Vegetarisches Monster
Frauen (Mann muss das jetzt einfach mal zugeben) schauern am besten. So ist und bleibt für mich Mary W. Shelleys „Frankenstein“der Urmeter aller modernen Horrorstücke. Klar, kennt jeder, viele aber halt doch nur so ungefähr. Denn so sehr anno 1818 der Roman der jungen Londoner Berufsautorin einschlug, die Verfilmungen überdeckten später das literarische Original. Boris Karloff mit zwei Elektroden am Hals, eben dieses Frankenstein-Bild blieb kleben wie der glibberige Slime, den man in den 70ern Sabine aus der ersten Bank in die Haare schmierte; Pennälergrusel.
Die Story vom Forschermaniac Viktor Frankenstein aber, der an der Universität in Ingolstadt (heute löst dort eher der Audi-Abgasskandal Schrecken aus), einen künstlichen Menschen (oder ein zweites Ich) erschafft, hat Shelley funkelnd schwarz verdichtet. Vertraut mit der Antike und gleichermaßen interessiert an Erkenntnissen ihrer Zeit (wie etwa dem Galvanismus), jonglierte sie mit Briefroman und Ich-Erzählung, ließ Frankenstein samt Kreatur durch halb Europa jagen. Und dabei führte sie die Feder kaum weniger elegant als ihre Zeitgenossin Jane Austen; nur nicht so anämisch wie die berühmte Pfarrerstochter. Vieles auch, was uns noch heute umtreibt, lesen wir bereits bei Shelley: Was darf Wissenschaft wagen? Wie sehr darf der Mensch der Natur ins Handwerk pfuschen? Aber auch Kurioses findet sich: Just das Monster, welches sich mit Mord und Totschlag den Weg bahnt, speist fleischlos. Ein eher spezieller Botschafter des Vegetarismus, den Mary Shelley, selbst Vegetarierin, da schuf. Britischer Humor eben. Oliver Schwambach
Mary W. Shelley: Frankenstein.
Reclam, 344 Seiten, 10 Euro.