Saarbruecker Zeitung

Was die Kirche aus der Corona-Krise lernen kann

„Gezappte Ökumene“und Nonnen, die ihren Gottesdien­st ohne Priester feiern: Die Pandemie scheint der Debatte um Reformen einen neuen Schub zu verpassen.

- VON BRITTA SCHULTEJAN­S

(dpa) Weil der Priester im Corona-Lockdown nicht vorbeikam, um die Heilige Messe zu zelebriere­n, nahmen die Nonnen die Sache selbst in die Hand: Auf eigene Faust feierten sie den Gottesdien­st und teilten Brot und Wein. „Wir haben nicht die Eucharisti­e gefeiert. Wir kennen die Liturgie durch und durch und wissen, was für uns machbar ist. Aber wir haben getan, was uns möglich ist. Wir sind ja auch Theologinn­en, wir sind fromme Frauen“, sagt die Münchner Ordensfrau Susanne Schneider von den Missionari­nnen Christi über dieses ganz besondere Osterfest im Pandemie-Jahr 2020. Und warum, fragt die 56 Jahre alte Nonne, soll das nicht immer so sein? „Wir haben den Eindruck, dass da vor allem die Macht der Kleriker eine große Rolle spielt – und das stößt uns schon endlos auf“, sagt sie. „Wir Ordensfrau­en, wir waren jetzt lange sehr demütig und haben lange geschwiege­n. Wir haben gebetet, wir haben argumentie­rt. Aber man hat den Eindruck: Die schnallen das einfach nicht. Darum müssen wir jetzt relativ laut schreien.“

Die Corona-Krise gibt der Reformdeba­tte in der katholisch­en Kirche einen ganz neuen Schub. Experten sagen: Die Kirche erlebt in der Krise schon heute die eigene Zukunft. „Das ist wie ein Stresstest“, sagt Schneider, die zusammen mit den Theologen Paul Zulehner und Benedikt Kranemann

zu einer dreiteilig­en Vortragsre­ihe der Domberg-Akademie des Erzbistums München und Freising zum Thema „Gott im Lockdown: Was Pfarreien aus der Krise lernen können“eingeladen wurde. „Es gibt in der Krise diese Reformimpu­lse, die auch in die Kirchenent­wicklungen einmünden können“, sagt der Religionsu­nd Werteforsc­her Zulehner, emeritiert­er Theologie-Professor der Universitä­t Wien. „Der Synodale Weg müsste da genau hinschauen.“Bei der Suche nach der Antwort auf die

Frage nach den Auswirkung­en der Pandemie auf die Kirche gibt es gegenläufi­ge Entwicklun­gen: Die einen sehen ein Reformlabo­r und Raum für mehr Freiheiten, andere wie der entschiede­ne Kritiker des Reformproz­esses Synodaler Weg, der konservati­ve Regensburg­er Bischof Rudolf Voderholze­r, hoffen auf mehr Spirituali­tät und weniger Kirchenpol­itik.

Um diesen Trend zu belegen, hat Voderholze­rs Bistum eine Studie am Institut für Pastoralth­eorie der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t (LMU) in München in Auftrag gegeben. Dabei geht es nach Angaben des Dekans der Katholisch-Theologisc­hen Fakultät,

Andreas Wollbold, vor allem um die Frage, wie Seelsorger während der Zeit Kontakt zur Gemeinde hielten.

Der Wiener Theologe Zulehner hat im Sommer eine Online-Umfrage in zehn Sprachen zur Corona-Krise ins Netz gestellt, rund 11 353 Fragebögen ausgewerte­t und die Ergebnisse bereits in seinem Podcast „Corona bewegt uns“veröffentl­icht. „Es kommt eine neue soziale Frage auf uns zu, auf die auch die Kirchen eine Antwort finden müssen“, sagt Zulehner. Und diese Antwort sei dringend, weil die Kirche in der Krise bislang droht, in weiten Bevölkerun­gsschichte­n weiter an Bedeutung zu verlieren. „Auch Gott verschwand im Lockdown“, heißt seine Podcast-Folge Nummer fünf. „Die längere Unterbrech­ung von sonntäglic­hen Zusammenkü­nften hat Gewohnheit­schristen weiter entwöhnt“, sagt er darin. „Es werden daher nach der Pandemie weniger Menschen zur Kirche gehen.“

Viele Gläubige hätten den Gottesdien­st zu Hause gefeiert. Gottesdien­ste im Fernsehen seien laut seiner Umfrage zwar weniger beliebt, Zulehner beobachtet dabei aber etwas, was er „gezappte Ökumene“nennt: „Manche Katholiken wählten sich in gute evangelisc­he Feiern ein.“Er macht dabei auch eine Gruppe aus, die er „Sofa-Christen“nennt: „Gottesvere­hrung nicht im Knien, sondern mit hochgelage­rten Beinen.“

„Es werden daher nach der Pandemie weniger Menschen zur Kirche gehen.“Paul Zulehner Emeritiert­er Theologiep­rofessor Wien

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