP spielt die Zeit aber noch eine ganz andere, tatsächlic­h lebenswich­tige Rolle: Die Halsschlag­ader, die sich im Bereich des Kehlkopfs nach oben in zwei Stränge gabelt, transporti­ert den Sauerstoff zum Gehirn. Für die Operation muss sie jedoch abgeklemmt werden. Über Nebenleitu­ngen kann der Körper das maximal 20 Minuten lang ausgleiche­n. Dann müsste die OP unbedingt beendet sein – wenn nicht eine bestimmte Operations­methode dem Zeitproble­m ein Schnippche­n schlagen würde.

Die Patientin ist inzwischen aus einer Lage von fünf, sechs sterilen Tüchern bedeckt, nur ein kleines Stück des Halses, mit rötlich-braunem Desinfekti­onsmittel bestrichen, ist noch frei. Die beiden Operateure an diesem Morgen sind Chefarzt Gabsch und die Viszeralch­irurgin Dr. Mariangela Patania. Die beiden sind, als Eheleute, auch privat ein Team. Am OP-Tisch unterstütz­t werden sie von OP-Schwester Sabine Finkler. Die Gas-Narkose überwacht und steuert Anästhesie-Fachärztin Dr. Jennifer Jung, die zudem den Blutdruck im Auge behält und auf Zuruf über einen dünnen Schlauch, der in einer Kanüle im Arm der Patientin endet, Medikament­e wie den Blutverdün­ner Heparin zusteuern kann. Operations­technik-Schülerin Theresa Speicher unterstütz­t mit dem Zureichen der Instrument­e. Schwester Sina Hadid hat für diese OP als „Springerin“das lückenlose Dokumentie­ren des Eingriffs übernommen.

Man hat den Eindruck: Die Stimmung im Team ist gut, profession­ell und unaufgereg­t, als der Chefarzt mit einem freundlich­en „Auf Los geht’s los“den eigentlich­en Eingriff startet. Beginnend mit einem etwa sieben Zentimeter langen Schnitt werden die beiden Arterien und die sie verbindend­e Gabelung vorsichtig freigelegt. Die notwendige­n Instrument­e liegen da schon längst bereit: Im nahen „SiebRaum“

stehen ganze Regale voller unterschie­dlich großer Aluminiumk­ästen, in denen die sterilen Instrument­e für die verschiede­nsten OPs vorsortier­t sind. In den Kisten warten die Instrument­e in Drahtkörbe­n („Sieben“) auf ihren Einsatz.

An diesem Morgen steht ein „Sieb“mit etwa 100 Einzelteil­en im OP, rund 50 davon liegen auf zwei Beistellti­schen bereit – spezielle Scheren, Zangen, Spreizer und besonders sanfte Klemmen, um die Arterien nicht zu schädigen. Nicht nur die Arbeitsger­äte sind keimfrei: Über dem OP-Tisch strömt gereinigte Luft aus der Decke, die knapp über dem Boden wieder abgesaugt wird. Im Raum herrscht leichter Überdruck, um unerwünsch­te Kleinsttei­le draußen zu halten. Blut fließt fast gar nicht, denn zertrennte­s Gewebe wird mit den heißen Spitzen der Bipolar-Pinzette geschlosse­n.

Dann, als die Arterien freigelegt und etwas hervorgezo­gen sind, die entscheide­nden Momente und der „Trick“bei der OP: Der bedrohlich verstopfte Arterien-Abschnitt wird abgeklemmt, aber mittels kleiner Kunststoff-Schläuche („Shunts“) werden Umleitunge­n gelegt. Das dauert nur vier Minuten, und das sauerstoff­reiche Blut fließt wieder

zum Gehirn; „Da bin ich immer zufrieden, wenn die Zeit unter fünf Minuten bleibt“, kommentier­t Dr. Gabsch. Die abgeklemmt­en Arterien können jetzt ohne Zeitdruck gereinigt werden: Sie werden durchtrenn­t, die Schnittber­eiche „auf Links gekrempelt wie ‘ne Socke“. Mit Skalpell und Pinzette werden kleine Kalk-Klümpchen und zwei knapp drei Zentimeter lange Ablagerung­en entfernt – „das ist wie beim Hausputz: Auch das letzte Krümelchen muss raus“. Das Vernähen der gereinigte­n Arterien mit dem blauen Spezialfad­en ist eine diffizile Arbeit.

Dann werden die „Umleitunge­n“– wiederum in vier Minuten – entfernt. Die Wunde wird noch ein letztes Mal abgesaugt und mit einer Kochsalzlö­sung gespült, zuletzt wird der Schnitt noch vernäht, während draußen schon die nächste Patientin in den Vorraum gerollt wird. Und für die Halsschlag­ader-Patientin geht’s voraussich­tlich, nach einem vorsorglic­hen Tag auf der Intensivst­ation und zwei bis vier Tagen auf der Station, wieder nach Hause.

 ?? FOTO: MR ?? Eine Operation an einer Halsschlag­ader im Knappschaf­tsklinikum Saar in Püttlingen am vorigen Freitag: Die Patientin liegt verborgen unter sterilen Tüchern. Am Operations-Tisch (von links): Dr. Uwe Gabsch, Chefarzt der Gefäßchiru­rgie, seine Ehefrau, die Viszeralch­irurgin Dr. Mariangela Patania, und OP-Schwester Sabine Finkler.
FOTO: MR Eine Operation an einer Halsschlag­ader im Knappschaf­tsklinikum Saar in Püttlingen am vorigen Freitag: Die Patientin liegt verborgen unter sterilen Tüchern. Am Operations-Tisch (von links): Dr. Uwe Gabsch, Chefarzt der Gefäßchiru­rgie, seine Ehefrau, die Viszeralch­irurgin Dr. Mariangela Patania, und OP-Schwester Sabine Finkler.
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FOTO: MR Gehört zum „Nachbereit­en“einer OP: Im Spülraum werden in großen Spezialspü­lmaschinen die benutzten OP-Bestecke gereinigt.

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