Der Feind in der eigenen Wohnung
Häusliche Gewalt wird in Deutschland immer mehr zum Problem. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) will deshalb die Hilfen ausbauen.
Seit 2015 ist die häusliche Gewalt in Deutschland immer weiter gestiegen. Und durch die Corona-Pandemie könnte sich diese unheilvolle Entwicklung noch verschärfen. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey plädiert deshalb für einen besseren Opferschutz. Am Dienstag stellte die SPD-Politikerin gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, Zahlen zum Ausmaß des Problems vor.
Wie ist die aktuelle Situation?
Im vergangenen Jahr wurden 141 792 Opfer von vollendeten und versuchten Delikten im Zusammenhang mit Partnerschaften statistisch erfasst. Das waren rund 1000 mehr als 2018. 2015 zählte die Statistik noch rund 127 500 Opfer. Die Delikte reichen von Stalking, Freiheitsberaubung und Zwangsprostitution über Vergewaltigung und Köperverletzung bis hin zu Mord und Totschlag. 81 Prozent der Betroffenen waren Frauen, 19 Prozent Männer. 2019 kamen 117
Frauen und 32 Männer wegen häuslicher Gewalt zu Tode.
Welche Straftaten dominieren?
Bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung waren 98 Prozent der Opfer
weiblich, bei Stalking 89 Prozent. Der Anteil männlicher Opfer war bei vorsätzlicher, einfacher Körperverletzung mit gut 20 Prozent sowie bei Mord und Totschlag mit 23,6 Prozent vergleichsweise am höchsten. Jedes zweite Opfer von partnerschaftlicher Gewalt lebte zum Tatzeitpunkt mit dem Täter unter einem Dach. Gut jeder dritte Fall ging auf ehemalige Partnerschaften zurück.
Wie aussagekräftig sind die Zahlen? Es handelt sich eher um die Spitze des Eisbergs. Aus Angst, Scham oder wegen finanzieller Abhängigkeit scheuten viele Opfer eine Anzeige, erklärte BKA-Chef Münch. Partnerschaftsgewalt finde meist hinter geschlossenen Türen statt. Die Opfer würden nicht bemerkt. Auch Ministerin Giffey geht davon aus, „dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt als die Zahl der polizei-bekannten Fälle“. Man wisse, dass zwei von drei Frauen selbst nach schwerster Gewalterfahrung keine Hilfe suchten.
Gibt es eine Zuspitzung wegen Corona?
Obgleich sich das persönliche Leben wegen Corona verstärkt in den eigenen vier Wänden abspielt, ist laut Münch aktuell noch keine Zunahme von häuslicher Gewalt feststellbar. Dazu fehlten valide Daten. Es gibt aber Indizien, dass die Pandemie zu einer Verschärfung der Lage beiträgt. Nach Angaben der Leiterin des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“, Petra Söchting, hat die Zahl der Beratungsgespräche seit April um etwa 20 Prozent zugenommen. Suchten im vergangenen Jahr im Schnitt 55 Frauen pro Tag telefonisch Rat, so sind es jetzt 67. Dabei ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass auf das Hilfetelefon seit Beginn der Pandemie öffentlich stärker hingewiesen wird.
Wie reagiert Giffey auf die Entwicklung?
Die Familienministerin machte sich für einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung von Gewaltopfern stark, dämpfte aber die Erwartung, dass dies noch bis zur kommenden Bundestagswahl umsetzbar ist. Zugleich erinnerte sie an ein Programm ihres Ministeriums, durch das seit Jahresbeginn der bundesweite Ausbau von Frauenhäusern und Beratungsstellen mit insgesamt 120 Million Euro zusätzlich gefördert wird.