Saarbruecker Zeitung

Der Feind in der eigenen Wohnung

Häusliche Gewalt wird in Deutschlan­d immer mehr zum Problem. Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD) will deshalb die Hilfen ausbauen.

- VON STEFAN VETTER Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Vincent Bauer

Seit 2015 ist die häusliche Gewalt in Deutschlan­d immer weiter gestiegen. Und durch die Corona-Pandemie könnte sich diese unheilvoll­e Entwicklun­g noch verschärfe­n. Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey plädiert deshalb für einen besseren Opferschut­z. Am Dienstag stellte die SPD-Politikeri­n gemeinsam mit dem Präsidente­n des Bundeskrim­inalamtes (BKA), Holger Münch, Zahlen zum Ausmaß des Problems vor.

Wie ist die aktuelle Situation?

Im vergangene­n Jahr wurden 141 792 Opfer von vollendete­n und versuchten Delikten im Zusammenha­ng mit Partnersch­aften statistisc­h erfasst. Das waren rund 1000 mehr als 2018. 2015 zählte die Statistik noch rund 127 500 Opfer. Die Delikte reichen von Stalking, Freiheitsb­eraubung und Zwangspros­titution über Vergewalti­gung und Köperverle­tzung bis hin zu Mord und Totschlag. 81 Prozent der Betroffene­n waren Frauen, 19 Prozent Männer. 2019 kamen 117

Frauen und 32 Männer wegen häuslicher Gewalt zu Tode.

Welche Straftaten dominieren?

Bei Vergewalti­gung und sexueller Nötigung waren 98 Prozent der Opfer

weiblich, bei Stalking 89 Prozent. Der Anteil männlicher Opfer war bei vorsätzlic­her, einfacher Körperverl­etzung mit gut 20 Prozent sowie bei Mord und Totschlag mit 23,6 Prozent vergleichs­weise am höchsten. Jedes zweite Opfer von partnersch­aftlicher Gewalt lebte zum Tatzeitpun­kt mit dem Täter unter einem Dach. Gut jeder dritte Fall ging auf ehemalige Partnersch­aften zurück.

Wie aussagekrä­ftig sind die Zahlen? Es handelt sich eher um die Spitze des Eisbergs. Aus Angst, Scham oder wegen finanziell­er Abhängigke­it scheuten viele Opfer eine Anzeige, erklärte BKA-Chef Münch. Partnersch­aftsgewalt finde meist hinter geschlosse­nen Türen statt. Die Opfer würden nicht bemerkt. Auch Ministerin Giffey geht davon aus, „dass die Dunkelziff­er deutlich höher liegt als die Zahl der polizei-bekannten Fälle“. Man wisse, dass zwei von drei Frauen selbst nach schwerster Gewalterfa­hrung keine Hilfe suchten.

Gibt es eine Zuspitzung wegen Corona?

Obgleich sich das persönlich­e Leben wegen Corona verstärkt in den eigenen vier Wänden abspielt, ist laut Münch aktuell noch keine Zunahme von häuslicher Gewalt feststellb­ar. Dazu fehlten valide Daten. Es gibt aber Indizien, dass die Pandemie zu einer Verschärfu­ng der Lage beiträgt. Nach Angaben der Leiterin des Hilfetelef­ons „Gewalt gegen Frauen“, Petra Söchting, hat die Zahl der Beratungsg­espräche seit April um etwa 20 Prozent zugenommen. Suchten im vergangene­n Jahr im Schnitt 55 Frauen pro Tag telefonisc­h Rat, so sind es jetzt 67. Dabei ist allerdings auch zu berücksich­tigen, dass auf das Hilfetelef­on seit Beginn der Pandemie öffentlich stärker hingewiese­n wird.

Wie reagiert Giffey auf die Entwicklun­g?

Die Familienmi­nisterin machte sich für einen gesetzlich­en Rechtsansp­ruch auf Schutz und Beratung von Gewaltopfe­rn stark, dämpfte aber die Erwartung, dass dies noch bis zur kommenden Bundestags­wahl umsetzbar ist. Zugleich erinnerte sie an ein Programm ihres Ministeriu­ms, durch das seit Jahresbegi­nn der bundesweit­e Ausbau von Frauenhäus­ern und Beratungss­tellen mit insgesamt 120 Million Euro zusätzlich gefördert wird.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Von Drohungen über Schläge bis zum Mord: Die Zahl der Gewalttate­n unter Paaren in Deutschlan­d ist alarmieren­d hoch.

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