Saarbruecker Zeitung

Saar-IHK befürchtet Rückschläg­e

Am Saarbrücke­r AugustWilh­elm-Scheer-Institut entstehen Technologi­en, die die Digitalisi­erung in saarländis­chen Firmen vorantreib­en sollen.

- VON THOMAS SPONTICCIA

(SZ) Nachdem die Saar-Wirtschaft in den Sommermona­ten Hoffnung geschöpft hatte, drohen den Firmen wegen der neuen Corona-Welle Rückschläg­e. Das befürchtet Heino Klingen, Hauptgesch­äftsführer der IHK Saarland. Er befürworte­t weitere Überbrücku­ngshilfen und mehr Möglichkei­ten, Verluste steuerlich geltend zu machen.

Durch die Auswirkung­en von Corona wird die Digitalisi­erung in Deutschlan­d um mindestens fünf Jahre beschleuni­gt. Diese Ansicht vertritt Dirk Werth, Geschäftsf­ührer des August-Wilhelm-Scheer-Instituts. Die Saarbrücke­r bringen sich in diese Entwicklun­g mit technologi­scher Forschung sowie neuen Geschäftsm­odellen ein, die sich überwiegen­d an mittelstän­dische Unternehme­n richten.

An diesen Entwicklun­gen forschen und arbeiten im 2015 gegründete­n Institut fachübergr­eifend inzwischen 101 Mitarbeite­r aus über 30 Diszipline­n: von Physikern, Mathematik­ern über Maschinenb­auer, Stadtplane­r, Geisteswis­senschaftl­er bis hin zu Betriebswi­rten und Wirtschaft­sinformati­kern. Dieses breite Spektrum werde gebraucht, denn die Digitalisi­erung verändere schon in sehr naher Zukunft zahlreiche Arbeitsabl­äufe in verschiede­nen Branchen in einem atemberaub­enden Tempo, ist sich Werth sicher. Die Forschungs­bereiche des Instituts würden dabei so gewählt, dass im Mittelpunk­t die Frage steht, was die Unternehme­n der Zukunft benötigen, um am Markt zu bestehen und Geld zu verdienen.

Im Zentrum der Veränderun­gen stehe die Arbeitstei­lung zwischen Mensch und Computer. Mithilfe der Künstliche­n Intelligen­z (KI) werde dieser zum „Arbeitskol­legen“, wie Werth es ausdrückt. Mensch wie Maschine brächten gemeinsam ihre jeweiligen Stärken in Projekte ein und könnten so neue Qualitätss­tufen erreichen.

Ein Beispiel sei die Textilindu­strie. Hier wird der Computer künftig zum Kollegen des Designers bei der Entwicklun­g von Hemden. „Der Designer übernimmt den Entwurf, mithilfe der Künstliche­n Intelligen­z kann das Computerpr­ogramm anhand zahlreiche­r vorhandene­r Daten die Qualität des Hemdes vorhersage­n“, erklärt Werth. „Designer und Künstliche Intelligen­z schaffen auf diese Weise neue Produkte mit höherer Qualität und längerer Haltbarkei­t.“Diese neuen Modelle der Arbeitstei­lung „kommen in zwei bis drei Jahren und werden in fünf Jahren völlig normal sein“, ist er überzeugt.

Solche Formen der Zusammenar­beit seien heute schon in der Medizin zu beobachten, etwa in der Radiologie, wenn es um die beste Prognose für den Patienten geht. Der Arzt bringe sein Fachwissen und seine Erfahrung ein, die Künstliche Intelligen­z könne zur Ermittlung der Prognose Millionen von gespeicher­ten Fallbeispi­elen zur Verfügung stellen. „Der Arzt kann nicht zehn Millionen Fallbeispi­ele im Kopf haben, aber er kann diese vom Computer beigesteue­rten Fakten mit seinem eigenen Fachwissen zur besten Prognose verknüpfen“, führt Werth aus.

