Der deutsche Breitensport muckt erstmals auf
Verbands-Funktionäre fordern von der Politik Lockerungen insbesondere für Kinder und Jugendliche. Klarer Appell des DFB.
(dpa/red) Es ist nicht nur das Verordnungs-Wirrwarr der Bundesländer im Teil-Lockdown, das den deutschen Sport verunsichert. Für Ärger und Unmut sorgt auch die Gleichsetzung der Amateurund Breitensportler in den Regelungen etwa mit Bordellen und Spielhallen. „Hier wünschen wir uns in den politischen Debatten mehr
Helmut Digel
Wertschätzung“, sagt Hessens Landessportbund-Präsident Rolf Müller: „Die Einordnung des Sports hinter den Spielhöllen und Bordellen sollte sich nicht wiederholen.“
Was geht in den 16 Bundesländern? Was darf nicht mehr laufen? Und bleibt wirklich alles nur bis Ende November befristet? Während Amateur- und Breitensportler in den meisten Ländern allein oder zu zweit aus verschiedenen Haushalten Sport treiben dürfen, gibt es eine Reihe von Ausnahmen.
In Hamburg ist nur die Bewegungsfreiheit im Freien gewährt, den Nachbarn aus Schleswig-Holstein hat die Politik es auch in der Halle erlaubt. Eine Vorlage für Sporttourismus: Wer in der Hansestadt wohnt, kann wenige Kilometer weiter Hallen-Tennis spielen. In Mecklenburg-Vorpommern sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren vom Sportverbot ausgenommen.
Öffentliche und private Sportanlagen im Saarland sind wie etwa in Hessen geschlossen. Es wird aber darauf hingewiesen, dass im Wald oder in Parks gejoggt, geradelt und gewandert werden darf. Auch in Bayern werden für den Amateursport so gut wie keine Ausnahmen gemacht. „Bundeseinheitliche Regelungen, die für alle Sportvereine gelten, wären sehr wünschenswert“, sagt BLSV-Präsident Jörg Ammon – und dass es „leicht verständliche Regeln“sind. Auch Berlins Landessportbund-Chef Thomas Härtel hält die verschiedenen Regelungen für irritierend. Dass Kinder bis zwölf Jahre in Berlin im Freien trainieren können, stimmt ihn froh, aber nachdenklich: „Warum diese Regel nicht gleich für alle schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen gilt, ist nicht nachvollziehbar.“
Abgesehen vom Flickenteppich der Einschränkungen bewegt Elvira Menzer-Haasis, Präsidentin des Landessportbundes Baden-Württemberg,
die Sorge um die Menschen, „die vor dem Hintergrund der psychischen und physischen Gesundheit auf sportliche Aktivitäten angewiesen“seien.
Unterdessen haben sich Fritz Keller und die Präsidenten der Regionalund Landesverbände im Deutschen Fußball-Bund (DFB) für einen bundesweiten Trainingsbetrieb im Amateursport ausgesprochen. Der an die Politik gerichtete Appell bezieht sich in erster Linie auf die Möglichkeit des organisierten Sporttreibens für Kinder und Jugendliche unter freiem Himmel und schließt dabei ausdrücklich nicht nur den Fußball ein. „Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst, für die Gesundheit, die Gesellschaft und nicht zuletzt für unsere Kinder. Nach allen bisher vorliegenden Erkenntnissen und Zahlen birgt die Ausübung von Freiluftsport – auch in Mannschaftssportarten
– kaum ein Ansteckungsrisiko“, erklärt DFB-Präsident Keller.
Auch der Deutsche Olympische Sportbund freut sich über jede Abmilderung der Corona-Maßnahmen. „Für Millionen Sporttreibende und Verantwortungsträger stellt der aktuelle Lockdown einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit dar. Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass bei der konkreten Umsetzung zumindest in einigen
Bundesländern praxisbezogene Regelungen absehbar werden“, sagt DOSB-Präsident Alfons Hörmann.
Der Landessportverband für das Saarland (LSVS) positioniert sich nur vorsichtig. Per Pressemitteilung werden lediglich „die Sorgen des DOSB geteilt“. Wohl auch aus Gründen der eigenen Führungskrise (die neuen hauptamtlichen Vorstände sind noch immer nicht benannt) vermeiden die verbliebenen Präsidiumsmitglieder kurz vor ihrer Ablösung eine Konfrontation mit der Politik.
Nicht so moderat äußert sich der frühere deutsche Spitzenfunktionär Helmut Digel. Für ihn ist das Sportverbot für den Breitensport ein Skandal. „Die Entscheidung, die zum Sportverbot geführt hat, kann einer kritischen Überprüfung nicht standhalten“, sagt Digel. Die medizinischen Erkenntnisse über die Bedeutung des Gesundheitssports seien nicht oder nur unzureichend zur Kenntnis genommen worden. „Der organisierte Sport darf kein devoter Untertan einer fragwürdigen Sportpolitik sein“, fordert der Ex-Präsident der deutschen Leichtathleten: „Mit allen in einer Demokratie zur Verfügung stehenden Mitteln hat der organisierte Sport sich gegen das aktuelle Sportverbot zu wehren und zukünftige Verbote zu verhindern.“
„Der organisierte Sport darf kein devoter Untertan einer fragwürdigen
Sportpolitik sein.“
Ehemaliger Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes