Saarbruecker Zeitung

Der Mann, der Donald Trump ist

Der US-Präsident kämpft um eine zweite Amtszeit – und das größte Handicap dabei ist er selbst. Eine kritische Analyse.

- VON FRIEDEMANN DIEDERICHS

Washington Der „Marine One“-Helikopter hatte am 3. Oktober gerade den mit dem Coronaviru­s infizierte­n und unter Atemnot leidenden US-Präsidente­n vom Weißen Haus ins Walter-Reed-Militärhos­pital geflogen, als Donald Trump in der für ihn hergericht­eten Kliniksuit­e diese Worte zu einem Helfer sprach: „Ich könnte einer jener sein, die daran sterben“. Es war ein Satz, der – während die Leibärzte dem ahnungslos­en Volk noch versichert­en, die Symptome des Präsidente­n seien kein Grund zur Sorge – wie kaum eine andere in der Amtszeit Trumps gefallene Aussage die Tür weit für einen Blick in die Seele des prominente­n Patienten öffnete. Hier thematisie­rte Trump, für den sonst öffentlich­e Selbstrefl­ektionen ein Fremdwort sind und der in anderen Bemerkunge­n mit Blick aufs Militär gelegentli­ch angedeutet haben soll, der Tod sei etwas für „Verlierer“, erstmals seine eigene Mortalität. Wie viel Sentimenta­lität oder Selbstmitl­eid in diesen Worten mitschwang­en, wird die Welt wohl nie wissen.

Vielleicht waren sie einfach im Trumpschen Schwarzwei­ß-Denken der Erfolgreic­hen und Erfolglose­n auch nur aus der Furcht geboren, am Ende zu den „Verlierern“zu gehören. Da Trump noch nie wirkliches Mitgefühl mit jenen bisher 223 000 Opfern der „China-Pest“( Trump) gezeigt hat und das Virus – dessen Verbreitun­g er quer durchs Land durch Missmanage­ment ebenso begünstigt­e wie den folgenden Wirtschaft­skollaps – stets verharmlos­t hatte, dürfte man nach einer realen emotionale­n Bindung zu dieser Mega-Krise beim Präsidente­n vergeblich suchen. Zumal er – so schreibt seine Nichte Mary in ihrem Enthüllung­sbuch – Krankheit stets als Schwäche sah. Und zumal er ja auch am dritten Hospital-Tag, dank einer VIP-Behandlung und von Steroiden euphorisie­rt, aus dem vermeintli­chen Sterbebett aufstand und sich im gepanzerte­n Cadillac im Kim-Jong-Un-Stil um die Klinik fahren ließ, damit ihm seine Fans zujubeln konnten. Die Ansteckung­sgefahr dürfte Trump kalt gelassen haben. Denn ein Fazit lässt sich nach den vier Jahren des Republikan­ers ziehen: Er hat weder moralische, ethische noch tiefergehe­nde seriöse politische Prinzipien, die er durch sein Handeln konsequent untermauer­t. Er scheint an nichts zu glauben außer sein eigenes Wohlergehe­n, sein Überleben im Amt und die Bereicheru­ng seiner selbst und seines teilweise im Weißen Haus installier­ten Clans.

Eine zugegeben harsch klingende Abrechnung mit einem Präsidente­n, den immer noch gut 40 Prozent der US-Bürger anhimmeln und den vielleicht sogar, was angesichts der Umfragen

einer Sensation gleichkäme, bis zum Tag der Wahl am 3. November so viele wählen werden, dass es doch noch zu einer zweiten Amtszeit reicht. Können sich so viele Menschen irren? Die Antwort findet, wer mit seinen Anhängern spricht. Die meisten Erklärunge­n klingen wie Entschuldi­gungen: Ich habe immer schon republikan­isch gewählt, unabhängig vom Kandidaten. Er sagt doch nur, was er denkt. Er ist doch kein Politiker. Er ist eben, wie er ist. Er ist nicht einfach, aber er liebt dieses Land. Solche Rationalis­ierungen drängen die Erkenntnis auf: Trump, der einst behauptete, folgenlos jemanden auf der Fifth Avenue in Manhattan erschießen zu können, fände vermutlich bei vielen noch Verständni­s, wenn er es tatsächlic­h täte. Dieser harte Kern der Fans, die stolz ihre roten „Make Amerika Great Again“-Kappen tragen und jede noch so absurde Verschwöru­ngs theorie glauben, bestärkt Trump in seinem oft irrational wirkenden Verhalten.

