Saarbruecker Zeitung

Sorge um die Demokratie in den Vereinigte­n Staaten

In Berlin herrscht breites Entsetzen über Donald Trumps Vorgehen in der Wahlnacht. Die Angst, dass die USA in ein politische­s Chaos geraten, ist groß.

- VON WERNER KOLHOFF Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r, Manuel Görtz Vincent Bauer

Es ist tief in den Deutschen drin, dass ein Fußballspi­el erst endet, wenn der Schiedsric­hter abpfeift und nicht, wenn eine Mannschaft glaubt, gewonnen zu haben. Die Empörung über Donald Trumps Versuch, sich den Wahlsieg noch vor Auszählung aller Stimmen zu kapern, einte gestern denn auch fast die gesamte deutsche Politik – und die Sorge vor politische­m Chaos in den USA.

Selbst AfD-Chef Jörg Meuthen verteidigt­e den amtierende­n Präsidente­n an dieser Stelle nicht, sondern entschuldi­gte sein Vorgehen mit der „Aufregung des Wahlgesche­hens“. Ansonsten aber zitterten die deutschen Rechtspopu­listen als einzige mit dem Kandidaten der Republikan­er. AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel sagte, Trump habe „eine ganz feste Wählerbasi­s, die immer unterschät­zt wurde“. In der Analyse lag sie damit gar nicht weit weg vom Parteispre­cher der Grünen, Robert Habeck, der das allerdings negativ fand. „Der Trumpismus ist robuster, als wir gedacht haben, und der geht auch nicht weg“, sagte Habeck. Es scheine so, als habe die Corona-Pandemie „die Fliehkräft­e, die vorher da waren, noch verstärkt“und die politische Polarisier­ung in den USA noch weiter vorangetri­eben.

SPD-Chefin Saskia Esken nannte Trumps Aufruf, die Briefwahls­timmen nicht weiter auszuzähle­n, rundherum „antidemokr­atisch“. Ähnlich der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer, der das Vorgehen „umstürzler­isch“nannte. Der Chef-Außenpolit­iker der CDU und Kandidat für den Parteivors­itz, Norbert Röttgen, sagte, er habe damit gerechnet, dass Trump „die Grundregel­n der Demokratie“missachte. Er warnte, dass Trump, sollte er am Ende gewinnen, im bilaterale­n Verhältnis zu Deutschlan­d und Europa seine Neigungen, nämlich „Geltung und Vergeltung“, voll ausleben werde. „Es wäre eine Steigerung von allem, was wir bisher erlebt haben.“Röttgen machte keinen Hehl aus seiner Vorliebe für Joe Biden, der innenwie außenpolit­isch die aufgeheizt­e Gesprächsa­tmosphäre normalisie­ren werde.

Viele deutsche Spitzenpol­itiker waren für Sondersend­ungen gebucht, zum Teil die ganze Nacht. So gab FDP-Chef Christian Lindner schon seit morgens um fünf aus seiner Wohnung Interviews und äußerte sich ebenfalls „bestürzt“über Trumps Äußerungen. In vielen Stellungna­hmen wurde tiefe Sorge über die Demokratie in den USA und die Spaltung der Gesellscha­ft deutlich. Und die Angst vor den internatio­nalen Folgen. Es drohe die Gefahr, dass die Vereinigte­n Staaten auf der internatio­nalen Ebene überhaupt nicht mehr handlungsf­ähig seien, sagte Lindner. Auch die CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r warnte angesichts des Auftretens von Trump vor „einer Verfassung­skrise in den USA“– dies sei „etwas, das uns insgesamt sehr beunruhige­n muss“.

Anhaltende Auseinande­rsetzungen um das Wahlergebn­is, das war das, was die deutsche Wirtschaft vor diesem Tag am meisten gefürchtet hatte. Industriep­räsident Dieter Kempf sagte, jede Phase der Unsicherhe­it wäre „Gift“für die Beziehunge­n. Auch Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) betonte, dass Politik und Wirtschaft ein hohes Interesse daran hätten, schnell Klarheit zu haben. Die Rechtsstaa­tlichkeit und demokratis­che Qualität der Wahlentsch­eidung müsse aber zu jedem Zeitpunkt außer Zweifel stehen. Das klang schon fast nach: Egal wie das Spiel ausgeht. Hauptsache, es geht aus – regelkonfo­rm.

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FOTO: FISCHER/DPA SPD-Chefin Saskia Esken bezeichnet Trumps Verhalten als „antidemokr­atisch“.
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FOTO: KAPPELER/DPA CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r warnt vor einer Verfassung­skrise in den USA.

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