Saarbruecker Zeitung

Politische Fabel als Krimi-Kammerspie­l

Im Stück „Travis Pine“wird eigentlich mit George W. Bush abgerechne­t. Was im Theater im Viertel zu sehen ist, wirkt aber unverhofft prophetisc­h.

- VON KERSTIN KRÄMER

Mag man’s überhaupt noch hören? Was man wegen Corona gerade darf, was geht und was nicht? Das Theater im Viertel (TiV) hat die Sommerpaus­e jedenfalls klug genutzt und ist auf Eventualit­äten vorbereite­t. Am Freitag zeigte sich die heimelige Spielstätt­e am Saarbrücke­r Landwehrpl­atz nicht nur frisch gestrichen, sondern auch umgebaut: Die Tribüne ist raus, anderenfal­ls wäre in dem ohnehin überschaub­aren Raum bei geltenden Abstandsre­geln kaum noch Publikum unterzubri­ngen – ebenerdig lassen sich die Stühle besser verteilen.

Für den Saisonstar­t mit der Premiere von „Travis Pine“, die aus organisato­rischen Gründen um zwei Wochen verschoben werden musste, hatte sich das TiV sowieso schon ein überzeugen­des Hygienekon­zept überlegt: Das Stück dauert nur gut eine Stunde; zur Halbzeit gibt’s eine Pause, während derer das Theater quergelüft­et wird und das Publikum draußen an der frischen Luft Atem holen kann. Was nun wegen der neuen Hygienever­ordnung des Regionalve­rbands auch dankbar angenommen wurde: Seit Sonntag, 18. Oktober, gilt nämlich bei Veranstalt­ungen eine generelle Maskenpfli­cht auch am Sitzplatz. Und weil unter diesen aktuellen Bedingunge­n

ohnehin kein Ausschank möglich ist, hat das TiV kurzerhand auch seine Theke demontiert – dadurch ist jetzt das Foyer etwas geräumiger.

Dennoch tröpfelte das Publikum. Ob die Leute von den steigenden Infektions­zahlen oder der dauerhafte­n Maskenpfli­cht während der Vorstellun­g vergrault wurden? Die Premiere von „Travis Pine – ein Mann des Volkes“ging vor sehr dünner Zuschauerk­ulisse über die Bühne. Schade, denn was hier in Form eines zynisch zugespitzt­en Krimi-Kammerspie­ls verhandelt wird, scheint eine sarkastisc­h-treffende Analyse des Systems Donald Trump zu sein. Man mag es wirklich kaum glauben, dass diese politische Fabel nicht den amtierende­n US-Präsidente­n im Visier hat: Tatsächlic­h zielte der Autor, der amerikanis­che Journalist und Dramatiker Sam Bobrick (1932 – 2019), mit seiner Farce in zwei Akten damals auf George W. Bush. Sätze wie „Der gehört in eine Gummizelle. Der ist doch nicht normal!“und diverse hier geschilder­te Machenscha­ften spiegeln aber exakt die aktuelle amerikanis­che Politik – kein Wunder, dass das unverhofft prophetisc­he Stück gerade in zig Theatern auf dem Spielplan steht.

Das TiV zeigt es in einer Eigenprodu­ktion, inszeniert und ausgestatt­et von Susanne Wieltsch. Quasi in einer dialoglast­igen Doppelroll­e agiert der (Puppen-)Schauspiel­er Dietmar Blume, künstleris­cher Leiter des TiV: Leibhaftig verkörpert er den halbseiden­en FBI-Agenten Tom Walker, der mit der Lässigkeit eines Film-Noir-Detektivs den renitenten Wutbürger Travis Pine zur Räson bringen soll – dieser sitzt, von Blume manipulier­t, als fast lebensgroß­e Handpuppe im Sessel.

Pine ist ein Mann in den Sechzigern

„Der gehört in die Gummizelle. Der ist doch nicht normal!“

und begreift sich als wahrer Patriot. Ein isolierter Rebell, der als Stubenhock­er zwischen tapetengro­ßem US-Sternenban­ner und spießiger Stehlampe seinen Präsidente­n mit beleidigen­den Briefen bombardier­t. Bis eines Tages Walker bei ihm auftaucht und ihn bittet, damit aufzuhören, weil die Lektüre das Staatsober­haupt depressiv mache. Walker versucht, Pine zu kaufen: Nach und nach bietet er ihm verschiede­ne Ämter an, die Pine jeweils annimmt in der Hoffnung, das politische Ruder zugunsten sozialer Gerechtigk­eit und Umweltschu­tz herum reißen zu können. Doch Pine kann seine Machtbefug­nisse nicht nutzen. Im Gegenteil: Er erkennt, dass er als unfreiwill­iger Handlanger des präsidiale­n Intrigante­nstadls missbrauch­t wurde.

Wird es ihm dennoch gelingen, seine eigene Mission von „Make

America great again“durchzuzie­hen? Mit unterstütz­enden Video-Projektion­en (Niklas Wieltsch) und teils mit Live-Kamera spielt Blume das auf seine ureigene, typische Art, irgendwo zwischen schnoddrig und großspurig, zwischen Trash und Tragödie – als ob er sich nicht recht zwischen der seriösen Attitüde eines Shakespear­e-Mimen und der marktschre­ierischen Larmoyanz eines Schießbude­nbesitzers entscheide­n könne. Und erneut bleibt der Eindruck, dass die Inszenieru­ng noch zwei Wochen bis zur Bühnenreif­e hätte brauchen können. Was wiederum viel über die – in diesem Corona-Jahr noch heftig verschärft­en – prekären Produktion­sbedingung­en der freien Szene erzählt. Dass das TiV den Spielbetri­eb trotz allem wacker aufrecht hält: Allein das verdient eine Tapferkeit­smedaille und Sonderappl­aus.

 ?? FOTO: KERSTIN KRÄMER ?? FBI-Agent Tom Walker alias Dietmar Blume (rechts) muss Travis Pine ins Gewissen reden: Der Wutbürger, der sich als wahrer Patriot sieht, verzweifel­t an Politik, Korruption und einem unfähigen Präsidente­n, dem er bitterböse Briefe schreibt.
FOTO: KERSTIN KRÄMER FBI-Agent Tom Walker alias Dietmar Blume (rechts) muss Travis Pine ins Gewissen reden: Der Wutbürger, der sich als wahrer Patriot sieht, verzweifel­t an Politik, Korruption und einem unfähigen Präsidente­n, dem er bitterböse Briefe schreibt.

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