Stein gewordener Zeitgeist an der Saar
Ein neues Buch macht die Chronik des Redemptoristenklosters Bous zugänglich und beleuchtet die Geschichte des Schwester-Klosters in Püttlingen. Das ist nicht Lokalgeschichte, das ist Zeitgeschichte.
Das für Ordensverhältnisse sehr kurzlebige Redemptoristenkloster Bous legt einmal mehr offen, dass sich Denkmalschutz im saarländischen Grenzstreifen nicht allein architekturgeschichtlich definieren darf. Das Kloster samt Kirche ist Stein gewordene Augenblicksaufnahme eines saarländischen wie europäischen Gestaltungswillens nach dem Zweiten Weltkrieg. Leider ist das nach Aufgabe der Ordensniederlassung 2009 nicht anerkannt worden. Das Gebäude wurde verkauft, die Kirche profaniert. Was da verlorenging, ergibt sich aus einer neuen Veröffentlichung: „60 Jahre Redemptoristenklöster
Bous und Püttlingen. Europa und Glaube bieten Zukunft“, herausgegeben von Thomas Gergen im Conte-Verlag (24,90 Euro). Kern ist die Hauschronik der Redemptoristen. Den ersten Teil hatte Gergen bereits ediert, hier ist er neu abgedruckt und nun bis 1980 fortgeführt.
Aus der minutiösen Chronik und den Erläuterungen Gergens ergibt sich, dass die Gründung der Ordensniederlassung Architektur gewordener politischer Katholizismus Johannes Hoffmanns ist. Katholizismus war eine der starken politischen Strömungen Europas im 20. Jahrhundert. Bei „JoHo“Hoffmann
in der eigenwilligen Variante der Orientierung an Frankreich, wie es eigentlich in der Revolution von 1789 untergegangen war, nämlich ohne Trennung von Staat und Kirche. Für Hoffmann galt: Versöhnung mit Frankreich nach den brutalen Kriegen nur in einem vereinten Europa, und ein vereintes Europa konnte für ihn nur ein vitalisiert christliches sein. Das Saarland sollte christlich inspirierter Motor europäischer Einigung, an Frankreich angelehnt und eigenständig sein. Darum nennt Gergen Bous gerne „Europa-Kloster“.
Kirchliches Christentum hatte Hoffmann während seines Exils in einem Oblatenkloster in Frankreich und einem Redemptoristenkloster in Luxemburg lieben gelernt. Darum wohl fand der europäische Versöhnungswille des Politikers Johannes Hoffmann einen Ausdruck im Einsatz für den Klosterbau. Zumal für eine Ordensniederlassung der Redemptoristen, die sich mit Erfolg in ihrer Volksmission um eine Erneuerung des Glaubens in den Pfarrgemeinden bemühten. Von Bous aus, wünschte sich Hoffmann, sollte diese Erneuerung der Seelsorge im Saarland ausgehen, die zur Kraft auch für ein politisch geeintes, versöhntes Europa beitragen sollte. Bous, nicht das erst später neu besiedelte Benediktinerkloster Tholey, sollte das „Saarkloster“werden.
Hoffmann war zudem ein hingebungsvoller Verehrer Mariens. Für ihn galt, führt Gergen aus, die alte katholische Tradition, in Maria auch die „Wahrerin einer geordneten Rechtspflege“zu sehen. Nicht umsonst ziert eins der Fenster der 1952 eingeweihten und Maria geweihten Klosterkirche das Europa-Wappen, wohl überhaupt zum ersten Mal in einer Kirche. „Einige Europa in Christus“, lautet die Umschrift, die an Maria gerichtet ist.
Das Fenster stammt vom geflüchteten Ungarn György Lehoczky, dem Architekten der Klosterkirche. Er gab der ganzen Kirche, bis heute unübersehbar, das Gepräge einer Trutzburg. Sie solle „eine Burg gegen die unchristlichen Tendenzen unseres nur allzumenschlichen und eben heute so vielen Gefahren ausgesetzten Wesens sein.“Gergen schreibt: Über dem grünen Europa-E im Fenster „erscheint das Weihnachtswunder, das die Geburt dieses anbrechenden europäischen Einigungsprozesses ankündigen soll. Der Stern von Bethlehem unterstreicht die christliche Tendenz: Nicht unter dem roten Stern des Kommunismus sollte Europa entstehen, sondern unter dem Stern, der auch für Christus und die Heilige Familie leuchtete.“
Der zweite Motor der Klostergründung in Bous war der Redemptoristenpater Alfons Maria Reinstadler (geboren 1906 in Ensdorf). Dessen Bruder Augustinus, Pater des Oblatenklosters auf dem Rotenbühl in Saarbrücken, machte 1948 den Kontakt zum ersten saarländischen Ministerpräsidenten Hoffmann. Die Redemptoristen der niederdeutschen Provinz sahen die Abschottung des Saarlandes gegen Deutschland eher mit Sorge: Sie wollten das Gebiet nicht verlieren und deswegen ein Kloster gründen, auch gegen Bedenken der elsässischen Provinz des Ordens. Alfons Maria Reinstadler führte bald die Verhandlungen und wurde 1949 Gründer und erster Rektor des Klosters.
