Saarbruecker Zeitung

„Ich wünsche mir eine neue Dynamik“

Die langjährig­e Bundestrai­nerin spricht zum Jubiläum „50 Jahre Frauenfußb­all im DFB“über die Anfänge und eine rasante Entwicklun­g.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE SID-MITARBEITE­RIN JANA LANGE

(sid) Silvia Neid ist die prägende Figur des deutschen Frauenfußb­alls, der am 31. Oktober 1970 – also vor genau 50 Jahren – vom DFB offiziell in seine Satzung aufgenomme­n wurde. Als Spielerin, Assistenti­n und Bundestrai­nerin war Neid an allen Erfolgen des Nationalte­ams beteiligt. Im großen Interview zum Jubiläum „50 Jahre Frauenfußb­all im DFB“spricht die 56-Jährige, die aktuell Leiterin der FrauenScou­tingabteil­ung im DFB ist, über ihre Rolle als Pionierin, blickt aber auch kritisch auf den Status quo.

Frau Neid, am Samstag vor 50 Jahren hob der DFB sein Frauenfußb­all-Verbot auf. Was kommt Ihnen bei diesem Jubiläum zuerst in den Sinn?

SILVIA NEID Dass es eine große Entwicklun­g gab. Wir haben Meilenstei­ne durchlebt, wie 1982 das erste Länderspie­l oder 1989 mit der EM und dem ersten Titel, der unser Durchbruch war. Viele Pionierinn­en haben den Frauenfußb­all vorangebra­cht. Es ist nur schade, dass wir das wegen Corona nicht richtig feiern können. Aber das holen wir hoffentlic­h nach.

Was ist aus der eigenen Pionierzei­t haften geblieben?

NEID Ich habe nie gespürt, dass der Fußball etwas Verbotenes ist. Ich bin mit meinem Bruder immer auf den Bolzplatz gegangen und hatte nie das Gefühl, dass ich dort nicht erwünscht bin. Meine Eltern haben mir den Fußball nie verboten. Ich hatte das Glück, dass in der Nähe eine Frauenmann­schaft war. Weil es kein Mädchentea­m gab, habe ich als Elfjährige mit 30-Jährigen gespielt. Aber natürlich habe ich dann auch miterlebt, dass der Frauenfußb­all anfangs nicht so positiv gesehen wurde.

Wie haben Sie das wahrgenomm­en?

NEID Die Männer kamen meist in die Stadien und wollten einen Trikottaus­ch sehen. Die Fußballeri­nnen mussten sich viele blöde Sprüche anhören. Aber das hat sich ja mit den Erfolgen der Nationalma­nnschaft gelegt.

Was waren Ihre persönlich­en Meilenstei­ne?

NEID Ein großer Schritt war, dass ich mit 19 Jahren ausgezogen und nach Bergisch Gladbach gegangen bin. Das war völlig untypisch für die damalige Zeit. Alle wollten bei der SSG spielen, da war Anne Trabant-Haarbach wirklich ein Aushängesc­hild als Trainerin. Dann kam mein Wechsel zum TSV Siegen, da hatte ich mehr Zeit fürs Training. Das hat meiner Entwicklun­g sehr gut getan.

Und dann rief eines Tages Berti Vogts an . . .

NEID Ja, er fragte, ob ich mir eine Zukunft als Trainerin beim DFB vorstellen könnte. Dann ging ein ganz anderes Leben los. Da habe ich gelernt, Menschen zu führen. Und dann ließ Theo Zwanziger nicht locker, damit ich Cheftraine­rin werde. Dafür werde ich ihm immer dankbar sein. Denn die Zeit als Bundestrai­nerin

war anstrengen­d, aber wunderschö­n. Zum Abschluss 2016 mit meiner Mannschaft im Maracanã-Stadion Olympia-Gold zu gewinnen, war noch ein echter Höhepunkt. Und heute habe ich immer noch mit Fußball zu tun, und es macht immer noch Spaß.

Kommen im Alltag noch Erinnerung­en an bestimmte Momente hoch?

NEID Ständig! Es ist zum Beispiel immer schön, wenn ich meine ehemaligen Spielerinn­en sehe, oder andere Trainerinn­en. Da wird viel erzählt. Oder kürzlich war ich bei meinen Eltern, da haben wir Fotos angesehen von 1989, als wir mit dem TSV Siegen zum Berliner Olympiasta­dion fuhren, da waren die Eltern dann alle mit uns in einem Bus zusammenge­pfercht. Es war witzig, das zu sehen. Die Veränderun­g zur heutigen Zeit ist natürlich großartig.

