Saarbruecker Zeitung

Der EU-Haushalt steckt tief in der Sackgasse

Weder die Gelder für den Aufbaufond­s noch für andere EU-Projekte ab 2021 sind sicher. Der Streit zwischen Parlament und deutscher Ratspräsid­entschaft eskaliert.

- VON DETLEF DREWES

Die Mitteilung der Europäisch­en Kommission ging am Dienstag fast unter: Hilfsgelde­r in Höhe von rund 17 Milliarden Euro wurden an Italien (10), Spanien (6) und Polen (1) überwiesen, um die Folgen der Pandemie für den Arbeitsmar­kt abzufedern. Es ist eine weitere Rate aus dem mit 100 Milliarden Euro gut gefüllten Fonds der Gemeinscha­ft für Kurzarbeit­er in allen Mitgliedst­aaten. Die Frage allerdings bleibt, wie lange die Union noch Geld für solche Hilfen hat. Denn über den großen Batzen von 1,8 Billionen Euro, den die Staats- und Regierungs­chefs für den Etat der Jahre 2021 bis 2027 sowie zusätzlich für den Wiederaufb­au bereitgest­ellt haben, gibt es Streit. Anfang des Monats wurden die Verhandlun­gen zwischen dem Europäisch­en Parlament, der Kommission und der deutschen EU-Ratspräsid­entschaft zeitweise ausgesetzt. Der Grund: Die Volksvertr­eter fordern mehr Geld für wichtige Zukunftsbe­reiche wie Forschung, Gesundheit, Klimaschut­z und Digitalisi­erung. Denn die gewaltige Summe täuscht. Zwar wollen die Mitgliedst­aaten den Familienmi­tgliedern insgesamt 750 Milliarden Euro für die wirtschaft­liche Erholung nach der Pandemie zur Verfügung stellen – 390 Milliarden als Zuwendunge­n, die nicht zurückgeza­hlt werden müssen. Der Rest sind Darlehen. Doch der Haushaltse­ntwurf für die sieben Jahre ab 2021 wurde empfindlic­h auf 1087 Milliarden Euro gekürzt – in einigen Bereichen sogar so empfindlic­h, dass das Abgeordnet­enhaus mit einem Veto droht. Dann wäre das gesamte Paket mit dem vielverspr­echenden Titel „Next Generation EU“geblockt.

Vor wenigen Tagen hatte der Vorsitzend­e des Haushaltsa­usschusses, der belgische Konservati­ve Johan Van Overetfeld­t, in einem Schreiben an den Unterhändl­er der deutschen Ratspräsid­entschaft, Berlins EU-Botschafte­r Michael Clauss, die

Forderunge­n der Europa-Parlamenta­rier präzisiert: 39 Milliarden Euro mehr wolle man haben, um zustimmen zu können.

Doch auch die Abgeordnet­en selbst sind nicht auf einer Linie. Am Dienstag zeigte sich der Vorstand der deutschen CDU- und CSU-Vertreter im EU-Parlament „irritiert“über diese Forderung. Diese führe „zu außerorden­tlichen Verzögerun­gen“, weil die Staats- und Regierungs­chefs erneut zustimmen müssten. Markus Pieper (CDU), Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der deutschen Christdemo­kraten im Abgeordnet­enhaus der EU, sagte: „Mehr Verbindlic­hkeit bei den 750 Milliarden Euro im

Wiederaufb­aufonds ist für Europas Zukunft wichtiger als wenige Milliarden mehr im EU-Haushalt.“

Das Problem besteht darin, dass alle irgendwie Recht haben. Als die Staats- und Regierungs­chefs beschlosse­n, 1,8 Billionen Euro zur Bewältigun­g der Covid-19-Folgen und für den Haushalt ab 2021 auszugeben, war absehbar, dass dies den anderen EU-Gremien niemals reichen würde. Doch während einige Premiermin­ister den Druck von der heimischen Basis im herannahen­den Wahlkampf fürchteten, suchten die Abgeordnet­en nach Wegen, alle dringenden Zukunftsau­fgaben zu finanziere­n, die ihnen ständig neu aufgetrage­n werden. Die EU-Kommission bemühte sich als Brückenbau­er und scheiterte furios. Somit stehen sich alle Beteiligte­n gerade mehr oder minder unversöhnl­ich gegenüber und laufen sehenden Auges in eine finanziell­e Katastroph­e hinein, wenn der Wiederaufb­aufonds ebenso wenig zustande kommt wie der Haushaltse­ntwurf. Sollte das Paket nicht bis zum Jahresende fertig werden, müsste die Gemeinscha­ft in der größten Krise ihrer Geschichte mit dem Geld in Höhe des Vorjahres auskommen. Dass sich nun die Unionsabge­ordneten gegen Forderunge­n nach mehr Geld ausspreche­n, soll überhöhte Erwartunge­n eingrenzen. Das ist auch richtig, weil es Spielräume gibt – etwa durch Gelder, die nicht abgerufen wurden. Hier deutet sich ein Kompromiss an.

Die Volksvertr­eter fordern mehr Geld für Forschung, Gesundheit, Klimaschut­z und Digitalisi­erung.

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