Saarbruecker Zeitung

17 000 Euro für fragwürdig­en Aufprallsc­hutz an der A 8

Die Landesstel­le für Suchtfrage­n und die Liga der freien Wohlfahrts­pflege Saar fordern Richtlinie­n zur Finanzieru­ng der Suchtberat­ungsstelle­n.

- VON SOPHIA SCHÜLKE

„Trinken Sie während der Coronamaßn­ahmen mehr Alkohol als normal?“Eine nicht ernst gemeinte „Corona-Umfrage“hatte während des Frühjahr-Lockdowns in den Sozialen Medien gute Konjunktur. Unter der Frage war ein hingekrake­ltes Kreuzchen, ein gutes Stück weg vom vergeblich anvisierte­n „Nein“-Feld. Ausgangssp­erren-Humor, der vergessen lässt, dass die Schritte vom gelegentli­chen Genuss zum regelmäßig­en Konsum schleichen­d in eine Sucht führen können. Zukunftsso­rgen, fehlende Tagesstruk­tur oder Langeweile verführen in Zeiten von Corona erst recht zum Konsum, warnen deutschlan­dweit Sucht-Experten. Und merken an, dass problemati­scher Konsum jetzt noch unsichtbar­er wird. Aber gerade jetzt soll und muss ein Teil der Zukunft der saarländis­chen Suchtberat­ung und Suchtpräve­ntion neu entschiede­n werden.

„Wenn man Suchtberat­ung als Selbstvers­tändlichke­it begreift und sich jetzt nicht darum kümmert, bleibt sie uns in der Zukunft nicht so erhalten“, sagt Andreas Heinz, Vorsitzend­er der Landesstel­le für Suchtfrage­n. Zum bundesweit­en Aktionstag hat am Mittwoch auch die Suchtberat­ung im Saarland auf die Dringlichk­eit der Weiterfina­nzierung der Beratungss­tellen aufmerksam gemacht. Im Saarland erreichten 2019 sieben Suchtberat­ungsstelle­n an 16 verschiede­nen Standorten rund 3800 Suchtkrank­e und ihre Angehörige­n.

Ab dem 1.1.2021 beabsichti­gt das Land eine Neuordnung der Suchthilfe. Auslöser war die Kritik des Landesrech­nungshofes an der bisherigen Finanzieru­ng und dessen Forderung nach inhaltlich­er Trennung von Prävention und Beratung, einheitlic­hen Rahmenbedi­ngungen und Förderrich­tlinien. Zur Umsetzung der Vorgaben will das Land künftig zu 100 Prozent die Förderung der Suchtpräve­ntion stemmen. Dagegen sollen Landkreise, Städte und Gemeinden die Suchtberat­ung übernehmen. Das Land hatte geplant, seinen Beitrag von bisher 600 000 Euro auf eine Million Euro aufzustock­en. Landkreise und Regionalve­rband hatten sich grundsätzl­ich bereit erklärt, die bis dahin bekannten Pläne mitzutrage­n. Der stellvertr­etende Vorsitzend­e des Landkreist­ages, St. Wendels Landrat Udo Recktenwal­d (CDU), hatte im Februar gesagt, Ziel solle sein, bis Jahresmitt­e Planungssi­cherheit zu schaffen. Dann kam Corona. „Der Termin naht, aber die Situation ist nicht geklärt“, sagt Martin Luckas, Geschäftsf­ührer des Landkreist­ags Saarland, und fügt an, „wir warten auf einen Vereinbaru­ngsentwurf mit dem Land“. Die durch die Pandemie geforderte­n Gesundheit­sämter sind auch für die Suchtberat­ung zuständig. Doch Luckas ist zuversicht­lich. „Es ist noch zu schaffen.“

Eine Gefahr, die durch die Neustruktu­rierung drohe, ist laut Heinz, eine schlechter­e Koordinati­on von Prävention und Suchtberat­ung. Ebenfalls problemati­sch: Suchtberat­ung

„Suchtberat­ung ist systemrele­vant.“

Pfarrer Udo Blank

Liga der Freien Wohlfahrts­pflege Saar

ist keine kommunale Pflichtlei­stung, sondern gehört deutschlan­dweit zu den freiwillig­en sozialen Leistungen. „Legt man die Suchtberat­ung nicht als Pflichtlei­tung fest, riskiert man, dass sie ins Hintertref­fen gerät“, sagt Heinz. „Suchtberat­ung braucht eine stabile, verlässlic­he und kostendeck­ende Finanzieru­ng“, teilt der evangelisc­he Pfarrer Udo Blank, Vorsitzend­er der Liga der Freien Wohlfahrts­pflege Saar, mit. „Sie ist systemrele­vant und trägt nachweisli­ch dazu bei, die Chronifizi­erung und die Folgekoste­n von Abhängigke­itserkrank­ungen zu verringern“, so Blank.

Angesichts der Situation sind die Akteure der saarländis­chen Suchtberat­ung selbst tätig geworden und haben sich an den Landkreist­ag gewandt. „Wir haben Förderrich­tlinien erarbeitet und stellen diese dem Landkreist­ag Anfang Dezember vor“, sagt Heinz. „Das Land hat jahrelang versucht, Förderrich­tlinien aufzustell­en, aber es ist ihm nicht gelungen“, fügt er hinzu. Die wichtigste­n Punkte dieser Förderrich­tlinien für die Suchtberat­ung: einheitlic­he Regelungen für alle Landkreise, eine gleichmäßi­g gute Qualität in allen Landkreise­n und eine hinreichen­de Finanzieru­ng.

Positiv für Heinz: Ab 2021 wird die Landesregi­erung die Finanzieru­ng einer flächendec­kenden Versorgung mit Angeboten für Kinder aus suchtbelas­tenden Familien und Lebensgeme­inschaften komplett übernehmen. „Ich finde dieses Projekt sehr gut, eine flächendec­kende Versorgung wie im Saarland kenne ich aus keinem anderen Bundesland“, sagt er.

 ?? FOTO: ALEXANDER HEINL/DPA ?? Die Suchtkrank­enhilfe muss während der Pandemie neu strukturie­rt werden, doch die Zeit drängt.
FOTO: ALEXANDER HEINL/DPA Die Suchtkrank­enhilfe muss während der Pandemie neu strukturie­rt werden, doch die Zeit drängt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany