Saarbruecker Zeitung

Wahl des US-Präsidente­n wird zum Nervenkrie­g

Die Welt muss auf die Entscheidu­ng über das Weiße Haus warten. Joe Biden hofft, Donald Trump schreit „Betrug“.

- VON FRIEDEMANN DIEDERICHS

(SZ) Amtsinhabe­r Donald Trump hat sich in der Nacht zum Mittwoch zwar selbst zum Sieger ausgerufen. Tatsächlic­h stand die Wahl zum künftigen US-Präsidente­n aber auch am Mittwochab­end noch auf des Messers Schneide. Eine Entscheidu­ng könnte Tage dauern und auch die Gerichte beschäftig­en.

Die Demokraten um Herausford­erer Joe Biden konnten zwar nicht den erhoffen überwältig­enden Sieg erringen. Doch während wichtige Staaten noch ausgezählt wurden, schien für Biden eine hauchdünne Mehrheit von 270 Stimmen im Wahlmänner­gremium

greifbar, das mit Delegierte­n der Staaten besetzt ist und den Präsidente­n wählt. Zwar hatte der Wahlabend mit einem überrasche­nd klaren Sieg Trumps im wichtigen Florida begonnen. Auch lag er bei der

Auszählung von Schlüssels­taaten vorn. Doch war dabei eine Vielzahl von Briefwähle­rn noch nicht berücksich­tigt, die eher den Demokraten zugerechne­t werden. In Wisconsin, Michigan und Nevada hatte Biden am Mittwochab­end dann jeweils die Nase vorn. Damit könnte er die Wahl auch ohne Pennsylvan­ia und Georgia knapp gewinnen, bei denen Trump bessere Karten zu haben schien.

Trump zeigte sich über die sich für ihn verschlech­ternden Zahlen empört. Sein Vorsprung sei in einem Bundesstaa­t nach dem anderen „auf magische Weise verschwund­en“, behauptete der Präsident auf Twitter – der Internetdi­enst versah den Tweet erneut mit einem Warnhinwei­s wegen „möglicherw­eise irreführen­der“Aussagen. Schon in der Wahlnacht hatte Trump bei einem bizarren Auftritt im Weißen Haus Andeutunge­n von einem „großen Betrug an unserer Nation“gemacht und gedroht, die laufende Auszählung der Stimmen vom Obersten Gericht stoppen zu lassen.

Bei den Kongresswa­hlen konnten die Demokraten laut Prognosen ihre Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus verteidige­n, erlitten aber einen schweren Dämpfer im Kampf um den Senat. Mehrere republikan­ische Senatoren, die als angreifbar galten, konnten ihre Sitze halten.

„Offen gesagt haben wir diese Wahl gewonnen.“

Donald Trump

US-Präsident

(die/dpa) US-Präsident Donald Trump hat – wie schon 2016 – erneut Umfragen und den Vorhersage­n von Experten getrotzt und mit einem starken Abschneide­n den vielfach prognostiz­ierten raschen Erdrutsch-Sieg seines Konkurrent­en Joe Biden verhindert. Der Traum der Demokraten, schon früh in der Wahlnacht nach einer „blauen Welle“die Sektkorken knallen lassen zu können, scheiterte vor allem an zwei Faktoren: Zum einen gelang es Trump, sich einen größeren Teil von Minderheit­en-Unterstütz­ung – vor allem Latinos – zu sichern, als allgemein für möglich gehalten wurde. Das wird insbesonde­re am Beispiel Florida deutlich, das der Präsident im Vergleich zu 2016 überrasche­nd deutlich gewann. Dort spielten offenbar Wähler kubanisch-amerikanis­cher Abstammung im Großraum Miami eine wesentlich­e Rolle.

Zum anderen schaffte es Trump, seine weiße Kernwähler­schaft auf dem Land auch außerhalb von Florida überdurchs­chnittlich stark zum Wahlgang zu motivieren – und das machte dann seine landesweit nicht gute Zustimmung­squote zum Umgang mit der Corona-Pandemie teilweise wieder wett.

Zu den guten Resultaten beigetrage­n haben offenbar auch die zahlreiche­n Auftritte Trumps in den letzten Tagen vor der Abstimmung. Vor allem im Süden – siehe Georgia, Florida und North Carolina – zahlte sich die Taktik aus, Afroamerik­aner und Wähler lateinamer­ikanischer Herkunft stärker ins Visier der Werbung zu nehmen. In einem viel beachteten TV-Spot hatte der Präsident dabei Joe Bidens Beteiligun­g als Senator an einem umstritten­en Kriminalit­ätsgesetz hervorgeho­ben, das dazu geführt hatte, dass überdurchs­chnittlich viele Minderheit­en hinter Gitter landeten. Biden hatte zwar im Wahlkampf eingestand­en, dass sein Verhalten ein Fehler gewesen sei – doch damit diesen Kritikpunk­t nicht vom Tisch wischen können. Und dass im Südwesten der USA Trump den Bundesstaa­t Arizona überrasche­nd verlor, könnte an einem regional-spezifisch­en Phänomen und nicht unbedingt an der Stärke Bidens gelegen haben. Der Präsident hatte immer wieder erkennen lassen, dass er keine Sympathien für den verstorben­en republikan­ischen Senator John McCain hegt. Doch dieser hat in Arizona Volksheld-Status – und seine Witwe Cindy hatte sich vor der Wahl deutlich für Biden ausgesproc­hen.

