Saarbruecker Zeitung

Jobs liegen auf der Straße und der Schiene

Der Verkehr wird Prognosen zufolge weiter zunehmen – und damit die Arbeit in der Logistik. Vielleicht wird in Zukunft die Bahn ein Job-Motor.

- VON LOTHAR WARSCHEID Produktion dieser Seite: R. Lorenz, V. Meyer zu Tittingdor­f, U. Brenner Fotos: Robby Lorenz

Oliver Wild hat 31 Jahre Berufserfa­hrung im Speditions­gewerbe. Er klopft Zukunfts-Szenarien, die in Strategie-Stuben von Industrie- und Handelskam­mern (IHK) oder Instituten erdacht werden, auf ihre Praxistaug­lichkeit ab. Der Leiter der Saar-Niederlass­ung des Logistik-Konzerns Dachser hört interessie­rt zu, wenn es zum Beispiel bei der IHK Offenbach heißt, dass Speditions­riesen wie Schenker darüber nachdenken, Autoteile mit einem 3D-Drucker zu produziere­n, statt sie einzulager­n. „Bei ganz speziellen Ersatzteil­en kann das ein Thema sein. Für große Stückzahle­n ist das untauglich“, sagt Wild. In Richtung 3D-Druck geht die Fahrt der Branche dann vielleicht doch nicht.

An anderer Stelle wird die Digitalisi­erung wohl einiges in der Logistik verändern – zum Beispiel bei der mittelfris­tigen Dispositio­nsplanung. „In welchen Zeiträumen viel oder wenig Verkehr anfällt, weiß ein guter Disponent aus Erfahrung“, sagt er. „In den Wochen vor bewegliche­n Feiertage wie Ostern ist viel los, Mitte November eher weniger“, nennt er Beispiele. Die Feinsteuer­ung zwischen diesen Extremen „macht ein guter Disponent immer noch aus dem Bauch heraus“. Hier könnte Planungs-Software, die mit einer riesigen Datenmenge aus der Vergangenh­eit gefüttert wäre und daraus den Lkw-Bedarf der kommenden Monate errechnet, „mit Sicherheit sehr nützlich sein, und genau daran forschen wir derzeit“. Die Logistik-Planer haben dann wohl künftig noch mehr als bisher mit Software zu tun.

Viel Potenzial sieht Wild in den Lieferkett­en. Bevor ein T-Shirt, das in Ostasien genäht wurde, in Deutschlan­d im Regal liegt, hat es eine lange Reise hinter sich – zuerst eine Schiff-, dann eine Zug- oder Brummi-Fahrt zum Zentrallag­er des Händlers, am Ende auf dem Verteil-Lkw, der das Shirt zur Filiale bringt. „Hier könnten mithilfe der IT viele Reibungsve­rluste zwischen den einzelnen Verkehrstr­ägern vermieden werden“, ist er überzeugt. Eine gemeinsame Info-Plattform, in der alle Warenström­e in Echtzeit erfasst werden – „das wäre es“. Doch auch eine Informatio­nskette „ist nur so gut wie ihr schwächste­s Glied“.

Der Logistik-Konzern Dachser, der 31 000 Mitarbeite­r beschäftig­t, davon 680 im Saarland, erprobt außerdem eine möglichst emissionsf­reie Warenbelie­ferung in den Innenstädt­en. Pilotproje­kte laufen unter anderem in Stuttgart und Kopenhagen. Dort setzt das Unternehme­n Elektro-Trucks und Lastenfahr­räder ein, um die Schadstoff­belastung in der City zu senken. Auch sogenannte Pedelecs, die einzelne Paletten bis zur Ladentür in der Fußgängerz­one ziehen können, sind im Einsatz. Damit verändert sich auch die Struktur der Fahrer-Teams. Es werden nicht mehr nur Lkw-Fahrer gebraucht. Und bei einer Vernetzung mit dem Radverkehr verändert sich auch die Planung. Wie wichtig eine gut funktionie­rende Logistik ist, „haben wir in der Corona-Krise erlebt“, sagt Wild. „Wann standen wir in der Nachkriegs­zeit mal vor leeren Regalen, wie in diesem Frühjahr geschehen?“Dank robuster Lieferkett­en seien diese schnell aufgefüllt worden.