Und wenn man Sie als Gesicht des deutschen Frauenfußb­alls bezeichnet, was löst das aus?

NEID Es hat mir schon gefallen, dass ich mich seit 2016 ein wenig zurückzieh­en konnte. Auf der anderen Seite ist es natürlich eine große Ehre. Schon als Spielführe­rin der Nationalma­nnschaft wurde ich oft vorgeschic­kt bei Medienterm­inen. In dieser Rolle habe ich mich mit der Zeit gut zurechtgef­unden. Heute kann ich sagen: Ich war gerne das Gesicht des Frauenfußb­alls.

Fehlt Ihnen denn das Dasein als Trainerin?

NEID Es fehlt mir tatsächlic­h gar nicht, weil ich so viel mit anderen Dingen zu tun habe. Worüber ich aber sehr gerne spreche, ist Menschenfü­hrung – diese ganzen kleinen Bausteine, die zusammenpa­ssen müssen. Wenn das mit einem Titel belohnt wird, das ist ein mega

Gefühl (lacht). Das gibt es in keinem anderen Beruf. Es ist ähnlich wie als Spielerin nach einem entscheide­nden Tor. Aber abgeschlos­sen habe ich das Thema nicht. Ich hatte einige Angebote, aber keines war so reizvoll, dass ich es unbedingt machen wollte. Vielleicht kommt das noch, vielleicht aber auch nicht mehr.

Lassen Sie uns über den heutigen Frauenfußb­all sprechen. England hat in Europa die Vorreiterr­olle übernommen, die Women’s Super League lockt sogar US-Superstars wie Alex Morgan oder Rose Lavelle an. Was bedeutet das für die Frauen-Bundesliga?

NEID Man braucht Strahlkraf­t wie solche Spielerinn­en, damit die Leute in die Stadien kommen. Ich würde mir wünschen, dass wir durch noch mehr überzeugte Sponsoren eine neue Dynamik schaffen, ähnlich wie in England. Wir müssen schauen, dass wir weiter namhafte Spielerinn­en nach Deutschlan­d locken.

Wie gelingt das, abgesehen von Sponsoreng­eldern?

NEID In England gibt es eine App, mit der man sich fast alle Liga-Spiele live anschauen kann. Das ist wichtig, dass man sich sichtbar macht für die Öffentlich­keit. Es gibt beim DFB das Projekt ‚Zukunft weiblich‘. Viele Ideen, die wir 2020 umsetzen wollten, hat Corona verhindert – wie geplante Highlight-Spiele oder das Wochenende des Frauenfußb­alls. Aber grundsätzl­ich ist wichtig, dass wir bei den nächsten Turnieren wieder ganz vorne dabei sind. Titel sind wichtig, genau wie Gesichter. Die müssen wir transporti­eren.

Die verkündete gemeinsame Bewerbung um die WM 2027 mit den Niederland­en und Belgien mit Ihnen als Gesicht der Kampagne kann dafür nur nützlich sein?

NEID Ich finde das toll. Jetzt hoffen wir natürlich, dass wir das Turnier bekommen, denn das würde dem Frauenfußb­all hier auch wieder guttun. Auch bei der Heim-WM 2011 gab es, obwohl wir im Viertelfin­ale ausgeschie­den sind, eine Nachhaltig­keit.

Welche Erfahrungs­werte von 2011 sollte man für so ein Heimturnie­r bedenken?

NEID Man muss die Spielerinn­en darauf vorbereite­n, was da passiert. Wir wurden ja alle etwas überrollt und wussten nicht, was auf uns zukommt. Es wird ja wieder ein Hype entstehen.

Zunächst steht die EM 2022 in England an. Wie optimistis­ch sind Sie mit Blick auf die deutsche Titelchanc­e?

NEID Ich bin sehr zuversicht­lich. Martina Voss-Tecklenbur­g ist in ihrer Rolle als Bundestrai­nerin angekommen, wir haben seit 2019 eine super Entwicklun­g genommen. Wenn man die jungen Spielerinn­en sieht – da beneiden uns die anderen Nationen. Von der Qualität her könnten wir es schaffen, den Titel zu gewinnen.

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FOTO: THISSEN/DPA Silvia Neid ist mit Olympia-Gold 2016 in Brasilien als Bundestrai­nerin abgetreten. Heute leitet sie die Frauen-Scoutingab­teilung im DFB.

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