Das ist Kultur, kann das jetzt weg?
Wie geht es dem Theater im Viertel, dem Theater im Hirsch und dem Kunstwerk? Ein Stimmungsbild aus Zeiten des zweiten Lockdowns. Mit Sorgen um Künstler, die den Beruf aufgeben, und um Unterstützung, die nicht kommt.
Es ist wieder still geworden abends in den Städten. Die Zuschauerränge der Theater sind leer, die Konzertsäle verwaist, die kleinen Bühnen in den Kneipen verlassen. Zurück bleiben nicht nur viele traurige Menschen, für die Kulturgenuss zum täglichen Überlebensmittel zählt. Es bleiben vor allem all jene zurück, die Wochenende für Wochenende, Abend für Abend diese Kultur ermöglichen, die Künstlerinnen und Künstler natürlich. Aber auch diejenigen, die ihnen den Raum für ihre Kunst bieten und nun schließen müssen.
In Saarbrücken gibt es neben dem Staatstheater mehrere kleine Spielstätten, ohne die ein buntes Kulturleben nicht möglich wäre. Wir haben bei drei der bekannteren nachgefragt, wie sie den neuerlichen Lockdown, die erneute Schließung aller Kultureinrichtungen erleben.
Das Theater im Viertel etwa, die wichtigste Bühne für die Künstlerinnen und Künstler der freien Szene der Stadt, hatte gerade erst wieder eröffnet. Das weitgehend ehrenamtlich arbeitende Team hatte zuvor schwer geschuftet, um das kleine Theater am Landwehrplatz zu renovieren und auch in Corona-Zeiten bespielbar zu machen. Die Zuschauertribüne und die Bar wurden ausgebaut, um Enge zu vermeiden.
Dramaturg Robert Karge hängte neue Bilder auf, der technische Leiter Florian Layes sorgte nicht nur fürs Sicherheitskonzept, sondern verpasste auch den Wänden einen neuen Anstrich. Gemeinsam mit dem künstlerischen Leiter Dietmar Blume wählte man für die neue Spielzeit Stücke aus, die eher kurz waren und längere Lüftungspausen ermöglichten.
„Der November sollte nun unser erster normaler Monat werden“, sagt die Geschäftsführerin Jutta Roth. „Wir haben mit der Planung für 2021 begonnen, haben Proben vereinbart und Verträge geschrieben. Ein normales Theater-Leben“, sagt Roth. Alles umsonst. Das TiV ist wieder zu.
Und nicht nur Jutta Roth hat jetzt noch größere Sorgen. „Der zweite Lockdown lässt Zuversicht und Hoffnung wie Seifenblasen platzen. Wir haben nicht die Mittel, das TiV flammend rot zu beleuchten und auf uns aufmerksam zu machen. Uns bleibt nur ein stummes Herunterlassen der Rollläden“.
Ihr Kollege Robert Karge sorgt sich mit ihr gemeinsam, dass die Rolläden womöglich nicht wieder hochgezogen werden könnten. „Die bisherigen Signale aus der Stadt lassen uns völlig in der Luft hängen ohne Netz und doppelten Boden“. Ohne eine Unterstützung der Stadt aber befürchten beide „ein endgültiges Aus für das einzige Theater der freien Szene“.
Gleichwohl planen sie ein Leben im TiV für den Dezember/Januar, unter anderem mit Brunner und Barschecks kabarettistischem „Jahresrückblick“. „Mein Motto ist nach wie vor“, sagt Robert Karge: „Ich bin zu alt, um zu resignieren“.
Eine der ganz neuen und wohl schönsten Bühnen der Stadt ist das Theater Hirsch in St. Arnual. Die Agentur Erlebnisraum hat das alte Gasthaus vor zwei Jahren gekauft und veranstaltet hier unter anderem erfolgreiche Krimi-Dinner und Zauber-Shows. Aber auch kulturelle Veranstaltungen, die nicht wirtschaftlich kalkuliert werden können, stehen auf dem Programm, etwa Lesungen oder Jazz-Konzerte.
Auch hier war der Spielbetrieb erst vor ein paar Wochen wieder zaghaft angelaufen. Viel Geld zu verdienen, war unter den Corona-Auflagen allerdings nicht. „Alles was wir in den letzten Wochen gemacht haben, war nicht wirtschaftlich“, erklärt Julian Blomann, Geschäftsführer der Agentur. „Auch Krimi-Dinner mit 50 Prozent Kapazität rechnen sich nicht. Alle Veranstaltungen seit März waren bestenfalls eine schwarze Null oder nur möglich durch die Mittel aus dem Solidaritätsfonds der Stadt Saarbrücken“.