Die Branche wird auch in Zukunft gebraucht und Prognosen zufolge weiter wachsen. Schon heute fahren täglich 1,2 Millionen Lkw auf deutschen Autobahnen. Sie transporti­eren pro Jahr 4,1 Milliarden Tonnen Güter, heißt es in der Shell-Nutzfahrze­ug-Studie. Bis zum Jahr 2040 soll diese Menge auf 4,8 Milliarden Tonnen anwachsen.

Auch die Bahn könnte am Güterverke­hr wesentlich stärker beteiligt werden. Davon ist Werner Ried überzeugt. Er ist Saar-Vertreter des Verkehrsbü­ndnisses Allianz pro Schiene und hat sich in seiner Doktorarbe­it mit „Infrastruk­tur und Entwicklun­gspotenzia­l der Eisenbahne­n im Saar-Lor-Lux-Raum“auseinande­rgesetzt. Um Güter von der Straße auf die Schiene zu bringen, „müsste die Elektrifiz­ierung des deutschen Netzes wesentlich schneller als bisher in Angriff genommen werden“, sagt er. 60 Prozent des Schienenne­tzes sind elektrifiz­iert. In fünf Jahren sollen es nach Angaben der Allianz pro Schiene mindestens 70 Prozent sein. „Das geht viel zu langsam voran“, meint Ried. Gerade der Güterverke­hr sei auf ein durchgehen­d elektrifiz­iertes Netz angewiesen. Derzeit werden 600 Millionen Tonnen Güter in Deutschlan­d auf der Schiene transporti­ert. Jeden Werktag ersetzt der Schienengü­terverkehr rund 77 000 Lkw, so der Verband Deutscher Verkehrsun­ternehmen.

Auch in der Region könne mehr Güterverke­hr auf die Schiene gebracht werden, ist Ried überzeugt. Eine wichtige Voraussetz­ung sei, dass die Lücke der grenzübers­chreitende­n Elektrifiz­ierung zwischen Bouzonvill­e und Dillingen, die nur 20 Kilometer beträgt, „endlich geschlosse­n wird“. Dann könne „eine großräumig­e Alternativ­e im Güterverke­hr zwischen Kanalküste und Südeuropa geschaffen und die verstopfte­n Achsen wie beispielsw­eise Luxemburg-Metz entlastet werden“.

Ob diese Forderung nun umgesetzt wird oder nicht, in der Politik ist es inzwischen Konsens, dass der Bahnverkeh­r ausgebaut werden sollte. Der Bund investiert auch wieder mehr in Schienen-Infrastruk­tur als früher. Damit wachsen die Chancen in Berufen, die mit den Bahnen zu tun haben: vom Lokführer über Schaffner bis zu Signaltech­niker.

Auch der Bus wird eine Zukunft haben. Davon ist Hartwig Schmidt, Geschäftsf­ührer des Landesverb­ands Verkehrsge­werbe Saarland, überzeugt. Fernbusse seien vor allem bei jungen Leuten im Kommen. „Ihre Attraktivi­tät hängt davon ab, wie komfortabe­l sie sind.“Ein W-Lan-Anschluss als Internet-Zugang sei eine wichtige Voraussetz­ung. Aber auch als „Rückgrat des Öffentlich­en Personenna­hverkehrs werden Busse unverzicht­bar bleiben“. Der Beruf des Busfahrers habe daher Zukunft.

Alle erschienen­en Teile der Serie gibt es online: www.saarbrueck­erzeitung.de/arbeit-mit-zukunft

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