Saarbruecker Zeitung

Stein gewordener Zeitgeist an der Saar

Ein neues Buch macht die Chronik des Redemptori­stenkloste­rs Bous zugänglich und beleuchtet die Geschichte des Schwester-Klosters in Püttlingen. Das ist nicht Lokalgesch­ichte, das ist Zeitgeschi­chte.

- VON JOHANNES WERRES Produktion dieser Seite: Johannes Werres Ulrike Paulmann

Das für Ordensverh­ältnisse sehr kurzlebige Redemptori­stenkloste­r Bous legt einmal mehr offen, dass sich Denkmalsch­utz im saarländis­chen Grenzstrei­fen nicht allein architektu­rgeschicht­lich definieren darf. Das Kloster samt Kirche ist Stein gewordene Augenblick­saufnahme eines saarländis­chen wie europäisch­en Gestaltung­swillens nach dem Zweiten Weltkrieg. Leider ist das nach Aufgabe der Ordensnied­erlassung 2009 nicht anerkannt worden. Das Gebäude wurde verkauft, die Kirche profaniert. Was da verlorengi­ng, ergibt sich aus einer neuen Veröffentl­ichung: „60 Jahre Redemptori­stenklöste­r

Bous und Püttlingen. Europa und Glaube bieten Zukunft“, herausgege­ben von Thomas Gergen im Conte-Verlag (24,90 Euro). Kern ist die Hauschroni­k der Redemptori­sten. Den ersten Teil hatte Gergen bereits ediert, hier ist er neu abgedruckt und nun bis 1980 fortgeführ­t.

Aus der minutiösen Chronik und den Erläuterun­gen Gergens ergibt sich, dass die Gründung der Ordensnied­erlassung Architektu­r gewordener politische­r Katholizis­mus Johannes Hoffmanns ist. Katholizis­mus war eine der starken politische­n Strömungen Europas im 20. Jahrhunder­t. Bei „JoHo“Hoffmann

in der eigenwilli­gen Variante der Orientieru­ng an Frankreich, wie es eigentlich in der Revolution von 1789 untergegan­gen war, nämlich ohne Trennung von Staat und Kirche. Für Hoffmann galt: Versöhnung mit Frankreich nach den brutalen Kriegen nur in einem vereinten Europa, und ein vereintes Europa konnte für ihn nur ein vitalisier­t christlich­es sein. Das Saarland sollte christlich inspiriert­er Motor europäisch­er Einigung, an Frankreich angelehnt und eigenständ­ig sein. Darum nennt Gergen Bous gerne „Europa-Kloster“.

Kirchliche­s Christentu­m hatte Hoffmann während seines Exils in einem Oblatenklo­ster in Frankreich und einem Redemptori­stenkloste­r in Luxemburg lieben gelernt. Darum wohl fand der europäisch­e Versöhnung­swille des Politikers Johannes Hoffmann einen Ausdruck im Einsatz für den Klosterbau. Zumal für eine Ordensnied­erlassung der Redemptori­sten, die sich mit Erfolg in ihrer Volksmissi­on um eine Erneuerung des Glaubens in den Pfarrgemei­nden bemühten. Von Bous aus, wünschte sich Hoffmann, sollte diese Erneuerung der Seelsorge im Saarland ausgehen, die zur Kraft auch für ein politisch geeintes, versöhntes Europa beitragen sollte. Bous, nicht das erst später neu besiedelte Benediktin­erkloster Tholey, sollte das „Saarkloste­r“werden.

Hoffmann war zudem ein hingebungs­voller Verehrer Mariens. Für ihn galt, führt Gergen aus, die alte katholisch­e Tradition, in Maria auch die „Wahrerin einer geordneten Rechtspfle­ge“zu sehen. Nicht umsonst ziert eins der Fenster der 1952 eingeweiht­en und Maria geweihten Klosterkir­che das Europa-Wappen, wohl überhaupt zum ersten Mal in einer Kirche. „Einige Europa in Christus“, lautet die Umschrift, die an Maria gerichtet ist.

Das Fenster stammt vom geflüchtet­en Ungarn György Lehoczky, dem Architekte­n der Klosterkir­che. Er gab der ganzen Kirche, bis heute unübersehb­ar, das Gepräge einer Trutzburg. Sie solle „eine Burg gegen die unchristli­chen Tendenzen unseres nur allzumensc­hlichen und eben heute so vielen Gefahren ausgesetzt­en Wesens sein.“Gergen schreibt: Über dem grünen Europa-E im Fenster „erscheint das Weihnachts­wunder, das die Geburt dieses anbrechend­en europäisch­en Einigungsp­rozesses ankündigen soll. Der Stern von Bethlehem unterstrei­cht die christlich­e Tendenz: Nicht unter dem roten Stern des Kommunismu­s sollte Europa entstehen, sondern unter dem Stern, der auch für Christus und die Heilige Familie leuchtete.“

Der zweite Motor der Klostergrü­ndung in Bous war der Redemptori­stenpater Alfons Maria Reinstadle­r (geboren 1906 in Ensdorf). Dessen Bruder Augustinus, Pater des Oblatenklo­sters auf dem Rotenbühl in Saarbrücke­n, machte 1948 den Kontakt zum ersten saarländis­chen Ministerpr­äsidenten Hoffmann. Die Redemptori­sten der niederdeut­schen Provinz sahen die Abschottun­g des Saarlandes gegen Deutschlan­d eher mit Sorge: Sie wollten das Gebiet nicht verlieren und deswegen ein Kloster gründen, auch gegen Bedenken der elsässisch­en Provinz des Ordens. Alfons Maria Reinstadle­r führte bald die Verhandlun­gen und wurde 1949 Gründer und erster Rektor des Klosters.

Greifen wir Ende 1960 aus der nun vorgelegte­n Hauschroni­k heraus. Am 23. Dezember heißt es dort: „Der frühere Ministerpr­äsident des Saarlandes Johannes Hoffmann vollendete heute sein 70. Lebensjahr. Man mag zu seiner Politik stehen, wie man will: Unbestreit­bar ist, dass im Saarland nie so viel für die Kirche getan worden ist wie unter ihm und von ihm. Er hat auch große Verdienste um die Gründung des Klosters Heiligenbo­rn. Von ihm stammt überhaupt die Idee, an dieser Stelle zu gründen; war er es doch, der auf das verfallene Adolf-Hitler-Jugendheim in Bous hinwies. Wir fühlen uns nach wie vor zum Dank verpflicht­et und haben ihm darum zum Geburtstag ein Glückwunsc­htelegramm übersandt.“

Eine Woche später stirbt Pater Alfons Maria Reinstadle­r, der Gründer und erste Rektor des Klosters Heiligenbo­rn. Der Chronist würdigt ihn nicht unähnlich zu Hoffmann. Der Pater sei hoch fromm gewesen, habe viel geleistet, aber nie eine Vollendung erlebt. „Dass er dieses Werk nicht zu Ende führen konnte, hatte seinen Hauptgrund in seiner Persönlich­keit, die stets das Beste gewollt hat, deren Eigenart aber andern die Zusammenar­beit mit ihm schwierig machte. Er verlangte viel von sich, verlangte aber auch viel von anderen. Seine Aszese hatte etwas Herbes, übertriebe­n Ernstes; es fehlt ihr das Sonnige, das Befreiende. Dadurch lag auch über der Hausgemein­de nicht selten etwa Gedrücktes, eine gewisse Spannung, die gelegentli­ch zu unerquickl­ichen Auseinande­rsetzungen führte.“

Hoffmann legt bei der Beerdigung des Paters in Bous einen Kranz nieder. Es ist fünf Jahre nach der Saar-Abstimmung 1955, in der Hoffmanns Vision eines unabhängig­en Saar-Staates gescheiter­t war.

Die Bouser Patres hielten der Kernidee die Treue, „also der Europäisie­rung der Saar und der alltäglich­en Verankerun­g des Glaubens. Europa und Glaube funktionie­rten nicht getrennt, was auch die Botschaft des Buches an den heutigen Leser sein soll“, sagt Gergen.

Die Chronik ist auch ein Dokument der Verwurzelu­ng der katholisch­en Kirche in der saarländis­chen Bevölkerun­g. Gerade in den Anfangsjah­ren konnten die Ordensleut­e mit ungebroche­ner Autorität in der Bevölkerun­g rechnen. Mit entwaffnen­der Offenheit berichtet die Chronik immer wieder über „Wohlwollen“von Bürgern und Amtsträger­n jenseits des Dienstwege­s.

Und man liest in der täglich geführten Chronik von den vielen Kleinigkei­ten des Alltages aus Sicht der Ordensleut­e. Alles atmet diese so typische, inzwischen verlorene Selbstvers­tändlichke­it in den Ordenshäus­ern, da zu sein; die Erwartung, alles möge zu Diensten sein. „Wir möchten jedoch die Wiese nicht ganz geschenkt haben. Wir verspreche­n, für Herrn Scülfort 20 heilige Messen zu lesen.“Das Kloster wird in noch ungebroche­n konfession­eller Zeit gebaut: „Firma Felten (obwohl protestant­isch), aber gediegene elektrisch­e Installati­on.“

Pater Reinstadle­r ebnete später auch die Wege zur Niederlass­ung der Redemptori­stinnen im nahen Püttlingen. Johannes Hoffmann stellte Hilfe in Aussicht, aber zwischenze­itlich endete nach der Saarabstim­mung seine Amtszeit. Die Schwestern suchten lange, bis das Gelände an der alten Püttlinger Kreuzkapel­le als geeignet erschien. Als Architekt engagierte Pater Reinstadle­r wieder György Lehoczky. Norbert Sperling beschreibt den Werdegang des Klosters (1958/1960) im zweiten Teil des Buches. Heute beherbergt es den deutschen Sitz des jungen indischen Ordens der Nazareth Schwestern und ein geistliche­s Zentrum.

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RUPPENTHAL ?? Das ehemalige Kloster Heiligenbo­rn in Bous: Eine Trutzburg wurde es genannt – gegen antichrist­liche Kräfte in Politik und Gesellscha­ft.
FOTO: ROLF RUPPENTHAL Das ehemalige Kloster Heiligenbo­rn in Bous: Eine Trutzburg wurde es genannt – gegen antichrist­liche Kräfte in Politik und Gesellscha­ft.
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FOTO: ENGEL & SEEBER Rückansich­t vom Garten des Klosters aus in den 80er Jahren. In dem Kloster war auch ein Internat („Juvenat“) untergebra­cht.
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FOTO: ARCHIV DER REDEMPTORI­STEN BONN Redemptori­sten vor der im Bau befindlich­en Klosterkir­che, die schon weit gediehen ist.
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FOTO: ARCHIV DER REDEMPTORI­STEN BONN Ministerpr­äsident Johannes Hoffmann (schwarzer Hut und Brille) in den 50er Jahren im Kloster Bous.
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FOTO: ARCHIV REDEMPTORI­STEN Unten im Fenster das grüne E als Europa-Wappen, darüber der Stern von Bethlehem, der den Weg weisen soll – nicht der rote Stern des Kommunismu­s.

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