Saar-Kliniken rüsten sich für Corona-Zuspitzung
Die Zahl der Covid-Kranken auf den Intensivstationen könnte sich bis Anfang Dezember fast verfünffachen. Die Kliniken suchen nach Hilfskräften.
(SZ/dpa/ vib) Die beiden größten saarländischen Kliniken wollen sich mit zusätzlichem Personal für einen deutlichen Anstieg der Zahl der Corona-Patienten wappnen. Das Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS) rief am Donnerstag potenzielle freiwillige Helfer dazu auf, sich zu melden. Man bereite sich darauf vor, dass in den kommenden Wochen und Monaten wieder mehr Patienten mit Covid-19 in Homburg behandelt werden müssten, teilte das UKS mit. In erster Linie würden Studierende der Fächer Medizin oder Psychologie und Pflegefachkräfte, Pflegehelfer, Ärzte oder medizinische Fachangestellte gesucht. Aber auch weitere Interessierte könnten sich melden.
Das Klinikum Saarbrücken auf dem Winterberg sucht bereits seit vergangener Woche nach Helfern. Krankenhaus-Sprecherin Kristin Schäfer sprach von einer bisher „überwältigenden Resonanz“.
Auch saarländische Gesundheitsämter haben in den vergangenen Monaten Hilfskräfte zur Bewältigung der Corona-Nachverfolgung eingestellt – außerdem helfen Soldaten der Bundeswehr. Derzeit ist im Saarland allerdings nur das Gesundheitsamt in Saarlouis aktiv auf der Suche nach Helfern. Derweil
stockte die Landesregierung die bisher zugesagten 500 000 Euro zur Unterstützung der Gesundheitsämter auf insgesamt 625 000 Euro auf. Die Hilfsaufrufe stehen in Zusammenhang mit hohen Corona-Infektionszahlen. Am Donnerstag meldete das Gesundheitsministerium 338 neue Fälle im Land. 196 Patienten werden stationär behandelt – 42 intensivmedizinisch.
Laut Thorsten Lehr, Pharmazie-Professor an der SaarUni, liegt der R-Wert im Saarland derzeit bei 1,2. Lehrs Modellrechnung zufolge könnte es bei dieser Infektionslage Anfang Dezember etwa 200 Intensiv-Patienten geben.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich besorgt über die „Explosion“der Corona-Fallzahlen in Europa geäußert. Auch die Sterberate bei den Infizierten steige, sagte der WHO-Regionaldirektor für Europa, Hans Kluge, am Donnerstag in Kopenhagen. Europa ist mittlerweile die Weltregion mit den meisten nachgewiesenen Corona-Infektionen.
„Wir erleben eine Explosion“der Fallzahlen in Europa, sagte Kluge. Der WHO-Regionaldirektor rief die europäischen Staaten zu „gezielten und angemessenen“Gegenmaßnahmen auf, um die Pandemie einzudämmen. Die Schulen sollten allerdings „bis zum Schluss“offen bleiben und nur im äußersten Fall den Präsenzunterricht einstellen.
Europa ist mittlerweile die Weltregion mit den meisten nachgewiesenen Corona-Infektionen. Wie eine Zählung auf Grundlage von Behördenangaben am Donnerstag ergab, wurden in Europa mittlerweile 11,6 Millionen Ansteckungen und 293 000 Todesfälle registriert.
Und das Infektionsgeschehen beschleunigt sich weiter: Die Zahl der vergangene Woche festgestellten Neuansteckungen war 20 Prozent höher als in der Vorwoche. Die Zahl der wöchentlichen Corona-Toten in Europa stieg noch deutlich schneller: Nach 14 403 Todesopfern in der vorvergangenen Woche waren es vergangene Woche 21 500 Todesfälle und damit fast 50 Prozent mehr.
Die meisten Neuinfektionen in Europa meldeten in der vergangenen Woche Frankreich, Italien, Großbritannien, Spanien und Polen. Auch in Deutschland erreicht die Zahl der Neuinfektionen immer neue Höchststände. Am Donnerstag meldete das Robert-Koch-Institut 19 990 Ansteckungen binnen 24 Stunden.
Bei den Tests gibt es inzwischen wachsende Probleme beim Auswerten. So meldeten laut RKI in der vergangenen Woche 69 Labore einen Rückstau von insgesamt 98 931 abzuarbeitenden Proben. Zwei Wochen zuvor waren es noch 52 Labore mit 20 799 Proben gewesen. Zuletzt machten 191 Labore rund 1,6 Millionen Untersuchungen pro Woche – ein Rekordwert.
Auch im Saarland stoßen die Labore mittlerweile an ihre Grenzen. „Unsere Beschäftigten arbeiten am absoluten Limit“, warnte Dr. Jürgen Rissland, Leitender Oberarzt an der Virologie der Homburger Uniklinik. „Uns bleibt nicht mehr viel Luft.“3757 Tests wurden in der vergangenen Woche an der Uniklinik durchgeführt, fast 1200 mehr als noch vor einem Monat. Sollten die Probezahlen
weiter steigen, „werden wir Verzögerungen in Kauf nehmen müssen“, sagte Rissland auf SZ-Anfrage.
Am Montag war in Deutschland ein einmonatiger Teil-Lockdown in Kraft getreten, auch in vielen anderen europäischen Ländern wurden Lockdowns sowie nächtliche Ausgangssperren beschlossen.
Am Donnerstag zog England nach: Nach längerem Zögern der Regierung trat auch dort ein Lockdown in Kraft. Bis mindestens Anfang Dezember bleiben nicht dringend notwendige Geschäfte geschlossen. Die Engländer sollen von zu Hause aus arbeiten und das Haus nur für konkrete Anliegen wie Arztbesuche, Einkäufe und Sport verlassen.
In Portugal soll am Montag der Gesundheitsnotstand ausgerufen werden. Die auf zwei Monate begrenzte Maßnahme ermögliche es der Regierung, die Beschränkungen im Kampf gegen das Coronavirus zu verschärfen, wie es in einem am Donnerstag veröffentlichten Dekret von Präsident Marcelo Rebelo de Sousa hieß. Das Parlament soll der Maßnahme am Freitag zustimmen.
Auch in der französischen Hauptstadt Paris wurden im Kampf gegen die zweite Corona-Welle weitere Beschränkungen erlassen. Zur Vermeidung großer „Menschenansammlungen“dürfen eine Reihe von Kiosken oder Restaurants ab 22 Uhr keinen Alkohol oder keine Gerichte zum Mitnehmen mehr verkaufen, wie Bürgermeisterin Anne Hidalgo ankündigte. In Frankreich war am vergangenen Freitag ein neuer landesweiter Corona-Lockdown
in Kraft getreten. Seitdem müssen die Bürger überwiegend zu Hause bleiben.
Zypern folgte derweil dem Beispiel anderer EU-Länder wie Griechenland, Italien, Österreich oder Ungarn und beschloss am Mittwoch eine nächtliche Ausgangssperre. Seit Donnerstag dürfen die Bewohner des Mittelmeerlandes zwischen 23 und fünf Uhr nicht aus dem Haus.
Angespannt ist die Lage auch in Tschechien. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) kündigte an, dass die Bundeswehr zur Nothilfe zwei Intensivmediziner in das Nachbarland entsenden werde. „In diesen Zeiten muss Europa zusammenstehen“, erklärte sie nach einem Telefonat mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babis.