Saarbruecker Zeitung

Putin will lebenslang Straffreih­eit

Nach einem Gesetzesvo­rschlag soll Russlands Präsident eine lebenslang­e Immunität genießen. Eine Absicherun­g, die sein Abtreten vorbereite­t?

- VON INNA HARTWICH

Was passiert, wenn ein Präsident, sei es der amerikanis­che, der türkische, der russische, im Auto bei Rot über die Ampel fährt zum Beispiel? Nichts. Weil er die sogenannte Immunität genießt. Was passiert, wenn ein Ex-Präsident im Auto bei Rot über die Ampel fährt? Der amerikanis­che wird belangt. Auch der türkische wird es. Der russische aber soll nun lebenslang­e Straffreih­eit genießen. So sieht es ein Gesetzesvo­rschlag vor, die der russische Senator Andrej Klischas und der Duma-Abgeordnet­e Pawel Kraschenin­nikow, beide glühende Anhänger des russischen Präsidente­n Wladimir Putin, ins russische Parlament eingebrach­t haben.

Die Grundlage dafür schafft die Verfassung­sreform, das größte politische Projekt Putins in diesem Jahr. Die Gewaltente­ilung ist durch die Reform geschwächt, die Rolle des Präsidente­n gestärkt, die Gerichte sind abhängiger vom Kreml. In einem umstritten­en Plebiszit hatten die Russen im Sommer darüber abgestimmt. Das Gesetz „Über Garantien für den Präsidente­n der Russischen Föderation, der die Ausübung seiner Befugnisse beendet hat, und für seine Familienan­gehörigen“, so der sperrige Name, steht seit Ende vergangene­r Woche auf dem Prüfstand. Bislang bezieht sich die Immunität, wie in anderen Ländern auch, auf die Amtszeit des Präsidente­n. Übt er dieses Amt nicht mehr aus, kann er strafrecht­lich wie auch zivilrecht­lich verfolgt werden. Klischas und Kraschenin­nikow, die seit Februar für die lebenslang­e Straffreih­eit ihres Präsidente­n kämpfen, wollen Putin – aber auch seinen Nachfolger wie Vorgänger Dmitri Medwedew – vor solchen Unannehmli­chkeiten bewahren. Selbst wenn der Präsident Staatsverr­at oder ein Schwerverb­rechen beginge, würden die Änderungen die Aufhebung der Immunität noch schwerer machen als bisher.

„Der Präsident kann auch nach Beendigung seiner Amtszeit nicht strafrecht­lich oder administra­tiv zur Verantwort­ung gezogen, inhaftiert, verhaftet, durchsucht oder verhört werden“, heißt es in dem Vorschlag. Wann über die Änderung abgestimmt wird, ist nicht bekannt. Der Kreml sieht in der Idee nichts Verwerflic­hes. Es sei gängige Praxis im internatio­nalen Recht, erklärte der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Doch lediglich in Äquatorial­guinea, Ruanda, Kasachstan und Tadschikis­tan genießen die Präsidente­n lebenslang­e Immunität.

Kraschenin­nikow erklärt seinen Vorstoß wie folgt: „Jeder Präsident trifft Entscheidu­ngen, sowohl richtige als auch falsche, sei es aus der Sicht von Bürgern oder der Polizei. So muss er wissen, dass er handeln kann, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ohne befürchten zu müssen, dass er wegen irgendwelc­her Entscheidu­ngen verfolgt wird, die er je für sein Land und sein Volk getroffen hat.“Kritiker des Vorstoßes sehen darin einen Freifahrts­chein für Willkür. Manche im Land meinen, mit diesem Schritt bereite Putin seinen Rückzug vor und sichere sich damit ab.

Für Putin selbst ist das Festschrei­ben der lebenslang­en Immunität in einem Gesetz an sich unbrauchba­r. Zumal er selbst, ebenfalls in der vergangene­n Woche, ein Gesetz vorgeschla­gen hat, das Präsidente­n einen Sitz im Föderation­srat, der zweiten Kammer des Parlaments, sichert – auf Lebenszeit. Damit wäre er ohnehin mit Immunität versehen. Was nach 2024, wenn seine jetzige Amtszeit ausläuft, sein wird, ist ein beliebtes Ratespiel in Moskauer Politzirke­ln. Er könnte – die verfassung­sreform macht es möglich – bis 2036 Präsident bleiben. Putin selbst äußert sich nicht dazu, er schafft sich lediglich mehrere Möglichkei­ten. Unter diesem Winkel ist auch der Klischas-Kraschenin­nikow-Vorschlag zu sehen: als weitere Option zur Sicherung der Macht. Auch fernab des Präsidente­npostens.

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FOTO: ALEXEI NIKOLSKY/DPA Russlands Präsident Wladimir Putin

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