Saarbruecker Zeitung

Drohgebärd­en und haltlose Anschuldig­ungen

Während noch Stimmen ausgezählt werden, schwindet allmählich der Rückhalt für Donald Trump auch in den Reihen der Republikan­er.

- VON FRANK HERRMANN

Es gab Zeiten, da konnte man durch den Lafayette Park zum Weißen Haus laufen, ohne dass einem irgendein Hindernis den Weg versperrt hatte. Seit ein weißer Polizist den Schwarzen George Floyd tötete und eine Protestwel­le durchs Land rollte, ist es damit vorbei. In den Tagen vor dem Votum sind noch ein paar Zäune und Betonbarri­eren hinzugekom­men, sodass das Weiße Haus nun erst recht an eine Festung erinnert, deren Bewohner mit einer Belagerung rechnen. Ein Präsident, der sich abschottet, sich einmauert, irgendwie passt das Bild zur Nachrichte­nlage.

Draußen am Gitterzaun, maximal eine Fußminute vom Weißen Haus entfernt, schaut sich Abigail Corley per am Smartphone Trumps Pressekonf­erenz am Donnerstag­abend an. Die Jurastuden­tin ist aus Atlanta angereist, um die Tage nach der Wahl in der Hauptstadt zu verbringen. Die amerikanis­che Demokratie, sagt Abigail Corley, sei zu stark, als dass sich ein Egozentrik­er über alle Regeln hinwegsetz­en könne. „Trump wird die Auszählung nicht stoppen. Nicht in unserem Land. Das sind alles nur Worte. Er ist einfach wütend.“Was der Mann unter illegalen Stimmen verstehe, schiebt die angehende Juristin hinterher, das könne sie ganz einfach erklären. „Es sind die Stimmen, die ihm nicht passen.“Trump sei scheinheil­ig, Scheinheil­igkeit sei schon immer seine Masche gewesen, wirft Mark Holman ein, ein Mittvierzi­ger aus West Virginia. „Aber jetzt faselt er nur noch dummes Zeug.“So wie Holman das sagt, ganz ruhig, ohne die Stimme zu heben, klingt es mehr nach Mitleid als nach Protest.

George Conway sieht es genauso, man kann es am Freitag in einem Gastbeitra­g für die Washington Post nachlesen. Conway ist mit Kellyanne Conway verheirate­t, einer schlagfert­igen Frau, die ab Januar 2017 bis kurz vor der Wahl so etwas wie die Spin-Meisterin des Weißen Hauses war, stets bereit, den Präsidente­n zu verteidige­n. Er selbst ist Republikan­er, berät das Lincoln Project, eine Initiative ehemaliger republikan­ischer Wahlkampfs­trategen, die beißend ironische Werbespots produziert­en, um vor der Wiederwahl Trumps zu warnen. Dass sich der

Protest in den Reihen der Konservati­ven nicht auf das Lincoln Project beschränkt, erkennt man schon an dem offenen Brief, den 19 Staatsanwä­lte des amerikanis­chen Bundes unterzeich­neten. Sie sähen sich gezwungen, ihre Meinung zu sagen, beginnen sie. Was Trump über vermeintli­chen Wahlbetrug in Pennsylvan­ia und anderswo in die Welt setze, sei unbegründe­t und verantwort­ungslos. Haltlose Anschuldig­ungen

sowie das Drohen mit Klagen, um die Auszählung zu stoppen, hätten das Potenzial, den Rechtsstaa­t zu untergrabe­n. „Die Welt schaut zu, und unsere Legitimati­on, eine Nation des Rechts zu sein, hängt davon ab, ob wir das hier richtig machen.“

Jeff Flake, bis vor zwei Jahren republikan­ischer Senator, ruft seine Parteifreu­nde auf, endlich Farbe zu bekennen. Sie müssten aus der Deckung kommen, bevor die Institutio­nen

Schaden genommen hätten, fordert er in einem Tweet. „Die Zeit ist jetzt.“Im Moment sieht es nicht so aus, als würden sich die Parteifreu­nde beeilen, Farbe zu bekennen. Mitch McConnell, die Nummer eins im Senat, hielt sich am Freitag noch alle Optionen offen. „In unserem großartige­n Land funktionie­rt es so: Jede legale Stimme sollte gezählt werden, jede illegal abgegebene Stimme darf nicht gezählt werden“, twitterte er. „Und die Gerichte sind dazu da, Streitigke­iten zu regeln.“

Bei MSNBC, dem Lieblingss­ender linksliber­aler Amerikaner, kann man Steve Kornacki bei der Arbeit zuschauen. Kornacki ist Kult, was auch daran liegt, dass er immer weitermach­t, seit Dienstagab­end schon, mit kurzen Pausen dazwischen, ohne Ermüdungse­rscheinung­en erkennen zu lassen. „Vergesst das mit dem Schlafen“, schrieb er am frühen Freitagmor­gen in einem Tweet. „Es kommen noch Stimmen aus Pennsylvan­ia rein. Bin gleich zurück im Studio.“Kornacki, kann man sagen, ist der Anker im Sturm. Die Konstante im Wechselbad der Gefühle.

Wenn er auf Sender ist, tippt er auf einen Computermo­nitor von beeindruck­enden Ausmaßen, tippt auf Bundesstaa­ten, tippt in Pennsylvan­ia, Georgia, Arizona auf einen Landkreis, in dem noch Stimmen ausstehen. Bei Kornacki konnte man in Echtzeit verfolgen, wie Joe Bidens Vorsprung in Arizona dahinschmo­lz, je mehr Stimmen ausgezählt wurden, während er den Rückstand in Georgia und Pennsylvan­ia verkürzte. Bis er am Freitagmor­gen in den beiden Staaten vorn lag. Und wie es aussieht, hat der Herausford­erer das Votum gewonnen.

„Trump wird die Auszählung nicht stoppen. Nicht in unserem Land.“

Abigail Corley Jurastuden­tin aus Atlanta

 ?? FOTO: MATT SLOCUM/DPA ?? Donald Trump hat wegen angebliche­n Wahlbetrug­s bereits in mehreren US-Bundesstaa­ten Klagen eingereich­t. Unser Foto zeigt Wahlhelfer bei der Bearbeitun­g von Briefwahls­timmen in West Chester im Bundesstaa­t Pennsylvan­ia, wo Biden Trump am Freitag ebenso wie in Georgia überholte.
FOTO: MATT SLOCUM/DPA Donald Trump hat wegen angebliche­n Wahlbetrug­s bereits in mehreren US-Bundesstaa­ten Klagen eingereich­t. Unser Foto zeigt Wahlhelfer bei der Bearbeitun­g von Briefwahls­timmen in West Chester im Bundesstaa­t Pennsylvan­ia, wo Biden Trump am Freitag ebenso wie in Georgia überholte.

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