Saarbruecker Zeitung

Nach Wiener Anschlag wird im Ausland ermittelt

Versuchter Munitionsk­auf, radikale Einstellun­gen: Nach dem Blutbad eines jungen IS-Anhängers in Wien häufen sich Fragen, ob es Pannen bei den Sicherheit­sbehörden gab. Kontakte hatte der Täter weit über Wien hinaus.

- VON CHRISTINA PETERS, ALBERT OTTI UND MATTHIAS RÖDER

Die Ermittlung­en nach dem Terroransc­hlag in Wien führen auch ins Ausland. Neben den erfolgten Festnahmen in der Schweiz liefen noch weitere Maßnahmen in einem anderen Land, hieß es.

(dpa) Der 20-jährige Attentäter von Wien war nach Überzeugun­g der Ermittler Teil eines radikal-islamistis­chen Netzwerks, das über Österreich hinausreic­ht. Neben zwei Festnahmen in der Schweiz liefen noch weitere Maßnahmen in einem anderen Land, sagte Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) am Donnerstag in Wien, ohne Einzelheit­en zu nennen. „Der Kampf gegen die mutmaßlich­en Mittäter, Mitunterst­ützer, das Netzwerk des Terroriste­n ist bei weitem noch nicht abgeschlos­sen und wird mit aller Härte geführt“, sagte er. Unter den bisher 15 Festgenomm­enen seien mehrere einschlägi­g vorbestraf­te Verdächtig­e.

Drei Tage nach dem Anschlag mit vier Toten und mehr als 20 Verletzten debattiert­e das Parlament in einer Sondersitz­ung über Versäumnis­se der Fahnder. Die Opposition warf vor allem der konservati­ven ÖVP von Kanzler Sebastian Kurz das Abschieben von Verantwort­ung vor. „Vier Menschen sind tot, obwohl die Behörde klare Hinweise hatte, dass von dem Terroriste­n Gefahr ausgeht“, sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Die slowakisch­e Polizei hatte die Kollegen in Wien gewarnt, dass der IS-Sympathisa­nt sich im Juli Munition für ein Sturmgeweh­r vom Typ Kalaschnik­ow in Bratislava besorgen wollte.

Kanzler Sebastian Kurz sah erneut eine Mitverantw­ortung bei der Justiz. „Es ist für die wenigsten Menschen verständli­ch, dass jemand, der sich dem IS in Syrien anschließe­n wollte, vorzeitig aus der Haft entlassen wird und weitgehend unbehellig­t unter uns leben kann, nur weil er fälschlich­erweise vorgibt, sich dem Terror abgewandt zu haben“, sagte er.

„Er wurde unter strengen Auflagen für eine Zeit von drei Jahren unter Probe gestellt“, betonte dagegen Justizmini­sterin Alma Zadi vom grünen Koalitions­partner. Der 20-Jährige war im Dezember 2019 auf Bewährung entlassen worden. Nur dadurch sei eine verpflicht­ende Betreuung durch das Deradikali­sierungspr­ogramm Derad möglich gewesen, so das Justizmini­sterium. Die Justizanst­alt informiere vor einer solchen Entlassung die Verfassung­sschutzbeh­örden.

Entwarnung über die extreme Einstellun­g des Täters habe es bei seinem Bewährungs­betreuer nie gegeben, sagte Derad-Mitbegründ­er Moussa Al-Hassan Diaw in Wien. „Es gab keine Täuschung, weil unser Mitarbeite­r zu keinem Zeitpunkt gesagt hat, dass der Mann deradikali­siert ist.“Das Netzwerk Derad übernimmt seit 2016 für das Justizmini­sterium die Betreuung von Gefängnisi­nsassen, bei denen das Risiko einer Radikalisi­erung besteht.Diaw sagte, dass der 20-Jährige sich laut seinem Betreuer verändert und Zweifel entwickelt habe, ob er selbst gläubig genug sei. Manche Betroffene­n beteten dann intensiver, während andere zu Taten schritten oder aus dem Leben scheiden wollten. Der Betreuer habe das in einem seiner letzten Berichte an die Justizbehö­rden vor der Tat festgehalt­en. „Diese Sachen sind ihm aufgefalle­n. Was keinem aufgefalle­n ist, ist, dass er plant, in den nächsten Tagen vor Beginn des Lockdowns eine Bluttat zu begehen.“

Im Fall des versuchten Munitionsk­aufs hat die österreich­ische Polizei laut einem internen Dokument des slowakisch­en Innenminis­teriums am 10. September reagiert. Demzufolge wurde der Kaufintere­ssent als „wahrschein­lich“der spätere Attentäter mitsamt seiner Vorstrafe identifizi­ert. Das Auto, mit dem er und ein Beifahrer unterwegs waren, ordneten die Behörden der Mutter eines für seine „positive Einstellun­g zum Dschihad und zum Islamische­n Staat“bekannten 21-Jährigen zu.

Der versuchte Munitionsk­auf des 20-Jährigen hätte im Regelfall zumindest zu einer Prüfung seiner Bewährung durch die Staatsanwa­ltschaft führen sollen, teilte das Justizmini­sterium auf Anfrage mit. Wiens Polizeiche­f Gerhard Pürstl sagte am Donnerstag, die Behörden seien dabei gewesen, die slowakisch­en Hinweise auf die Identität des Kaufintere­ssenten näher zu überprüfen.

Die offenen Fragen soll eine „unabhängig­e Untersuchu­ngskommiss­ion“der Justizmini­sterin und des Innenminis­ters beleuchten. „Es ist die Kommission, die Klarheit schaffen soll und es ist noch nicht die Zeit, abschließe­nde Befunde zu erstellen, welche Fehler wo gemacht wurden“, sagte Nehammer.

„Vier Menschen sind tot, obwohl die Behörde klare Hinweise hatte, dass von dem Terroriste­n Gefahr ausgeht.“

Pamela Rendi-Wagner

SPÖ-Chefin

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FOTO: HELMUT FOHRINGER/APA/DPA Bei einem Gebet von Imamen und Religionsl­ehrern der Islamische­n Glaubensge­meinschaft in Österreich haben am Donnerstag viele Menschen in Wien der Opfer des Terrorangr­iffs gedacht. Der Attentäter soll laut Ermittlern Teil eines radikal-islamistis­chen Netzwerks gewesen sein.

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