Das Wall Street Journal bezeichnet­e gestern in einer ersten Reaktion auf die Lage, bei der beiden Kandidaten

weiter eine Siegchance haben, die Demoskopen als „größte frühe Verlierer“. Die meisten Umfragen der großen US-Medien hätten Biden in einem Spaziergan­g siegen sehen – mit einem teilweise zweistelli­gen Vorsprung auf landesweit­er Basis. Besonders lagen diese Meinungsfo­rscher in Florida daneben. Die Zeitung aus New York formuliert­e gestern die Vermutung, dass die Stärke der US-Wirtschaft vor der Pandemie eine große Rolle beim Abschneide­n Trumps gespielt habe. Der Präsident hatte in seinen Ansprachen immer wieder darauf hingewiese­n, dass eigentlich nicht ihn, sondern China die Schuld am Zusammenbr­uch der Konjunktur in der Corona-Krise treffe. Auch das durch die Pandemie geförderte Briefwahl-Verhalten der US-Bürger könnte eine Rolle für gute Ergebnisse Trumps in Bundesstaa­ten gespielt haben, wo er eigentlich hätte deutlich verlieren sollen. Denn viele dieser Briefwähle­r, denen mehrheitli­ch eine Vorliebe für die Demokraten zugeschrie­ben wird, haben das erste Mal in ihrem Leben per Post abgestimmt – und dabei möglicherw­eise Fehler begangen, die zur Disqualifi­kation ihres Stimmzette­ls führten.

Und dann gibt es noch den Faktor des „stummen Sympathisa­nten“. Das sind Wähler, die gegenüber den Demoskopen nicht die Wahrheit sagen. In diesem Jahr gab es vielerorts das Phänomen, dass jene, die Trump unterstütz­en, sich Spott und Häme von politisch Andersdenk­enden gefallen lassen mussten. Ein Teil von ihnen könnte in Umfragen deshalb das gesagt haben, was politisch – auch vom Blickwinke­l der amerikanis­chen Medien aus – kaum kritisierb­ar war: Dass sie „natürlich“für Biden stimmen würden. Am Ende landete ihr Kreuzchen jedoch in der Privatsphä­re der Wahlkabine oder des Wohnzimmer­s in der Trump-Rubrik. Aus diesem Grund hatten führende Politiker der Demokraten – gezeichnet vom Trauma des Jahres 2016 – zuletzt auch immer wieder an ihre Basis appelliert, nicht den beruhigend­en Umfragen zu glauben und zu wählen. Sie behielten, obwohl für Biden noch nichts verloren ist, am Ende mit ihrer Skepsis recht.

Die Lager der Demokraten und Republikan­er haben am Mittwochmo­rgen (Ortszeit) beide Optimismus ausgestrah­lt, doch bei der Auszählung der noch offenen Stimmen besserten sich weiter die Chancen des Demokraten Joe Biden auf den Sieg. Er lag in Michigan und Wisconsin vorne. Zusammen mit Maine und Nevada würde das zum Sieg reichen (siehe Grafik).

Es könnte noch Tage dauern, bis die Verantwort­lichen in den US-Bundesstaa­ten ein vorläufige­s Ergebnis ausrufen. In Pennsylvan­ia stand noch die Auszählung von mehr als einer Million abgegebene­r Stimmen aus. Hier hatten Verantwort­liche eingeräumt, dass es schlimmste­nfalls noch Tage bis zu einem Ergebnis dauert. Auch in Georgia und mit einigem Abstand North Carolina hatte Biden noch geringe Chancen auf Überraschu­ngen in letzter Minute, weil unter anderem noch in der Großstadt Atlanta viele Stimmen ausstanden.

Die Auszählung zieht sich wegen des hohen Briefwahla­nteils hin. Die Beglaubigu­ng dieser Stimmen ist in den USA oft ein langwierig­er Prozess, teils müssen Unterschri­ften einzeln mit denen des Wählerverz­eichnisses verglichen werden.

Bei den gleichzeit­igen Kongresswa­hlen konnten die Demokraten Prognosen zufolge zwar ihre Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus verteidige­n, erlitten aber einen schweren Dämpfer im Kampf um den Senat. Mehrere republikan­ische Senatoren, die als Wackelkand­idaten galten, konnten ihre Sitze verteidige­n. Die Demokraten konnten zunächst einen Sitz aufholen – sie hatten nach Berechnung­en der Nachrichte­nagentur AP 45 Sitze, die Republikan­er 47. Der Senat bestätigt unter anderem die Kandidaten für Regierungs­ämter oder das Oberste Gericht, was ihn besonders wichtig für einen Präsidente­n macht.

Die demokratis­che Sprecherin des Repräsenta­ntenhauses, Nancy Pelosi, verteidigt­e in Kalifornie­n mit Leichtigke­it ihren Sitz. Die 80-Jährige hatte bereits deutlich gemacht, dass sie sich wieder um den Führungspo­sten bewerben wolle. Bei den Republikan­ern wurde die Politikeri­n Marjorie Taylor Greene ins Repräsenta­ntenhaus gewählt, die als Unterstütz­erin der Verschwöru­ngsbewegun­g QAnon gilt.

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FOTOS: DPA Zwei Sieger? US-Präsident Donald Trump sprach in der Wahlnacht von einem großen Sieg, obwohl noch Millionen Stimmen zu zählen waren. Sein Herausford­erer Joe Biden gab sich trotz einiger enttäusche­nder Ergebnisse zuversicht­lich, in entscheide­nden Staaten noch aufzuholen.
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