Politische Fabel als Krimi-Kammerspiel
Im Stück „Travis Pine“wird eigentlich mit George W. Bush abgerechnet. Was im Theater im Viertel zu sehen ist, wirkt aber unverhofft prophetisch.
Mag man’s überhaupt noch hören? Was man wegen Corona gerade darf, was geht und was nicht? Das Theater im Viertel (TiV) hat die Sommerpause jedenfalls klug genutzt und ist auf Eventualitäten vorbereitet. Am Freitag zeigte sich die heimelige Spielstätte am Saarbrücker Landwehrplatz nicht nur frisch gestrichen, sondern auch umgebaut: Die Tribüne ist raus, anderenfalls wäre in dem ohnehin überschaubaren Raum bei geltenden Abstandsregeln kaum noch Publikum unterzubringen – ebenerdig lassen sich die Stühle besser verteilen.
Für den Saisonstart mit der Premiere von „Travis Pine“, die aus organisatorischen Gründen um zwei Wochen verschoben werden musste, hatte sich das TiV sowieso schon ein überzeugendes Hygienekonzept überlegt: Das Stück dauert nur gut eine Stunde; zur Halbzeit gibt’s eine Pause, während derer das Theater quergelüftet wird und das Publikum draußen an der frischen Luft Atem holen kann. Was nun wegen der neuen Hygieneverordnung des Regionalverbands auch dankbar angenommen wurde: Seit Sonntag, 18. Oktober, gilt nämlich bei Veranstaltungen eine generelle Maskenpflicht auch am Sitzplatz. Und weil unter diesen aktuellen Bedingungen
ohnehin kein Ausschank möglich ist, hat das TiV kurzerhand auch seine Theke demontiert – dadurch ist jetzt das Foyer etwas geräumiger.
Dennoch tröpfelte das Publikum. Ob die Leute von den steigenden Infektionszahlen oder der dauerhaften Maskenpflicht während der Vorstellung vergrault wurden? Die Premiere von „Travis Pine – ein Mann des Volkes“ging vor sehr dünner Zuschauerkulisse über die Bühne. Schade, denn was hier in Form eines zynisch zugespitzten Krimi-Kammerspiels verhandelt wird, scheint eine sarkastisch-treffende Analyse des Systems Donald Trump zu sein. Man mag es wirklich kaum glauben, dass diese politische Fabel nicht den amtierenden US-Präsidenten im Visier hat: Tatsächlich zielte der Autor, der amerikanische Journalist und Dramatiker Sam Bobrick (1932 – 2019), mit seiner Farce in zwei Akten damals auf George W. Bush. Sätze wie „Der gehört in eine Gummizelle. Der ist doch nicht normal!“und diverse hier geschilderte Machenschaften spiegeln aber exakt die aktuelle amerikanische Politik – kein Wunder, dass das unverhofft prophetische Stück gerade in zig Theatern auf dem Spielplan steht.
Das TiV zeigt es in einer Eigenproduktion, inszeniert und ausgestattet von Susanne Wieltsch. Quasi in einer dialoglastigen Doppelrolle agiert der (Puppen-)Schauspieler Dietmar Blume, künstlerischer Leiter des TiV: Leibhaftig verkörpert er den halbseidenen FBI-Agenten Tom Walker, der mit der Lässigkeit eines Film-Noir-Detektivs den renitenten Wutbürger Travis Pine zur Räson bringen soll – dieser sitzt, von Blume manipuliert, als fast lebensgroße Handpuppe im Sessel.
Pine ist ein Mann in den Sechzigern
„Der gehört in die Gummizelle. Der ist doch nicht normal!“
und begreift sich als wahrer Patriot. Ein isolierter Rebell, der als Stubenhocker zwischen tapetengroßem US-Sternenbanner und spießiger Stehlampe seinen Präsidenten mit beleidigenden Briefen bombardiert. Bis eines Tages Walker bei ihm auftaucht und ihn bittet, damit aufzuhören, weil die Lektüre das Staatsoberhaupt depressiv mache. Walker versucht, Pine zu kaufen: Nach und nach bietet er ihm verschiedene Ämter an, die Pine jeweils annimmt in der Hoffnung, das politische Ruder zugunsten sozialer Gerechtigkeit und Umweltschutz herum reißen zu können. Doch Pine kann seine Machtbefugnisse nicht nutzen. Im Gegenteil: Er erkennt, dass er als unfreiwilliger Handlanger des präsidialen Intrigantenstadls missbraucht wurde.
Wird es ihm dennoch gelingen, seine eigene Mission von „Make
America great again“durchzuziehen? Mit unterstützenden Video-Projektionen (Niklas Wieltsch) und teils mit Live-Kamera spielt Blume das auf seine ureigene, typische Art, irgendwo zwischen schnoddrig und großspurig, zwischen Trash und Tragödie – als ob er sich nicht recht zwischen der seriösen Attitüde eines Shakespeare-Mimen und der marktschreierischen Larmoyanz eines Schießbudenbesitzers entscheiden könne. Und erneut bleibt der Eindruck, dass die Inszenierung noch zwei Wochen bis zur Bühnenreife hätte brauchen können. Was wiederum viel über die – in diesem Corona-Jahr noch heftig verschärften – prekären Produktionsbedingungen der freien Szene erzählt. Dass das TiV den Spielbetrieb trotz allem wacker aufrecht hält: Allein das verdient eine Tapferkeitsmedaille und Sonderapplaus.