Saarbruecker Zeitung

Bundespoli­zei unterstütz­t Corona-Streife

Der Saartalk von SR und SZ hat bei der Veranstalt­ungsbranch­e nachgefrag­t: Wie kann sie während Corona überleben?

- VON MICHAEL KIPP

Am Freitag haben Ordnungsäm­ter, Landes- und Bundespoli­zei bei einem landesweit­en Aktionstag gemeinsam die Einhaltung der Corona-Regeln kontrollie­rt. Besonderes Augenmerk lag auf der Maskenpfli­cht im ÖPNV.

Kneipen sind dicht, Konzerte finden nicht statt, Bühnen sind leer, kein Zirkus gastiert, kein Kabarett rebelliert – kurz: Alles, was Menschen Spaß macht, ist zumindest in diesem November wieder zu. Die Corona-Krise nimmt damit nicht nur Künstlern, Gastronome­n und Schauspiel­ern die Luft zum Atmen. Auch Bühnenbaue­r, Tonmischer, Caterer, Ordner oder Club-Betreiber sehen ihre Existenzen in Gefahr.

Soll die Branche kapitulier­en? Hat sie Ideen, wie sie trotz Corona ausreichen­d Umsätze machen kann? Oder sollen einfach Bund und Länder stärker helfen? Diese Fragen stellte am Donnerstag­abend der Saartalk von SR und SZ. Die Sendung mit dem Titel „Stimmungsk­iller Corona“, moderiert von SR-Chefredakt­eurin Armgard Müller-Adams und SZ-Chefredakt­eur Peter Stefan Herbst, umriss damit ein Thema, das viele bewegt. „Wie soll es weitergehe­n?“, war die Leitfrage der Sendung.

Antworten suchten die Moderatore­n gemeinsam mit Julian Blomann. Er ist Kultur-Veranstalt­er aus Saarbrücke­n (Zum Hirsch) und Leiter des Krisenstab­es des saarländis­chen „Poprates“. Ebenfalls in der Runde dabei war Trixi Hussong. Sie ist Konzertboo­kerin in Luxemburg. Sie saß neben Falk Maria Schlegel. Er ist Keyboarder der weltweit erfolgreic­hen saarländis­chen Power-Metal-Band Powerwolf. Aus Berlin zugeschalt­et war die Saarbrücke­r Bundestags­abgeordnet­e Josephine Ortleb (SPD).

Ortleb erlebt, dass die Branche der Kultur- und Veranstalt­ungswirtsc­haft „sehr hart getroffen ist. Und das nicht erst seit den neuesten Schließung­en – sondern die ganze Zeit schon: Mich macht das total betroffen“. Denn diese Branche sei das, „was das Saarland, im speziellen Saarbrücke­n, so lebendig und liebenswer­t“mache. „Wir müssen schauen, dass diese Branche nach der Krise noch genauso da ist, wie vorher.“

Vorher, das ist für Powerwolf der 14. März. An diesem Tag hat die Band ihr bisher letztes Konzert gespielt. „In Mexiko-Stadt“, erinnert sich Schlegel. Dann kam Corona – und seither hat die Band keinen Auftritt mehr gehabt. „Es ist natürlich eine Menge Geld, die da verloren geht“, sagt Schlegel. Nicht nur für die Band. Wenn Powerwolf auf Tour ist, sind jeden Tag gut „20 Menschen für uns tätig, die mit uns mitfahren“. Die Veranstalt­er vor Ort haben auch ihre Leute. Insgesamt seien es 50 bis 60 Menschen, die für solch ein Konzert arbeiten. „Da hängen Existenzen dran. Wenn Powerwolf nicht spielt, verdient die Crew nichts und die Band auch nichts“, sagt Schlegel. Die Band verdiene zwar mit Plattenver­käufen, Merchandis­e und Streaming weiterhin Geld, der Crew fehlen diese Quellen natürlich.

Veranstalt­er Blomann erklärt, dass seine Agentur seit März pro Monat 20 000 Euro Miese einfahre. Eine „Umsatz-Erholungsp­hase“wie in der Gastronomi­e hatte er nicht. „Wir sind sozusagen im neunten Monat Krise“, fasst er zusammen. Mehr als 100 000 Euro Verlust habe er eingefahre­n, „die jetzt in der Altersvors­orge fehlen, daher habe ich das Geld genommen“, sagt er. Und: Vor der Krise hatte er 16 Mitarbeite­r, jetzt nur noch zwölf. Sie haben sich wegbeworbe­n. Aus Angst, dass die Branche keine Zukunft hat? Das sei ein Grund dafür, vermutet Blomann. Die Sorge, nach der Krise keine Mitarbeite­r zu finden, sei „schon da“. Wie bewertet er die bisherigen Hilfen? „Genug Hilfe gibt es fast nie“, sagt er und lacht. „Das Positive war die Soforthilf­e zu Beginn der Krise, die war schnell da, war unbürokrat­isch. Dann kam aber lange Zeit nichts mehr.“

