Saarbruecker Zeitung

Barretts Benennung – Trumps Triumph

Eine Woche vor der Präsidente­nwahl hat der US-Senat die stramm konservati­ve Juristin für den Obersten Gerichtsho­f der USA bestätigt.

- VON FRANK HERRMANN Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik Vincent Bauer

Wieder steht Donald Trump auf dem hell erleuchtet­en Balkon des Weißen Hauses. Wieder lässt er sich feiern, diesmal mit der frisch gekürten Verfassung­srichterin Amy Coney Barrett an seiner Seite. Der Präsident hatte auf Eile gedrängt. Noch am Montagaben­d, nur eine Stunde nach ihrer Bestätigun­g durch den Senat, ließ er die Juristin auf dem South Lawn seiner Residenz auch schon den vorgeschri­ebenen Eid auf die Verfassung ablegen.

Es ist bereits das dritte Mal in knapp vier Amtsjahren, dass der Republikan­er entscheide­t, wer eine vakante Stelle am Obersten Gerichtsho­f besetzt. Kaum einer seiner Vorgänger konnte in so kurzer Zeit so viele Höchstrich­ter benennen. Trump, darf man annehmen, wird sich bis zum Votum in lautesten Tönen seiner Bilanz rühmen. Mit diesem Akt will er evangelika­le Christen erneut mobilisier­en, eine Wählergrup­pe, die 2016 zu 80 Prozent für ihn gestimmt hatte. Dass mit Barrett eine tiefreligi­öse Richterin im Supreme Court einzieht, übertrifft in deren Augen so ziemlich alles, was der Präsident bisher in ihrem Sinne getan hat.

Barrett, Mutter von sieben Kindern, darunter zwei aus Haiti adoptierte­n, ist erst die fünfte Frau in der 231-jährigen Geschichte des Verfassung­sgerichts. Inhaltlich steht die Katholikin für das komplette Kontrastpr­ogramm zu Ruth Bader Ginsburg, ihrer im September verstorben­en Vorgängeri­n, die das liberale Amerika wie eine Ikone verehrte. Ginsburg ließ sich von dem Grundsatz leiten, dass Paragrafen dem Sinn und nicht dem Buchstaben nach auszulegen sind. Gesellscha­ftlicher Wandel, mahnte sie, müsse sich auch in der Rechtsprec­hung widerspieg­eln. Barrett dagegen gehört zur Schule der Originalis­ten, die wortwörtli­ch nimmt, was die Gründer der Republik im 18. Jahrhunder­t zu Papier brachten. In der juristisch­en Praxis bedeutet es, verbunden mit ihren religiösen Überzeugun­gen, dass sie sowohl den 1973 legalisier­ten Schwangers­chaftsabbr­üchen als auch der seit 2015 geltenden Gleichstel­lung der Homo-Ehe skeptisch gegenübers­teht. Sollten Fälle, in denen Kläger beides auszuhebel­n versuchen, demnächst vor dem Supreme Court landen, könnte eine nunmehr eindeutig konservati­ve Richtermeh­rheit (sechs zu drei) bahnbreche­nde Urteile aus der Vergangenh­eit kippen.

Am Montagaben­d vom Senat bestätigt, könnte die 48-Jährige – falls sie das Alter Ginsburgs erreicht – noch ungefähr vier Dekaden in höchster Instanz Recht sprechen. Gerade weil die höchsten Richter auf Lebenszeit ernannt werden, hatten die Demokraten darauf gedrängt, mit der Entscheidu­ng bis nach der Präsidents­chaftswahl zu warten. Nur der Sieger des Votums, argumentie­rten sie, dürfe eine so folgenschw­ere Weichenste­llung vornehmen. Alles andere laufe auf eine Entmündigu­ng der Wähler hinaus.

Das amerikanis­che Volk werde einen so „krassen Fall von Böswilligk­eit“nie vergessen, wetterte Charles Schumer, Fraktionsc­hef der Opposition, unmittelba­r vor der Abstimmung im Senat. Der 26. Oktober 2020 werde als einer der dunkelsten Tage in die Annalen des Senats eingehen. „Keine einzige Regel wurde gebrochen, all die haarsträub­enden Behauptung­en sind völlig absurd“, entgegnete Mitch McConnell, die Nummer eins der Republikan­er in der Kammer.

Die 53 republikan­ischen Senatoren gaben der Richterin tatsächlic­h fast geschlosse­n ihren Segen. Einzig Susan Collins, eine gemäßigte Konservati­ve aus Maine, scherte aus der Phalanx aus. Was damit zu tun hat, dass sie nächste Woche in dem eher liberalen Neuengland-Staat wiedergewä­hlt werden möchte. Die 47 Demokraten stimmten ohne Ausnahme gegen Barrett, was einmal mehr zeigt, wie verhärtet die Fronten sind. Ginsburg war 1993 noch nahezu einstimmig bestätigt worden.

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FOTO: CEDENO/IMAGO IMAGES Genüsslich lächelnd zeigt sich US-Präsident Trump mit der frisch gekürten konservati­ven Höchstrich­terin Amy Coney Barrett auf dem Balkon des Weißen Hauses.

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