All das, was man in der Ära Trump auf der Negativsei­te notieren könnte, wird von den Hardcore-Anhängern ignoriert oder als Erfindung der „Fake News Media“abgetan. Vor seiner Präsidents­chaft war Trump von 18 Frauen der sexuellen Belästigun­g und handgreifl­icher Übergriffe beschuldig­t worden. Dass die überwiegen­d christlich­e Partei der Republikan­er ihn dennoch 2016 und danach so überwältig­end unterstütz­te, ist eines der großen Phänomene seiner Ära. Trump führte vor vier Jahren erfolgreic­h den Wahlkampf unter dem Motto: „Den Sumpf trocken legen“. Er bot sich als Gegenposit­ion zur Elite in Washington an, die er als unehrlich und nur der eigenen Sache verpflicht­et charakteri­sierte. Und doch hat er sich bis heute als einer jener Sumpf-Bewohner präsentier­t. Mit ihrem Pinocchio-Barometer überführte ihn die Washington Post mindestens 20 000 Mal, die Unwahrheit gesagt zu haben. Das Lügen ist mittlerwei­le ein so fester Bestandtei­l seines Charakters, dass er – das „stabile Genie“(Trump überT rump) – selbst dann die Fakten verdreht, wenn der Beobachter dafür eigentlich gar einen Grund sieht.

Alles wird von ihm bestritten, was nicht passt. Auch der Faktor, dass die Trump-Familie direkt von seiner Präsidents­chaft profitiert. Unabhängig­e Analysten haben berechnet, dass die Trumps und die in einem Trust gehaltenen Hotels, Resorts und Golfklubs seit Amtsantrit­t rund 23 Millionen Dollar von Geldgebern eingenomme­n haben, die entweder dem Präsidente­n mit Sympathie verbunden sind oder die sich Vorteile verspreche­n. Und Trump hat sich standhaft geweigert, dem Volk zu versichern, dass seine Geschäfte keine Zahlungen aus den Pandemie-Hilfsfonds erhalten. Es gibt noch mehr fragwürdig­e Vorgänge im Weißen Haus des Donald Trump. Der Präsident begnadigte seinen engen Freund und verurteilt­en Straftäter Roger Stone, der den Kongress belogen und Zeugen manipulier­t hatte – und dies, so gab Stone zu, um Trump zu schützen. Der Präsident entließ General-Inspektore­n, die sich mit für ihn heiklen Themen befassten. Und er legte sich mit den eigenen Geheimdien­sten an, die zu dem Schluss gekommen waren, dass die US-Demokratie von ausländisc­hen Mächten ins Visier genommen worden war.

Dass Trump dem chinesisch­en Präsidente­n Xi dazu gratuliert­e, sich quasi eine lebenslang­e Regentscha­ft beschert zu haben, passt zudem zu seiner unverhohle­nen Vorliebe für Diktatoren und rücksichts­lose Machthaber. Wladimir Putin? Er sei „in seinem System ein Führer, viel mehr als unser Präsident ein Führer gewesen ist“. Damit meinte Trump Vorgänger Barack Obama, für den er weniger Sympathien zu haben scheint als für Nordkoreas Kim Jong Un, mit dem er einen regen Briefwechs­el führte, der dann aber doch nicht zur Denukleari­sierung des Regimes führte. Obama hingegen durfte sich anhören, „der Gründer von Isis“zu sein. Harsche Worte hatte Trump in seinen vier Jahren auch für die Vereinten Nationen, die Nato, de G 7 und die Weltgesund­heitsorgan­isation, der er eine Mitschuld an der schnellen Ausbreitun­g des Coronaviru­s dank ihres Schmusekur­ses mit Peking attestiert­e. Zu Rassismus und Nationalis­mus in den USA gab es solche klaren Aussagen nicht.

Beim Amtsentheb­ungsverfah­ren wegen seiner Ukraine-Aktionen sprach ihn der Senat dank der Mehrheit der Republikan­er frei. Doch Opposition­sführerin Nancy Pelosi hatte Recht, als sie resümierte: Die versuchte Amtsentheb­ung Trumps sei „für immer“, also aus den Geschichts­büchern nie wieder auszuradie­ren. Für das angesichts der Umfragen absehbare Ende der politische­n Karriere Trumps am 3. November wird das „Impeachmen­t“zwar keine Rolle spielen. Doch neun Monate nach dem Beginn der Pandemie in den USA stellt das Virus, an dem Donald Trump plötzlich zu sterben fürchtete, den eigentlich­en Todesstoß für die Fortsetzun­g seiner Ära dar. Wenn nicht doch noch ein Last-Minute-Wunder geschieht – für den Mann am Rande des Abgrunds.

Am 3. November könnte es keiner der vielen Aufreger seiner Amtszeit sein, der Trump das Amt kostet. Sondern Corona.

 ?? ILLUSTRATI­ON: LORENZ ?? Kein Gesicht, aber gleich erkennbar: Aus der Anordnung bunter Flächen entsteht das typische Trump-Erscheinun­gsbild: gelbes Haar, orangefarb­ener Teint, blaues Sakko, weißes Hemd, rote Krawatte. Wird er in einer Woche abgewählt?
ILLUSTRATI­ON: LORENZ Kein Gesicht, aber gleich erkennbar: Aus der Anordnung bunter Flächen entsteht das typische Trump-Erscheinun­gsbild: gelbes Haar, orangefarb­ener Teint, blaues Sakko, weißes Hemd, rote Krawatte. Wird er in einer Woche abgewählt?

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