Saar-IHK befürchtet Rückschläge
Am Saarbrücker AugustWilhelm-Scheer-Institut entstehen Technologien, die die Digitalisierung in saarländischen Firmen vorantreiben sollen.
(SZ) Nachdem die Saar-Wirtschaft in den Sommermonaten Hoffnung geschöpft hatte, drohen den Firmen wegen der neuen Corona-Welle Rückschläge. Das befürchtet Heino Klingen, Hauptgeschäftsführer der IHK Saarland. Er befürwortet weitere Überbrückungshilfen und mehr Möglichkeiten, Verluste steuerlich geltend zu machen.
Durch die Auswirkungen von Corona wird die Digitalisierung in Deutschland um mindestens fünf Jahre beschleunigt. Diese Ansicht vertritt Dirk Werth, Geschäftsführer des August-Wilhelm-Scheer-Instituts. Die Saarbrücker bringen sich in diese Entwicklung mit technologischer Forschung sowie neuen Geschäftsmodellen ein, die sich überwiegend an mittelständische Unternehmen richten.
An diesen Entwicklungen forschen und arbeiten im 2015 gegründeten Institut fachübergreifend inzwischen 101 Mitarbeiter aus über 30 Disziplinen: von Physikern, Mathematikern über Maschinenbauer, Stadtplaner, Geisteswissenschaftler bis hin zu Betriebswirten und Wirtschaftsinformatikern. Dieses breite Spektrum werde gebraucht, denn die Digitalisierung verändere schon in sehr naher Zukunft zahlreiche Arbeitsabläufe in verschiedenen Branchen in einem atemberaubenden Tempo, ist sich Werth sicher. Die Forschungsbereiche des Instituts würden dabei so gewählt, dass im Mittelpunkt die Frage steht, was die Unternehmen der Zukunft benötigen, um am Markt zu bestehen und Geld zu verdienen.
Im Zentrum der Veränderungen stehe die Arbeitsteilung zwischen Mensch und Computer. Mithilfe der Künstlichen Intelligenz (KI) werde dieser zum „Arbeitskollegen“, wie Werth es ausdrückt. Mensch wie Maschine brächten gemeinsam ihre jeweiligen Stärken in Projekte ein und könnten so neue Qualitätsstufen erreichen.
Ein Beispiel sei die Textilindustrie. Hier wird der Computer künftig zum Kollegen des Designers bei der Entwicklung von Hemden. „Der Designer übernimmt den Entwurf, mithilfe der Künstlichen Intelligenz kann das Computerprogramm anhand zahlreicher vorhandener Daten die Qualität des Hemdes vorhersagen“, erklärt Werth. „Designer und Künstliche Intelligenz schaffen auf diese Weise neue Produkte mit höherer Qualität und längerer Haltbarkeit.“Diese neuen Modelle der Arbeitsteilung „kommen in zwei bis drei Jahren und werden in fünf Jahren völlig normal sein“, ist er überzeugt.
Solche Formen der Zusammenarbeit seien heute schon in der Medizin zu beobachten, etwa in der Radiologie, wenn es um die beste Prognose für den Patienten geht. Der Arzt bringe sein Fachwissen und seine Erfahrung ein, die Künstliche Intelligenz könne zur Ermittlung der Prognose Millionen von gespeicherten Fallbeispielen zur Verfügung stellen. „Der Arzt kann nicht zehn Millionen Fallbeispiele im Kopf haben, aber er kann diese vom Computer beigesteuerten Fakten mit seinem eigenen Fachwissen zur besten Prognose verknüpfen“, führt Werth aus.
Diese neuen Möglichkeiten seien in vielen Branchen einsetzbar und könnten gleichzeitig einen großen Beitrag zu Kosteneinsparungen leisten, auch bei den Kommunen. Werth nennt hier das Beispiel des Straßenbaus. So könne man mithilfe der Künstlichen Intelligenz den optimalen Zeitpunkt ermitteln, wann eine Straße komplett saniert werden müsse beziehungsweise, wann man noch mit kleineren Reparaturen eine vorzeitig notwendige Komplettsanierung verhindern könne. „Solche Erkenntnisse führen dazu, dass der Stadtkämmerer weniger Geld für Sanierungen ausgeben muss“, führt Werth als einen der Vorteile an.
Das Verfahren sammelt verschiedene Datenströme, die von Smartphones mit Sensoren während der Fahrt aufgezeichnet werden, wie etwa Beschleunigung und Bremsverhalten oder Bilddaten. Diese werden im Forschungsprojekt des August-Wilhelm-Scheer-Instituts auf definierten Straßen aufgezeichnet und mit Ergebnissen aus Messfahrzeugen abgeglichen. Bereits gängige Verfahren von Ingenieurbüros werden mithilfe der Künstlichen Intelligenz automatisiert. Auf diese Weise wird das Programm trainiert, zukünftig die Zustandsabbildung der Straßenverhältnisse mithilfe der kostengünstigen Handydaten bereitzustellen.
„Wir spezialisieren uns in unserer Arbeit nicht nur auf eine Branche, sondern versuchen zugleich, gewonnene Erkenntnisse auf andere Branchen zu übertragen. Das funktioniert in sehr vielen Fällen und ist eines der signifikanten Merkmale der Digitalisierung“, erläutert der Geschäftsführer des August-Wilhelm-Scheer-Instituts. Auch kurzfristig sieht Werth zahlreiche einfache Tätigkeiten im Rahmen der Digitalisierung, die sich mithilfe der Künstlichen Intelligenz automatisieren lassen. Beispiele seien hier unter anderen einfache Vorgänge im Rechnungswesen wie etwa die Bearbeitung von Eingangsrechnungen, Zahlungsaufträgen, das Ausstellen von Pflegeanträgen oder auch die Bearbeitung von Kundendaten. Auch die Ausstellung einer Parkerlaubnis könne ohne großen Aufwand automatisiert werden.
Gerade für einfache Arbeiten in Behörden, Banken und Versicherungen sei diese neue Arbeitsteilung realisierbar, nicht dagegen in kreativen Berufen, in denen man ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz einbringen müsse. „Wo das Bauchgefühl hinzukommt, da kann der Computer nicht mitwirken“, sagt Werth, der zugleich eine große gesellschaftliche Verantwortung im Rahmen der Digitalisierung sieht. Da sich zahlreiche einfache Arbeitsabläufe jetzt veränderten, müsse auch darüber nachgedacht werden, wie man die Menschen weiterqualifiziert, die bisher solche einfache Tätigkeiten ausgeübt haben. Zudem sei es eine große Herausforderung der Digitalisierung, auch für das Saarland, künftig über genug qualifiziertes Personal zu verfügen. Denn der Konkurrenzkampf um die besten Nachwuchstalente sei deutschlandweit inzwischen dramatisch. Das Saarland dürfe hier nicht ins Hintertreffen geraten und müsse deshalb seine Anstrengungen beschleunigen, jungen Menschen attraktive Arbeits- und Lebensbedingungen zu bieten.
„Wo das Bauchgefühl
hinzukommt, da kann der Computer
nicht mitwirken.“
Dirk Werth
A ugust-Wilhelm-S cheer-I nstitut