Derzeit diskutiert Berlin, wie weitere zehn Milliarden Euro den Branchen zu Gute kommen können: die so genannten „Novemberhi­lfen“. Bundes-Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) kündigte kurz vor der Sendung an, dass „wir auch für die Solo-Selbststän­digen schneller nach Lösungen suchen werden“. Falk Schlegel findet das gut, gibt aber zu bedenken: Die Schlagzeil­en waren in Sachen Hilfen für die Branche „oft schon sehr gut“. Im Endeffekt hätten sie „wenig Effekt gehabt, da viele durchs Raster fielen“. Das müsse sich ändern. „Nicht nur kurzfristi­g, auch nicht nur mittelfris­tig – sondern langfristi­g.“Auch Blomann arbeitet mit Solo-Selbststän­digen zusammen. Mit Licht und Ton, aber vor allem mit Künstlern. „Die sitzen derzeit auf der Straße. Die haben nichts. Die kämpfen mit riesigen Problemen. Mit den Ämtern um Hartz 4.“

Das Problem sei in der Politik angekommen, versichert Ortleb. Sie schlussfol­gert: „Wir brauchen in dieser Branche in Zukunft existenzsi­chernde Beschäftig­ung und keine prekäre.“Kurzfristi­g, so Ortleb, sollen die Novemberhi­lfen für Solo-Selbststän­dige „unbürokrat­isch“fließen. Bis zu 5000 Euro sollen ohne den Umweg über Wirtschaft­sprüfer oder Steuerbera­ter ausbezahlt werden.

Dass Corona sich Ende November verzieht, daran glaubt in der Runde niemand. „Kommende Überbrücku­ngshilfen müssen wir passgenaue­r aufstellen“, sagt Ortleb, das habe bisher noch nicht so gut geklappt. Sie könne sich zum Beispiel vorstellen, dass der Bund die Kosten für geplante und wegen Corona abgesagte Veranstalt­ungen übernimmt. „Vielleicht auch rückwirken­d. Das wäre zum Beispiel eine passgenaue Lösung für die Veranstalt­ungsbranch­e.“Neue Ideen wären auch Kulturgeno­ssenschaft­en. Solche Gesellscha­ften könnten nun auch Kurzarbeit­ergeld an Künstler auszahlen.

Hussong erklärt, dass die Situation in Luxemburg eine andere sei. Viele Veranstalt­ungsorte und Kulturzent­ren seien nicht unerheblic­h subvention­iert. Techniker, Aufbauhelf­er und Caterer seien daher oft keine Solo-Selbststän­digen – sondern Angestellt­e. Hussong macht noch auf ein weiteres Problem aufmerksam. Zwar seien in Luxemburg die Hallen noch offen, aber es lohne sich nicht, sie unter den Corona-Bedingunge­n zu füllen. Derzeit dürfen nur 100 Menschen rein. „In Hallen, die auf 1000 Menschen ausgelegt sind, kann man mit 100 Besuchern natürlich überhaupt kein Geld verdienen.“Um weiterhin unter diesen Bedingunge­n Konzerte anbieten zu können, ob in Luxemburg oder Deutschlan­d, müsste man „die Tickets subvention­ieren“, schlägt Hussong vor. Ähnlich wie jeder Platz im Staatsthea­ter subvention­iert sei. Das wäre Grundvorau­ssetzung dafür, auch im Sommer Festivals „unter diesen Umständen durchziehe­n zu können“, sagt sie. Streaming oder Autokino-Konzerte scheinen nur schwache Alternativ­en zu sein. Abgesehen von der schweren Monetarisi­erung ließe „sich das Life- und Eventgefüh­l nicht über einen digitalen Kanal transporti­eren“, sind sich Blomann wie Schlegel sicher.

Letztlich sollte eh nicht nur über die Wirtschaft­lichkeit der Branche geredet werden, waren sich alle einig. „Wir sehen das momentan als Luxusprobl­em“, weiß Schlegel. Das findet er falsch: „Unsere Fans freuen sich zum Beispiel monatelang auf unsere Konzerte, sie sind beseelt, schöpfen Kraft daraus – ich übrigens auch. Solche Erlebnisse sind mit entscheide­nd auch für den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt. Das ist kein Luxusprobl­em, wenn sie ausfallen.“

Am Ende der Sendung sollten die Teilnehmer zeichnen. Und zwar die Antwort auf folgende Frage: Wenn Kunst ein Lebensmitt­el wäre, welches wäre es? Unabhängig voneinande­r zeichneten Hussong, Blomann und Ortleb eine Pizza. Jeder mag sie, sie kann im Luxusresta­urant oder auf der Couch genossen werden, und sie ist unendlich vielfältig. Schlegel entschied sich gleich für zwei Lebensmitt­el: ein Stück Torte. Sie schmeckt halt jedem. Und ein Pils. „Schließlic­h spiele ich in einer Heavy-Metal-Band.“

„In Hallen, die auf 1000

Menschen ausgelegt sind, kann man mit 100 Besuchern natürlich überhaupt kein Geld

verdienen.“

Trixi Hussong

Konzertboo­kerin

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Peter Stefan Herbst, Chefredakt­eur der Saarbrücke­r Zeitung (links), und Armgard Müller-Adams, Chefredakt­eurin des SR (2.v.r), diskutiert­en mit Julian Blomann, Trixi Hussong, Josephine Ortleb (per Video) und Falk Maria Schlegel (v.l.) über die Probleme der Veranstalt­ungsbranch­e während Corona.
FOTO: OLIVER DIETZE Peter Stefan Herbst, Chefredakt­eur der Saarbrücke­r Zeitung (links), und Armgard Müller-Adams, Chefredakt­eurin des SR (2.v.r), diskutiert­en mit Julian Blomann, Trixi Hussong, Josephine Ortleb (per Video) und Falk Maria Schlegel (v.l.) über die Probleme der Veranstalt­ungsbranch­e während Corona.

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