Er hofft nun auf die angekündigten Bundeshilfen. „Falls (falls!!) wir die 75 Prozent Hilfe bekommen, wäre das für uns super. Der Hirsch war zwar noch nicht wirklich in Betrieb 2019, aber die Agentur hat ja gearbeitet. Wir sind eine Firma. Eine Steuernummer“. Trotzdem sei es hart, dass es jetzt wieder keine Kultur gibt und die Mitarbeiter zuhause sitzen.
Und dann spricht er ein Problem an, das womöglich noch kaum jemand auf dem Schirm hat: „Wir bekommen ein Problem durch die sinkende Moral, weil die Kollegen die Hoffnung verlieren und immer mehr die Branche verlassen. Bei uns gab es vier Kündigungen seit März“. Künstlerinnen und Künstler, die ihren Beruf aufgeben, weil sie frustriert sind und überleben müssen. Sie werden nach Corona fehlen.
„Und natürlich fehlt nach wie vor Geld zum Überleben“, sagt Blomann. Auch bei ihm als Veranstalter. „Daran ändert der Lockdown ja nix. Hat ja vorher auch schon gefehlt. Jetzt fehlt halt noch mehr, oder falls wir die 75 Prozent bekommen, fehlt halt ein bisschen weniger. So oder so fehlt Geld“.
Im November sollten im Hirsch auch Veranstaltungen stattfinden, die das Kulturamt der Stadt Saarbrücken gebucht hatte. Das Kleine Theater wollte Figurentheater im großen Saal des Hirsch anbieten.
Jetzt hat die Stadt das natürlich abgesagt. „Und sie zahlen kein Storno“, sagt Blomann. „Bei mir macht das den Kohl nicht fett. Aber die Künstler gehen auch leer aus. Das finde ich krass. Eine Stadt hat doch auch eine soziale Verantwortung, da könnte der Dezernent doch mal eine mutige Entscheidung treffen und mit gutem Vorbild voran gehen“, sagt er.
Eine wichtige Bühne vor allem für Musikerinnen und Musiker sind auch die verschiedenen Kulturkneipen in der Stadt. Eine der ältesten und bekanntesten ist das Kunstwerk in der Scheidter Straße. Es ist sozusagen die Haus-Bühne von Musikern wie Hector Zamora oder Franco Jaqués, aber auch Chanson-, Jazz- und andere Abende
finden hier regelmäßig statt.
Hier hat man neben den behördlichen Auflagen ein weiteres Phänomen deutlich gespürt: „die Zurückhaltung des Publikums“, sagt Wirt und Veranstalter Lothar Bayer. „Hygienekonzepte scheitern zwangsläufig und nachvollziehbar an persönlichen Ängsten und Zweifeln“, sagt er.
Kurz gesagt: Große Teile des Publikums
„Der zweite Lockdown lässt Zuversicht und Hoffnung wie Seifenblasen platzen. Wir haben nicht die Mittel, das TiV flammend rot zu beleuchten und auf uns aufmerksam zu machen. Uns bleibt nur ein stummes Herunterlassen der Rollläden.“
Jutta Roth
Geschäftsführerin des Theaters im Viertel
„Wir bekommen ein Problem durch die sinkende Moral, weil die Kollegen die Hoffnung verlieren und immer mehr die Branche verlassen. Bei uns gab es vier Kündigungen seit März.“
Julian Blomann
fürchtet, dass nach Corona einige Künstlerinnen und Künstler nicht mehr
da sein werden
„Hygienekonzepte scheitern zwangsläufig und nachvollziehbar
an persönlichen Ängsten und Zweifeln.“
Lothar Bayer
hat schon vor dem neuen Lockdown die Zurückhaltung des Publikums gesehen
bleiben aus Sorge um ihre Gesundheit lieber zuhause, für Künstlerinnen und Künstler wird es damit auch ohne behördliche Auflagen eng.
Bayer sieht große Probleme für die Veranstaltungsbranche. „Die finanzielle Basis wurde den meisten in der Branche ohnehin entzogen“, wenn jetzt auch das Publikum kein Vertrauen habe, „wird 2021 ganz ganz schwer für die Überlebenden in der Veranstaltungsbranche“.
Nach wie vor, sagt Bayer, arbeiten sie „mit sehr viel Spaß, Herzblut und Engagement für das Kunstwerk“.
Allerdings kritisiert er, „dass der breite Zuspruch oder gar die Unterstützung durch Krankenkassen, Vermieter, Finanzamt etc. derzeit nicht festgestellt werden kann“. Welche Auswirkungen all das auf die Kultur in Nach-Corona-Zeiten haben werde, sei heute noch gar nicht abzuschätzen.