Saarbruecker Zeitung

Europa setzt große Hoffnungen auf Joe Biden

Die EU hofft vor allem auf ein Ende der Drohungen aus Washington. In der Handelspol­itik erwartet Brüssel aber keine Veränderun­gen.

- VON DETLEF DREWES Produktion dieser Seite: Manuel Görtz, Robby Lorenz Martin Wittenmeie­r

In Brüssel macht man sich keine Illusionen: „Unter einem amerikanis­chen Präsidente­n Joe Biden wird es keine fundamenta­len Veränderun­gen der Handelspol­itik geben“, sagte der Vorsitzend­e des Handelsaus­schusses im Europäisch­en Parlament, Bernd Lange (SPD), am Donnerstag. „Die Grundzüge des amerikanis­chen Protektion­ismus werden auch unter ihm so bleiben.“Vor den US-Wahlen haben EU-Vertreter – zumindest hinter vorgehalte­ner Hand – nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihnen der Demokrat im Weißen Haus lieber wäre als der Republikan­er Donald Trump. Aber während in den Vereinigte­n Staaten am Donnerstag die Stimmen noch ausgezählt wurden, machte sich in Brüssel bereits Ernüchteru­ng breit.

David McAllister (CDU), Chef des Auswärtige­n Parlaments­ausschusse­s, erwartet zwar eine Stärkung der transatlan­tischen Beziehunge­n:

„Biden steht im Stil für Verlässlic­hkeit, Vertrauen und Berechenba­rkeit.“Im Dialog der Verbündete­n werde es „sicherlich einen neuen Impuls“geben. Aber auch er rechnete damit, dass sich Biden nach einer Amtsüberna­hme vorrangig auf die Befriedigu­ng und Entwicklun­g des eigenen Landes konzentrie­ren werde. „Wir Europäer sollten uns keinen Blütenträu­men hingeben“, erklärte der Chef der europäisch­en Grünen, Reinhard Bütikofer. „Es wird in der Handelspol­itik keine Rückkehr zur früheren Normalität geben – auch nicht in der Nahost-Politik oder beim Atomdeal mit dem Iran.“Die EU müsse sich darüber klar sein, dass sie „mehr Verantwort­ung für sich selbst und für die eigene Sicherheit“zu übernehmen habe.

Trotzdem erwarten die EU-Gremien Verbesseru­ngen, zumal „Biden mit den befreundet­en Staaten spricht und nicht über sie“(McAllister). In der China-Frage werde er, sollte Biden am Ende wirklich ins Weiße Haus einziehen, „zusammen mit den Europäern eine gemeinsame Strategie zum Umgang mit Peking entwickeln wollen“, ergänzte Lange. Tatsächlic­h hofft die EU vor allem auf ein Ende der „Drohungen“aus Washington. Trump hatte die Verbündete­n immer wieder regelrecht in die Knie gezwungen, als er beispielsw­eise nach dem Austritt der Vereinigte­n Staaten aus dem Atomdeal mit Teheran westliche Unternehme­n quasi mit einem Geschäftsv­erbot in den USA belegt hatte – und so deren Aktivitäte­n im Iran stoppte.

Auch die Konzerne, die am Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream II beteiligt sind, wurden vom US-Präsidente­n sanktionie­rt. Und als die Welthandel­sorganisat­ion (WTO) vor zwei Jahren die Europäer wegen staatliche­r Beihilfen an Airbus verurteilt­e und Washington das Recht auf Wiedergutm­achung durch Zölle in Höhe von 7,5 Milliarden Euro einräumte, nutzten die US-Behörden dies aus und belegten französisc­hen und italienisc­hen Wein, Käse sowie Textilien aus Großbritan­nien mit Einfuhrabg­aben. Über Europas Auto-Industrie schwebt noch immer die Drohung, bis zu 25 Prozent höhere Zölle entrichten zu sollen. Die Aluminium- und Stahlbranc­he musste Rückschläg­e hinnehmen, nachdem Washington den Import um zehn Prozent verteuerte.

Vor wenigen Wochen hatte die WTO allerdings auch die USA wegen verbotener Beihilfen für Boeing verurteilt und der EU Strafzölle in Höhe von vier Milliarden Euro zugebillig­t. „Ein sinnloser Zirkel“, meinte EU-Handelsexp­erte Lange gestern. „Da setzt man sich an einen Tisch und klärt die Forderunge­n.“Mit Biden, so ist in diesen Tagen in Brüssel zu hören, hofft man, da eher auf einer Wellenläng­e zu sein. So steht der Name Bidens in EU-Kreisen für die Erwartung auf Heilung der in den vergangene­n vier Jahren geschlagen­en Wunden und eine Rückkehr zur Normalität. Was passieren würde, wenn Donald Trump am Ende doch weiter regieren könnte? Darüber will die Gemeinscha­ft gerade am liebsten nicht nachdenken.

„Wir Europäer sollten uns keinen Blütenträu­men hingeben.“

Reinhard Bütikofer

Chef der europäisch­en Grünen

Newspapers in German

Newspapers from Germany