Greifen wir Ende 1960 aus der nun vorgelegten Hauschronik heraus. Am 23. Dezember heißt es dort: „Der frühere Ministerpräsident des Saarlandes Johannes Hoffmann vollendete heute sein 70. Lebensjahr. Man mag zu seiner Politik stehen, wie man will: Unbestreitbar ist, dass im Saarland nie so viel für die Kirche getan worden ist wie unter ihm und von ihm. Er hat auch große Verdienste um die Gründung des Klosters Heiligenborn. Von ihm stammt überhaupt die Idee, an dieser Stelle zu gründen; war er es doch, der auf das verfallene Adolf-Hitler-Jugendheim in Bous hinwies. Wir fühlen uns nach wie vor zum Dank verpflichtet und haben ihm darum zum Geburtstag ein Glückwunschtelegramm übersandt.“
Eine Woche später stirbt Pater Alfons Maria Reinstadler, der Gründer und erste Rektor des Klosters Heiligenborn. Der Chronist würdigt ihn nicht unähnlich zu Hoffmann. Der Pater sei hoch fromm gewesen, habe viel geleistet, aber nie eine Vollendung erlebt. „Dass er dieses Werk nicht zu Ende führen konnte, hatte seinen Hauptgrund in seiner Persönlichkeit, die stets das Beste gewollt hat, deren Eigenart aber andern die Zusammenarbeit mit ihm schwierig machte. Er verlangte viel von sich, verlangte aber auch viel von anderen. Seine Aszese hatte etwas Herbes, übertrieben Ernstes; es fehlt ihr das Sonnige, das Befreiende. Dadurch lag auch über der Hausgemeinde nicht selten etwa Gedrücktes, eine gewisse Spannung, die gelegentlich zu unerquicklichen Auseinandersetzungen führte.“
Hoffmann legt bei der Beerdigung des Paters in Bous einen Kranz nieder. Es ist fünf Jahre nach der Saar-Abstimmung 1955, in der Hoffmanns Vision eines unabhängigen Saar-Staates gescheitert war.
Die Bouser Patres hielten der Kernidee die Treue, „also der Europäisierung der Saar und der alltäglichen Verankerung des Glaubens. Europa und Glaube funktionierten nicht getrennt, was auch die Botschaft des Buches an den heutigen Leser sein soll“, sagt Gergen.
Die Chronik ist auch ein Dokument der Verwurzelung der katholischen Kirche in der saarländischen Bevölkerung. Gerade in den Anfangsjahren konnten die Ordensleute mit ungebrochener Autorität in der Bevölkerung rechnen. Mit entwaffnender Offenheit berichtet die Chronik immer wieder über „Wohlwollen“von Bürgern und Amtsträgern jenseits des Dienstweges.
Und man liest in der täglich geführten Chronik von den vielen Kleinigkeiten des Alltages aus Sicht der Ordensleute. Alles atmet diese so typische, inzwischen verlorene Selbstverständlichkeit in den Ordenshäusern, da zu sein; die Erwartung, alles möge zu Diensten sein. „Wir möchten jedoch die Wiese nicht ganz geschenkt haben. Wir versprechen, für Herrn Scülfort 20 heilige Messen zu lesen.“Das Kloster wird in noch ungebrochen konfessioneller Zeit gebaut: „Firma Felten (obwohl protestantisch), aber gediegene elektrische Installation.“
Pater Reinstadler ebnete später auch die Wege zur Niederlassung der Redemptoristinnen im nahen Püttlingen. Johannes Hoffmann stellte Hilfe in Aussicht, aber zwischenzeitlich endete nach der Saarabstimmung seine Amtszeit. Die Schwestern suchten lange, bis das Gelände an der alten Püttlinger Kreuzkapelle als geeignet erschien. Als Architekt engagierte Pater Reinstadler wieder György Lehoczky. Norbert Sperling beschreibt den Werdegang des Klosters (1958/1960) im zweiten Teil des Buches. Heute beherbergt es den deutschen Sitz des jungen indischen Ordens der Nazareth Schwestern und ein geistliches Zentrum.