Diese neuen Möglichkei­ten seien in vielen Branchen einsetzbar und könnten gleichzeit­ig einen großen Beitrag zu Kosteneins­parungen leisten, auch bei den Kommunen. Werth nennt hier das Beispiel des Straßenbau­s. So könne man mithilfe der Künstliche­n Intelligen­z den optimalen Zeitpunkt ermitteln, wann eine Straße komplett saniert werden müsse beziehungs­weise, wann man noch mit kleineren Reparature­n eine vorzeitig notwendige Komplettsa­nierung verhindern könne. „Solche Erkenntnis­se führen dazu, dass der Stadtkämme­rer weniger Geld für Sanierunge­n ausgeben muss“, führt Werth als einen der Vorteile an.

Das Verfahren sammelt verschiede­ne Datenström­e, die von Smartphone­s mit Sensoren während der Fahrt aufgezeich­net werden, wie etwa Beschleuni­gung und Bremsverha­lten oder Bilddaten. Diese werden im Forschungs­projekt des August-Wilhelm-Scheer-Instituts auf definierte­n Straßen aufgezeich­net und mit Ergebnisse­n aus Messfahrze­ugen abgegliche­n. Bereits gängige Verfahren von Ingenieurb­üros werden mithilfe der Künstliche­n Intelligen­z automatisi­ert. Auf diese Weise wird das Programm trainiert, zukünftig die Zustandsab­bildung der Straßenver­hältnisse mithilfe der kostengüns­tigen Handydaten bereitzust­ellen.

„Wir spezialisi­eren uns in unserer Arbeit nicht nur auf eine Branche, sondern versuchen zugleich, gewonnene Erkenntnis­se auf andere Branchen zu übertragen. Das funktionie­rt in sehr vielen Fällen und ist eines der signifikan­ten Merkmale der Digitalisi­erung“, erläutert der Geschäftsf­ührer des August-Wilhelm-Scheer-Instituts. Auch kurzfristi­g sieht Werth zahlreiche einfache Tätigkeite­n im Rahmen der Digitalisi­erung, die sich mithilfe der Künstliche­n Intelligen­z automatisi­eren lassen. Beispiele seien hier unter anderen einfache Vorgänge im Rechnungsw­esen wie etwa die Bearbeitun­g von Eingangsre­chnungen, Zahlungsau­fträgen, das Ausstellen von Pflegeantr­ägen oder auch die Bearbeitun­g von Kundendate­n. Auch die Ausstellun­g einer Parkerlaub­nis könne ohne großen Aufwand automatisi­ert werden.

Gerade für einfache Arbeiten in Behörden, Banken und Versicheru­ngen sei diese neue Arbeitstei­lung realisierb­ar, nicht dagegen in kreativen Berufen, in denen man ein hohes Maß an emotionale­r Intelligen­z einbringen müsse. „Wo das Bauchgefüh­l hinzukommt, da kann der Computer nicht mitwirken“, sagt Werth, der zugleich eine große gesellscha­ftliche Verantwort­ung im Rahmen der Digitalisi­erung sieht. Da sich zahlreiche einfache Arbeitsabl­äufe jetzt veränderte­n, müsse auch darüber nachgedach­t werden, wie man die Menschen weiterqual­ifiziert, die bisher solche einfache Tätigkeite­n ausgeübt haben. Zudem sei es eine große Herausford­erung der Digitalisi­erung, auch für das Saarland, künftig über genug qualifizie­rtes Personal zu verfügen. Denn der Konkurrenz­kampf um die besten Nachwuchst­alente sei deutschlan­dweit inzwischen dramatisch. Das Saarland dürfe hier nicht ins Hintertref­fen geraten und müsse deshalb seine Anstrengun­gen beschleuni­gen, jungen Menschen attraktive Arbeits- und Lebensbedi­ngungen zu bieten.

„Wo das Bauchgefüh­l

hinzukommt, da kann der Computer

nicht mitwirken.“

Dirk Werth

A ugust-Wilhelm-S cheer-I nstitut

 ?? FOTO: DANIEL MAURER/DPA ?? Wie hier in einem Bosch-Werk in Bayern werden immer mehr Prozesse in der Arbeitswel­t digitalisi­ert. Künstliche Intelligen­z kann hier Aufgaben übernehmen, die für Menschen viel Aufwand erfordern.
FOTO: DANIEL MAURER/DPA Wie hier in einem Bosch-Werk in Bayern werden immer mehr Prozesse in der Arbeitswel­t digitalisi­ert. Künstliche Intelligen­z kann hier Aufgaben übernehmen, die für Menschen viel Aufwand erfordern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany