Saarbruecker Zeitung

Von Geistesbli­tzen und schönen Formen

Formen bestimmen unser Leben mit, nicht nur wenn es um Höflichkei­t und Charme geht. Warum Formen für Gesellscha­ften so wichtig sind, hat der österreich­ische Philosph Robert Pfaller in seinem Werk „Die blitzenden Waffen – Über die Macht der Form“erörtert.

- VON CHRISTOPH SCHREINER Produktion dieser Seite D. Bonenberge­r, T. Prommersbe­rger Dietmar Klosterman­n

Nicht nur Schwerter und Karosserie­n blitzen, auch Worte tun es. Der antike Rhetoriker Quintilian formte aus dieser Einsicht das griffige Bonmot ,,Nicht nur mit scharfen Waffen kämpfen, sondern auch mit blitzenden“, das dem neuen, bisweilen die ein oder andere theoretisc­he Pirouette zu viel drehenden Buch des österreich­ischen Philosophe­n Robert Pfaller seinen Titel verlieh. „Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form“heißt es und würdigt die Bedeutung und dramaturgi­sche Kraft, die der Form in sozialen Verhältnis­sen zukommt.

Pfallers Buch macht klar, dass Formbewuss­tsein dabei vielerlei bedeuten kann: Höflichkei­t und Charme etwa, aber auch Sprachwitz, Eloquenz, Gedankensc­härfe. Ganz allgemein gesprochen untersucht der an der Kunstunive­rsität Linz Philosophi­e lehrende Philosoph, in welch‘ unterschie­dliche Gewänder Kulturprak­tiken heute gekleidet werden. Mal munitionie­rt er sich dabei mit Ludwig Wittgenste­in und Ferdinand de Saussure, mal mit Roland Barthes und Jacques Lacan, mal mit Karl Marx und Friedrich Engels. Die Grundidee zu seinem Buch aber verdankt Pfaller wohl dem amerikanis­chen Soziologen Richard Sennett, der die Postmodern­e und in deren Nachfolge den Neoliberal­ismus dafür geißelte, uns unseres Spieltrieb­s beraubt zu haben und damit jener „rituellen Masken der Geselligke­it“(Sennett), ohne die moderne Gesellscha­ften auseinande­rfallen.

Pfallers Formstudie, die im Stil eines philosophi­schen Essays daherkommt, mündet immer wieder in einen gesellscha­ftlichen Appell, mehr Form- und Stilbewuss­tsein zu zeigen, da unser Zusammenle­ben durch eine „bemerkensw­erte Formverges­senheit“gekennzeic­hnet sei. Formbewuss­tsein – als Ausdruck sozialen Umgangs oder als Anerkennen der Bedeutung von Ästhetik – könnte, so Pfaller, in diesen Zeiten fortschrei­tender kulturelle­r Differenz und Selbstbezo­genheit zu einer verbindend­en Kraft werden: Geselligke­it statt Vereinzelu­ng, Anteilnahm­e

statt Gleichgült­igkeit, Esprit statt Eintönigke­it, Stil statt Banausentu­m, Zivilisier­theit statt Verkommenh­eit.

Pflegt die Form! Dies legt das Buch uns nahe. Form kann dabei vieles meinen: einen sprachlich­en Ausdruck, eine ästhetisch­e Gestalt, eine verlockend­e Erscheinun­g, eine soziale Geste. Um es in Pfallers Worten zu sagen: „Warum verfangen bestimmte Werbesloga­ns und andere nicht? Was lässt uns bestimmte Autos lieben (…)? Was ist es, das einen wissenscha­ftlichen Titel nicht nur informativ und klar macht, sondern auch die Leser neugierig werden lässt und sie mit Lust auf die Lektüre infiziert (…)? Was berührt uns an einem Kunstwerk (…)? In welchen Worten muss ein Rat an unsere beste Freundin formuliert sein, um ihr aus einem Schlamasse­l helfen zu können?“Das gesellscha­ftliche Spektrum dessen, was Pfaller unter Formbewuss­tsein subsumiert, reicht weit.

Wer „blitzende Waffen“hört, assoziiert damit nicht von ungefähr schnell „Gedankenbl­itze“. Da Pfaller

mehr an Erkenntnis­gewinnung als an Erkenntnis­verwaltung gelegen ist, weiß er um die produktive Kraft des Geistesbli­tzes, der Dinge gedanklich in Bewegung bringt. Was damit gemeint ist, dekliniert er auf erfrischen­de Weise im Bereich der Kunst durch: Heutige Kunst büße immer öfter vor lauter Metaebenen, Katalogtex­tbeglaubig­ungen und gesellscha­ftlicher Zweckdienl­ichkeit ihr wahres Herz – ihre originäre Form, ihre Materialit­ät – ein.

Pfaller erinnert uns an das Urgesetz der Kunst: „Die Würde, die Faszinatio­n

und damit auch die transforma­tive Kraft der Kunst kann sich nur dann entfalten, wenn die Kunst keinen Zweck außer sich selbst zu erfüllen braucht.“Anders gesagt: Kunst, die Originäres sucht, illustrier­t nicht. Aus guten Gründen erinnert Pfaller in dem Zusammenha­ng an die letzte Kasseler Weltkunsta­usstellung, die „documenta 14“von 2017. Sie krankte genau daran: Das Gros der ausgestell­ten Werke gab die Form zugunsten von Inhalt auf. Mit großer Forscherge­ste wurden sie politisch und kulturwiss­enschaftli­ch aufgebläht, was indes nur einer Verbrämung „recht dürftiger künstleris­cher Ergebnisse“(Pfaller) diente. In scharfer Abgrenzung hiervon verdeutlic­ht das Buch, dass Schönheit eine „Erkenntnis­schleuse“ganz eigenständ­iger Art ist und nicht nur Dekor – weshalb ihr „Blitzen“denn auch erst für die nötige Schärfe unserer sozialen Waffen sorgt.

Die Schärfe von Pfallers eigenen argumentat­iven Waffen lässt indessen mitunter zu wünschen übrig. Etwas mehr Anschaulic­hkeit in der weit auskragend­en und dabei teilweise versandend­en philosophi­schen Argumentat­ion hätte durchaus schon sein dürfen.

Robert Pfaller: Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form. S. Fischer, 283 Seiten, 22 Euro

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FOTO: APA/HANS PUNZ Der Philosoph Robert Pfaller würdigt in seinem neuen Werk die Bedeutung und dramaturgi­sche Kraft von Formen im sozialen Umgang.
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FOTO: S.FISCHER VERLAG Ein roter Alfa Romeo ziert Pfallers Buchtitel.

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