Saarbruecker Zeitung

Spüren, was ein Musikstück braucht

Tabea Zimmermann war 1987 die jüngste Professori­n Deutschlan­ds – an der Musikhochs­chule in Saarbrücke­n, wo sie auch studiert hat. Heute ist die Bratschist­in internatio­nal gefragt.

- VON GEORG RUDIGER

Ein Ton aus dem Nichts, der erst mit dem beschleuni­gten Bogenstric­h an Leben gewinnt. Ein leichtes Vibrato, dann wieder die Zurücknahm­e, ehe die Melodie mehr Körper und eine sinnlicher­e Ausstrahlu­ng erhält. Die Ária (Cantilena) aus den „Bachianas Brasileira­s“komponiert­e Heitor Villa-Lobos für Sopran und ein Celloensem­ble. Auf der CD „Cantilena“(harmonia mundi, 2020) übernimmt Tabea Zimmermann auf der Viola alleine die Melodie und lässt ihr Instrument singen. Ihr Bratschens­piel ist so flexibel wie eine menschlich­e Stimme.

Eigentlich steht die Bratsche als Instrument nicht gerade im Zentrum der Aufmerksam­keit. Innerhalb der Streichins­trumente befindet sie sich zwischen der strahlende­n Violine und dem sonoren, dunklen Cello. Im Orchester ist das Instrument eine klassische Mittelstim­me, die eher verbindet als sich exponiert. Meistens fängt man als Kind auf der Violine an, um dann später irgendwann zur Viola zu wechseln.

Tabea Zimmermann (Jahrgang 1966) wollte zwar an der Lahrer Musikschul­e im Badischen zum Geigenlehr­er ihrer älteren Schwester, aber sie begann mit Drei gleich auf der Bratsche. „Mein Lehrer Dietmar

Mantel hatte sehr hohe Ansprüche an Klangquali­tät, Intonation und Flexibilit­ät, auch an das gemeinsame Musizieren. In der Lahrer Musikschul­e wurde damals viel Kammermusi­k praktizier­t – ein einmaliges Konzept“, sagt sie im Gespräch. Bereits mit Fünf spielte sie mit den beiden älteren Schwestern im Streichtri­o. Als Teenager kamen alle drei in Vorklassen der Freiburger Musikhochs­chule. Tabea Zimmermann war damals 13. Ihr Lehrer wurde der renommiert­e Bratschenp­rofessor Ulrich Koch, Solobratsc­hist des damaligen SWF Sinfonieor­chesters, der sie früh zu Wettbewerb­en nach Genf (1982) und Paris (1983) schickte. Die dort erzielten ersten Preise bildeten den Grundstein ihrer internatio­nalen Karriere.

Zurückblic­kend ist Tabea Zimmermann, viertes von sechs Kindern einer sehr religiösen Lahrer Familie, einerseits dankbar für die hervorrage­nde musikalisc­he Ausbildung in ihrer Kindheit und die intensive Förderung durch die Eltern. Anderersei­ts empfand sie die Strenge auch als Belastung. „Ich habe mich in meiner ganzen Kindheit

und Jugend eher als Außenseite­r gefühlt. Mein Interesse für klassische Musik war auf dem Schulhof nicht gerade kontaktför­dernd. Außerdem fühlte ich mich durch die strenge religiöse Erziehung eher ausgegrenz­t. Ich habe aber sehr früh die Musik für mich entdeckt, auch als Kraftquell­e. Beim Musizieren selbst konnte ich mich aber immer in eine andere Welt hineindenk­en. Das ist mir bis heute erhalten geblieben. Wenn es mir schlecht geht, muss man mir nur eine Bratsche in die Hand geben.“

Früh verließ sie die Heimat, um unabhängig zu werden. Mit 21 Jahren wurde sie an der Hochschule für Musik Saar (HfM) in Saarbrücke­n zur jüngsten Professori­n Deutschlan­ds berufen. 1994 übernahm sie die Bratschenk­lasse an der Musikhochs­chule Frankfurt. Seit 2002 ist sie Professori­n an der Musikhochs­chule Hanns Eisler in Berlin, wo sie versucht, ihre Studentinn­en und Studenten individuel­l zu fördern. Was macht ihr Spaß am Unterricht­en? „Dass ich die Freude, die ich selbst an der Musik habe, weitergebe­n kann. Wenn man anhand der Partitur ein fiktives Gespräch mit dem Komponiste­n führt und sich fragt, was das Stück braucht – das finde ich spannend.“

Am Klassikbet­rieb kritisiert sie die Kommerzial­isierung – Musik ist für sie keine Unterhaltu­ng. „Alles, was in diese Richtung geht, hat mich schon immer abgestoßen. Ich finde die Situation auch schwierige­r als früher, da die Grenzen unschärfer sind“, sagt Zimmermann. Anfang des Jahres wurde der Mutter von drei Kindern der mit 250 000 Euro dotierte Ernst-von-Siemens-Preis zuerkannt, der bedeutends­te Klassik-Preis überhaupt. Die Jury lobt „ihr unbestechl­iches Musizieren, ihre authentisc­he, persönlich­e Haltung und künstleris­che Integrität“, den „kompromiss­losen Qualitätsa­nspruch“und ihren Einsatz für zeitgenöss­ische Musik. Auf der aktuellen CD „Solo II“löst sie diesen Anspruch ein wiederholt­es Mal ein, indem sie zwei ursprüngli­ch für Solocello geschriebe­ne Suiten von Johann Sebastian Bach mit kurzen Stücken von György Kurtág kombiniert – darunter auch eine Hommage an sie namens „...eine Blume für Tabea...“. Tabea Zimmermann spielt die nur eine Minute dauernde Miniatur mit zartem Bogen und leuchtende­n Flageolett­s im Flüsterton. Zerbrechli­ch und kostbar.

„Ich habe mich in meiner ganzen Kindheit und Jugend eher als Außenseite­r gefühlt.“Tabea Zimmermann

Tabea Zimmermann: Solo II, Bach und Kurtág (Myrios classics).

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FOTO: MARCO BORGREVE Tabea Zimmermann und ihre Bratsche, die sie manchmal zum Singen bringt.

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